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Von Selbstdarstellung und Traurigkeit – Telquist im Interview

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Nach etlichen Verschiebungen von Tour und Album, ist endlich die neue Platte „Wild Haired“ von Telquist raus. Warum die Veröffentlichung auch eine Art Befreiungsschlag für den Musiker ist, welche Gedanken ihn bei seinen Songs getrieben haben und was er von Selbstdarstellung und das Stehen in der Öffentlichkeit hält, hat er uns im Interview verraten.

Sebastian Eggerbauer hat als Jugendlicher Bass in Indie, Reggae und Ska-Punk Bands gespielt. Dann merkte er, dass er eigentlich lieber allein Musik machen will – das Ergebnis davon: Telquist – lässiger Indie-Pop mit elektronischen Sounds und einer Portion Reggae. Letzte Woche veröffentlichte er mit „Wild Haired“ sein zweites Album. veröffentlicht. Bei den Live-Auftritten unterstützt ihn seine Band, wozu Max Gerisch, Christoph Hundhammer und Thomas Huck gehören. Gerade auf der Bühne haben sie für ihn einen besonders hohen Stellenwert für das Musikprojekt hat.

Sebastian aka Telquist macht sich um vieles Gedanken, was er in seiner Musik auf eine Art und Weise übersetzt, die zwischen Melancholie und Euphorie hin und her schaukelt. Er sorgt gleichzeitig für Summervibes und macht Bock auf Tanzen, kann aber genauso zum Nachdenken und Träumen einladen. Einerseits wehmütig und auf der anderen Seite berauschend. Der Titel seines Songs „High and Low“ beschreibt es wohl ganz gut. Im Interview erzählt Selbastian mehr über sich, sein neues Album „Wild Haired“ und welche Gedanken ihn traurig machen.

Du hast ja schon bevor du überhaupt auf die Idee gekommen bist zu singen, Musik gemacht. Wie hat sich Musikmachen für dich insgesamt verändert?

Für mich war es, wie das Projekt überhaupt erst entstanden ist, ein wichtiger Schritt, dass ich wirklich allein angefangen habe, Musik zu machen. Als Teenie haben wir in den Bands, in denen ich war, einfach immer versucht zusammen Mukke zu machen. Da war dann der entscheidende Moment, dass ich mit einem Laptop theoretisch alles selbst machen kann. Du bist halt so frei und kannst alles machen, worauf du Bock hast.

Wenn ich will, kann ich morgen einen Track machen, der so klingt wie Scooter oder so. Ich kann an einem Tag auch mal keinen Bock haben Musik zu machen – das ist schon was anderes als Band. Ich finde, das ist das Faszinierende daran. Du musst halt niemanden fragen. Als Band muss man sich immer aufeinander einlassen – und klar, man kann andere coole Sachen produzieren, aber ich habe einfach einen unmittelbareren Draht zur Musik, wenn ich es allein machen kann.

Versuchst du denn beim Produzieren auch schon darauf einzugehen, was andere jetzt hören wollen, um den Geschmack der Hörer:innen zu treffen?

Manchmal mache ich Dinge schon so, wie andere es gut finden könnten, das ist mir bewusst. Da kann ich aber auch immer ein bisschen entgegensteuern, indem ich mir immer vor Augen führe, dass es nur mir selbst gefallen muss. Ich finde darum geht es auch, warum man Musik machen sollte – aus Liebe zur Musik und dass der einzige Maßstab, den man hat, der eigene Geschmack ist.

Deine neue Platte „Wild Haired“ klingt ja schon anders als dein Debüt „Strawberry Fields“. Was ist seitdem musikalisch oder persönlich nochmal anders für dich geworden?

Die krasseste Veränderung war, dass ich die erste Platte nicht für eine Öffentlichkeit gemacht habe. Ich mag das erste Album, aber wenn ich mir das anhöre, denke ich mir jetzt schon so: Fuck, das hätte ich niemals so geschrieben, wenn ich gewusst hätte, dass es auch ein Publikum dafür gibt. Ich hatte ja damit angefangen, weil ich Lust hatte, Musik zu machen. Die Songs lagen lange bei mir rum, ohne darüber nachzudenken, die veröffentlichen zu wollen.

Verspürst du jetzt mehr Druck mit dem Wissen, dass das andere hören?

Das ist schon etwas anderes, wenn ich jetzt weiß, dass es eine kleine Form von Öffentlichkeit gibt, die sich dafür interessiert, sich das anhört und mich dazu vielleicht etwas fragt. Alle sagen immer, dass die aktuelle Platte die persönlichste Platte ist, die sie jemals gemacht haben. Ich glaube, bei mir ist es jetzt nicht so, weil ich ein bisschen vorsichtiger geworden bin.

Es ist natürlich trotzdem persönlich und man kann ja sowieso immer nur das machen, was man fühlt und erlebt. Andererseits wollte ich bei „Wild Haired“, dass es mehr knallt. Das hatte die erste Platte auch gar nicht, weil es mir da auch nicht wichtig war. Ich fand eben diese moody chillige Musik nice und weil das ja eh niemand hören sollte, gab es überhaupt nicht den Gedanken an ein Album als Ganzes.

Du hast gesagt, dass man Musik aus Liebe dazu machen sollte. Wie sehr trifft es dich, wenn du negative Kritik bekommst?

Also ich versuche mir immer einzureden, dass mir das egal ist und dass ich es ja eh für mich selbst mache – aber im Endeffekt trifft mich das schon immer, wenn jemand sagt, er findet das scheiße. Zu der ersten Platte gab es schon so paar Kritiken, die jetzt nicht voll bombastisch waren. Da denkt man schon drüber nach. Wenn ich behaupten würde, dass ich da vollkommen drüberstehe, wäre das gelogen.

Ich nehme dich als jemanden wahr, der sich sehr viele Gedanken macht und sich und das, was in seiner Umgebung passiert, reflektiert. Nicht nur auf deine Texte bezogen, sondern auch, dass du ganz genau weißt, was du willst und von deiner Musik oder deinem Sound erwartest. Ist dem so?

Ja, das ist schon so. Ich glaube, das hat viel mit der Geschichte zu tun, wie das mit dem Musikmachen entstanden ist. Das war ja nicht unbedingt mein Plan und irgendwie ist halt alles so passiert, indem ich die Möglichkeit bekommen habe, meine Musik zu veröffentlichen. Auf einmal wird man dann als Musiker wahrgenommen und steht in der Öffentlichkeit. Das war jetzt nichts, was ich angestrebt habe oder auch ausschließlich angenehm ist.

Also, es ist schon schön, aber ich bin in die Situation so ein bisschen reingestürzt. Ich glaube, das kommt ganz automatisch, dass man das immer ein bisschen hinterfragt und darüber nachdenkt, ob das eigentlich das richtige ist und das, was ich überhaupt will. Wenn ich jetzt zwangsläufig meine Zeit und Energie da rein investiere, was ja auch logisch und gut und schön ist, frage ich mich natürlich auch, was das jetzt mit mir macht und ob das alles Sinn macht. Das begleitet mich täglich, aber ich glaube nicht, dass nur ich diese Gedanken habe.

Wie war das beim neuen Album für dich, welche Themen hatten hier einen großen Einfluss?

Im Grunde ist es tatsächlich das, was ich eben schon ein wenig gesagt habe. Darum geht es auch im Titeltrack ein bisschen und schwingt in allen anderen Songs auch mit. Das ist so die Frage, wie kann ich das als jemand, der sich jetzt berufsbedingt quasi andauernd darstellen und produzieren muss, für mich lösen? Das ist etwas, das dazu gehört, ob man es mag oder nicht.

Ist diese Art von Selbstdarstellung ein Problem für dich?

Wenn ich durch mein Instafeed scrolle, macht mich das ein bisschen traurig. Ich gehöre ja auch irgendwie in diesen Indie-Kosmos und da ist mir aufgefallen, dass alle das Gefühl haben, sie müssen sich irgendwie besonders machen: Jeder muss crazy ausschauen, jeder muss etwas Verrücktes sagen, um sich irgendwie oder irgendwas darzustellen. Ich verstehe das total und kann das nachvollziehen.

Es ist logisch und ich finde es auch voll okay, aber es macht mich auch eben traurig, weil ich mir mehr wünschen würde… man ist doch so ok, wie man ist. Jeder darf etwas Besonderes sein, aber niemand muss etwas Besonderes darstellen. Diese Frage steht da so ein bisschen hinter. Ich denke, dass das etwas mit unserer Zeit und Social Media zu tun hat. Jeder ist sozusagen ein halber Freelancer und muss sich verkaufen. Ich will das nicht kritisieren, aber das sind Dinge, die mich beschäftigen und die mir teilweise echt schwerfallen und eine Rolle für mich spielen.

Dein neues Album „Wild Haired“ hat auch einen gleichnamigen Song auf der Platte – was bedeutet dieser Titel für dich?

Das ist eigentlich ein Zitat aus einem Jack Kerouac Roman aus den 50er/60ern in Amerika. Er beschreibt da einen Moment von Glückseligkeit, weil er sich die Freiheit nimmt außerhalb der Gesellschaft zu stehen. Dazu kommen noch andere Dinge, wo er überall anecken würde, wenn er da jetzt Wert drauflegen würde, wie eine wilde Frise und sowas.

Das fand ich schön und es ist einerseits natürlich Kitsch und überholt, aber gleichzeitig finde ich es auch aktuell. Wenn du heute eine verrückte Frisur trägst, ist das beispielsweise schon eher an der Tagesordnung. Ich habe das Gefühl, genau das steckt dahinter – diese Begriffsgeschichte, die sich in die vielleicht schon fast Groteske verschoben hat, weil man gleichzeitig anders sein möchte und sich abgrenzen will. Das hat mich zu diesem Song und Albumtitel inspiriert. Das ist so eine Thematik, die mir für das Album wichtig war.

Deine Musik wird auch oft mit Melancholie und Euphorie in Zusammenhang gebracht. Was ist Melancholie für dich und welche Rolle spielt das für deine Kreativität?

Ich habe eigentlich schon immer eher traurige Musik gehört. Als ich so 13, 14, 15 Jahre alt war, habe ich angefangen richtig viel Musik zu hören. Da habe ich dann einen richtigen Draht zur Musik entwickelt. Das war bei mir so eine Zeit, in der ich viel allein war. Nicht im Sinne, dass ich keine Freunde hatte, sondern, dass Bezugspersonen, die man früher hatte, verloren gingen. Diese Zeit ist ja auch generell für viele Leute eine schwierige Phase. Da war Musik ein wahnsinniger Anker für mich. Traurige melancholische Musik hat mir dabei geholfen und diesen Draht habe ich immer noch. Ich liebe es so wehleidige und traurige Musik zu hören.

Jetzt ist „Wild Haired“ eigentlich schon eine ganze Weile fertig und sollte ursprünglich viel früher veröffentlicht werden. Ich stell‘ mir das ganz schön ätzend vor, so lange auf den Release zu warten. Wie war das für dich?

Ja, das war tatsächlich ziemlich ätzend, weil ich die Platte sozusagen „in einem“ gemacht habe und wie du sagst, es hat jetzt wirklich ewig lang gedauert. Ende 2019 ist mit „Trash Talk“ der erste Song rausgekommen, das sind jetzt 1,5 Jahre … Es ist sehr schwierig, weil man neue Dinge tun will und man das ja schon machen kann, aber irgendwie steckt man immer noch so in der alten Platte. Man muss die nach außen ja auch immer vertreten. Deshalb bin ich jetzt mega mega froh, wenn „Wild Haired“ einfach raus ist – einfach deshalb, weil dann auch ein Kapitel abgeschlossen ist.

Unabhängig davon sind viele Songs eigentlich „gar nicht so neu“ für dich, die schleppst du ja teilweise schon lange mit dir rum. Haben sich diese Songs dadurch in der Entstehung zu „Wild Haired“ nochmal verändert?

Das ist voll unterschiedlich, zum Teil tendenziell schon. Der Grund ist ja oft, wenn man etwas liegen lässt – bei mir jedenfalls – dass man nicht mehr so richtig weiterweiß. Das Schöne daran ist oft, dass wenn ich das Projekt auf meinem Computer wieder aufmache, dann hört man das wieder ganz anders und hat andere Ideen und kann es fertigmachen. So habe ich schon immer gearbeitet.

Also ich habe ganz viele Songs, die so halb fertig auf meiner Festplatte schlummern. Von Zeit zu Zeit klicke ich mich immer mal durch und da ist dann immer was dabei, was mich so auf eine andere Art anfixt, wie ich es ursprünglich gedacht habe. „Mojo“ kam beispielsweise letzten November rausund ist eigentlich schon wahnsinnig alt und lag ewig rum. Der Beat ist einer der erste Sachen, die ich überhaupt selbst gemacht habe. Der Song hat vorher aus den verschiedensten Gründen einfach nicht auf die erste Platte gepasst. Jetzt läuft die Single mit Abstand am besten.

Vor dem Album-Release hast du jetzt noch die Single „Am I Right“ herausgebracht. Was steckt hinter dem Song?

Der Song ist die erste Single, bei der ich mir gar nichts ausgerechnet habe, weil es eigentlich vom Format her keine Single ist. Sie ist zu ruhig, hat jetzt auch nicht so eine richtige Hook oder so. Ich mag traurige Musik ja ganz gerne. Deshalb muss ich gleichzeitig auch dazu sagen, dass es einer meiner Lieblingssongs auf der Platte ist. Das war dann auch so ein wahnsinniges Gefühl von Freiheit zu sagen: Hey scheiß drauf, wir haben mit „Mojo“ jetzt eine Single, die gut für das Album läuft und wenn wir jetzt noch einen Song davor pushen … dann halt den, den ich gerne mag.

Der wird jetzt nicht im Radio rauf und runter gespielt und wird wahrscheinlich auch kein Streaming-Hit werden. Aber ich glaube fest daran, dass er trotzdem seine Hörer:innen finden wird, wenn er seine Chance kriegt. Das war einfach schön so. „Am I Right“ ist jetzt noch nicht lange raus, aber ich habe sehr viel Feedback gekriegt, dass die Leute berührt sind. Das ist echt toll und das Schönste ist, wenn man das, was man selbst fühlt, weitergeben kann.

Warum bedeutet dir der Song so viel?

Ich mag den Song schon gern, weil er für mich von Anfang an beschrieben hat, dass ich als Künstler frei bin, dass ich alles machen kann – die Nummer ist ja fast so eine Trap-Nummer. Das finde ich mega, dass ich sowas raushauen kann anstatt so Nummern, die vielleicht besserlaufen als ein klassischer Indie-Song. Das bedeutet mir einfach so viel, dass ich mich hinsetzen kann und machen kann, was ich will. Das verkörpert „Am I Right“ für mich. Dazu kommt aber auch noch dieses Gefühl, welches ich hatte als ich diesen Song gemacht habe.

Was war das für ein Gefühl?

Ich weiß gar nicht, ob ich das mit Worten beschreiben kann. Also, ein sehr guter Freund von mir hat sich von seiner Freundin getrennt und war dann kurze Zeit später mit einer anderen Freundin zusammen. Also alles war toll und die sind auch immer noch zusammen. Ich dachte mir dann aber so, fuck, vor drei Monaten war er noch mit jemand anderem so glücklich und seine Zukunft hat so anders ausgeschaut. Er war sich ganz sicher in allem und dann wurde alles was er sich ausgemalt hatte, mit einem Schlag so nichtig.

Es kann jederzeit passieren, dass alle Hoffnungen, Wünsche und Träume, die man jetzt hat, morgen vollkommen obsolet sein können. Dieses Wissen macht einem die Begrenztheit von der eigenen Gedankenwelt klar. Wenn ich den Song höre, berührt mich das und dann fühle ich das auch wieder. Das ist ein Gedanke, der mich sehr traurig macht. Aber ich finde auch, dass so ein trauriger Song einem ja eher hilft, als dass er einen noch runterzieht. Jedenfalls ist das bei mir als Hörer so.

Ja, ich finde auch. Man interpretiert als Hörer:in ja auch oft sein Zeugs dann rein. Mich hat auch „Cheesy Cars“ und besonders „Wild-Haired“ sehr berührt. Ich kann es gar nicht so genau beschreiben, aber der Sound löst direkt etwas in mir aus, wenn das Schlagzeug reinkickt – da bekomme ich direkt Bilder in den Kopf und werde an extreme Gefühle erinnert, die ich jetzt mal als meine „Wild Haired“-Zeit bezeichnen würde.

Ja cool, danke, das freut mich! Ich glaube, ich weiß voll, was du meinst. Das mag ich auch gerne beim Hören, wenn man den Vibe nicht so genau einordnen kann.

Ja, ich finde, da trifft es die Beschreibung zwischen Melancholie und Euphorie ganz gut – also eine schöne Art von Melancholie, die sich gut anfühlt. Das ist jetzt alles natürlich sehr persönlich, aber mich zieht der Sound direkt mit und versetzt mich in so eine besondere Stimmung.

Das überrascht mich ehrlich gesagt einerseits auch, weil ich zwar immer dachte, das Lied ist cool, aber nicht so eine Nummer, die einen in dem Sinn so catcht. Aber toll, wenn’s funktioniert, das freut mich wirklich sehr!

Ich höre so raus, dass du die Dinge schon gern selbst in die Hand nimmst und schwer abgeben kannst. Bei „Wild Haired“ hast du jetzt mit einem Produzenten zusammengearbeitet – wie war das für dich?

Ja, das ist wirklich so. Deshalb total überraschend, dass es so gut funktioniert hat. Ich glaube das hat generell ganz viel damit zu tun, dass Mario und ich uns menschlich sehr schnell, so gut verstanden haben. Da hat es dann auch musikalisch geklappt. Er hat gesehen, dass ich schon eine Idee und konkrete Vorstellung davon habe, was ich tun will und sofort gecheckt, dass es dann nicht geht, dass er dem Album irgendetwas aufdrücken will. Wir wollten eben zusammen eine coole Platte machen.

Das war wirklich eine tolle Erfahrung für mich, weil ich bis dahin immer dachte: Wäre schön mit anderen kreativ Musik zu machen, aber da bin ich leider der Falsche. Aber für „Wild Haired“ war das dann eben wirklich ein ganz entspanntes und schönes Arbeiten. Da bin ich echt froh, dass ich das mit ihm gemacht habe und dass es auch gut geworden ist.

Welcher Moment hat dich bisher in deiner Karriere am meisten geprägt?

Wir waren mal als Band mehrere Tage unterwegs und haben davor nur vereinzelt und ganz wenig gespielt. Da ist gerade alles langsam und schön angelaufen. Die erste Platte war da ungefähr ein halbes Jahr alt und dann haben wir nachmittags am letzten Tag eines kleinen Festivals in der Nähe von Regensburg gespielt. Wir dachten, weil es auch außerhalb war, dass es jetzt echt zäh wird und schon geil wäre, wenn zehn Leute da sind. Es war halt noch so früh und bei dem vor uns, waren wirklich weniger als zehn Leute da.

Auch bei uns war es nicht voll, aber im Endeffekt waren dann 50-60 Leute da und haben sich aus unserer Heimatstadt auf dem Weg gemacht. Das war das erste Mal, dass ich gecheckt habe, dass man offensichtlich Leute erreicht, die sich das anhören, weil sie es wirklich gut finden und das nicht nur etwas ist, dass sich im Internet abspielt. Das finde ich bis heute noch so den krassesten Moment, weil ich das einfach nicht auf dem Zettel hatte, zu schön war das für mich.

Wie geht es nach dem Release jetzt für dich weiter? Was fehlt dir zurzeit am meisten und worauf freust du dich?

Wie die meisten Musiker wahrscheinlich das Spielen. Wobei, ich habe mich vor ein paar Tagen mit der Band getroffen. Man sagt zwar, man vermisst es so, aber wir können uns irgendwie gar nicht mehr so richtig daran erinnern, wie es so war. Teilweise ist es jetzt knapp 1,5 Jahre her und klar freue ich mich. Ich bin aber auch gespannt, wie das dann ist. Das erscheint mir so unwirklich im Nachhinein. Und das andere, worauf ich mich wirklich wirklich freue, ist, neue Musik zu machen. Einfach darauf los und vielleicht auch die Chance zu haben, dass es dann bald erscheint und nicht erst drei Jahre später. Da freu ich mich drauf!

Seht hier das Video „Taste“ von Telquist:

Zwischen Scheinwelt und Beziehung: Lyian veröffentlicht „Hollywood“

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Eine Lovestory, die keine sein wollte. „Hollywood“ ist die neue Single von Lyian, der damit eine neue Facette von sich zeigt.

Geht es nach Boulevard-Presse, dann ist Hollywood schrill, bunt und immer für eine Überraschung gut. Selbiges gilt für das Musikprojekt und die gleichnamige Single von Lyian. In „Hollywood“ zeigt der junge Musiker eine neue Facette von sich, die man nach dem Erstwerk „Methadon“ so vielleicht nicht erwartet hätte. Der verträumter Indie-Pop mit 80s Einschlag wird mit „Hollywood“ von zeitgenössischem Rap abgelöst.

Der Song entsprang einer Lovestory, die keine sein wollte. Lyian fühlte sich zu einer Person hingezogen, die die Zuneigung zwar erwiderte, aber keine feste Beziehung wollte. Er stellte fest, dass die daraus entstehende Unsicherheit anstrengend, aber auch sehr bereichernd sein kann. „Hollywood“ stellt somit das klassische Modell einer Beziehung in Frage. Was ist richtig? Was darf man? Was darf man nicht? Fragen, die einen selbst 2021 noch immer innerlich zermürben und damit auch irgendwie sehr dem Gefühl von Hollywood widerspiegeln. Das Gesicht und der Schein muss immer gewahrt werden – ganz egal wie das innere Wohlbefinden aussieht. Auch wurde in Hollywood sehr lange am klassischen Beziehungsbild festgehalten und en Masse in Filmen propagiert.

Mit seinem zweiten Release beweist Lyian, dass er sich für einen Genre-Mix entschieden hat. Ein Weg, von dem ihm wahrscheinlich jedes Label und Management abgeraten hätte. Und doch gibt es immer mehr Künstler:innen, die sich eben auch musikalisch nicht mehr eingrenzen wollen und ihre künstlerische Freiheit zu einer Stärke machen wollen. „Hollywood“ von Lyian ist ab sofort auf allen gängigen Plattformen erhältlich.

Das Video zu „Hollywood“ von Lyian gibt’s hier:

doppelfinger und der Folk der Zeitlosigkeit in „knowingly“

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doppelfinger knowingly Video Still © Manuel Hauer
doppelfinger knowingly Video Still © Manuel Hauer

Künstlerinnen wie Adrianne Lenker oder Aldous Harding zeigen mit ihrem ruhigen Singer-Songwriter-Folk, dass es in der Welt des Genres nie ruhig geworden ist. Einer, der jüngst im Folk-Kosmos auf sich aufmerksam macht, ist der Musiker doppelfinger. Mit sinnlich-schönen Gitarrenklängen und Mundharmonika fällt er zwar aus der Popkultur, doch was bleibt, ist eine zeitlose Ode an erstklassigen Folk.

Popkultur ist, mit allem was sie umfasst, immer durch wechselnde Zyklen bestimmt. Das gilt für Musik genauso wie für Mode, Literatur oder Kunst. Versucht man den aktuellen Zeitgeist zu erfassen, fällt einem schnell auf wie alles, was unter „Popkultur“ zu verstehen ist, miteinander verknüpft scheint. Was früher der Hipster war, ist heute das Hypebeast. Was früher Pop war, ist heute Hyperpop. Und so weiter. Hin und wieder fällt allerdings etwas aus der schnellen Maschinerie heraus und bleibt als etwas Zeitloses, Anachronistisches bestehen.

Die Rückkehr des Feinsinnigen

Anachronistisch ist wohl das Stichwort, das in aktuellen Musikkonversationen immer wieder fällt, wenn jemand über Folk spricht. Manche würden sogar so weit gehen, diese Szene für tot zu erklären. Doch genau, wie jene Behauptung, im Jahr 2021 hätte keiner mehr die Geduld sich durch ein Album zu hören, ist auch die Sterbeurkunde an den Folk zu kurz gedacht. Warum? Musikerinnen wie Aldous Harding, Jessica Pratt oder Adrienne Lenker zeigen mit ihrem verspielten Singer-Songwriting, dass der feinsinnige Folk nie weg war. Auch in Billie Eilishs zuletzt erschienenen Single „Your Power“ ist ein Folk-Einfluss zu hören. Und Bilderbuchs „Nahuel Huapi“ klingt definitiv mehr nach Americana und Folk als nach Art Pop.

doppelfinger und die Zukunft des Folks

Einer, der schon früh mit Folk in Berührung kam, ist der österreichische Singer-Songwriter Clemens Bäre aka doppelfinger. Auslöser für seine Faszination mit dem Genre waren – wie kann es anders sein – Bob Dylan CDs, die er mit zwölf seiner Schwester abmurkste. Das war lange bevor er sich mit Gitarre und Mundharmonika auf die Bühne wagte und sich mit wunderbaren Singles wie „a place to go“ und „trouble“ in der heimischen Szene langsam etablierte.

Mit dem neuen Song „knowingly“ zeigt doppelfinger wie schon davor eine detaillierte Soundästhetik aus Fingerpicking und Mundharmonika. Kindheitsfreundin OSKA schenkt dem Song noch ihre bittersüße Stimme. Während der Musiker in „a place to go“ einen Ort besingt, der Ruhe und Zuflucht bietet, handelt „knowingly“ von einem Ort, wo man sich fehl am Platz fühlt. Das kann das eigene Zuhause sein, wo man missverstanden wird, das menschliche Umfeld, das kein guter Einfluss ist oder etwa ein mühsamer Brotjob.

9-to-5 und Körpereinsatz

Letzteres wurde im Musikvideo visualisiert. Zwischen Excel-Tabellen und Flip-Charts scheint sich der Protagonist (Clemens Bäre selbst) gedanklich immer von seinem Umfeld abnabeln zu wollen. Die Stimmung des Büro-Alltags ist bedrückend – bedrückend echt. Erst, als die Kolleg:innen in die Kamera grinsen und doppelfinger plötzlich kopfüber vor einer spektakulären Kulisse hängt, entfaltet das Video seine skurrile Wirkung. Letztendlich ist es also nicht nur der Song, sondern auch Clemens Bäres Acting-Skills, die dem Song zu seiner Strahlkraft verhelfen. Wenn das die Zukunft des Folks ist, dann bitte mehr davon.

Zum „knowingly“ Musikvideo von doppelfinger geht es hier:

Die Suche nach dem Glück – Japanese Breakfast im Interview

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Japanese Breakfast // © Peter Ash Lee

Ausgewogener Indie-Pop voller Synthies, Saxophon und Streichern: So musikalisch divers präsentiert sich Michelle Zauner auf ihrem neuen Japanese Breakfast-Werk „Jubilee“ (VÖ: 4. Juni bei Dead Oceans). Doch hinter ihrem dritten Album steckt noch viel mehr. Wir haben mit der in Seoul geborenen Künstlerin über das Glücklichsein, die Aufarbeitung von Trauer und den Asian-Hate in den USA gesprochen.

Jeder Mensch geht mit Trauer anders um. Um den Tod ihrer Mutter zu verarbeiten, schreibt Michelle Zauner mit ihrem Projekt Japanese Breakfast zwei Platten. Das hilft ihr in der eigenen Aufarbeitung, liefert für Musikfans aber auch melancholisch-experimentellen Indie-Pop mit seichtem Shoegaze-Anstrich. „Psychopomp“ und „Soft Sounds from Another Planet“ sind jetzt fünf und vier Jahre alt.

Mit „Jubilee“ lässt sich Zauner demnach Zeit und das ist gut so. Der Entschluss: Eine hellere, wärmere und sonnendurchflutete Platte soll es werden – eine Ode an das Leben. Und da das Leben ein bunter Mix aus Erlebnissen, Emotionen sowie Auf und Abs ist, spiegelt sich das auch in ihrer Musik wider. „Jubilee“ ist in der Instrumentalisierung und den Arrangements reichhaltig, in Teilen fast majestätisch, wenngleich sehr vielfältig. „Lasst uns alles etwas komplexer und ehrgeiziger machen“, sagt sie sich. Auch für ihre Musikvideos führt sie Regie. In Gespräch wird deutlich, wie wichtig ihr die Platte ist. Ein Album, das sich von den Japanese Breakfast-Vorgängern unterscheidet. Und das sieht man bereits am Cover.

Mit Blick auf das Albumcover zu „Jubilee“: Warum hat es dir die Kaki als Frucht so angetan?

In vielen ostasiatischen Kulturen werden viele Kakis nebeneinander draußen aufgehängt, damit sie reifen und dadurch süße, trockene Früchte werden. In Japan nennt man das Hoshigaki, in Korea Gotgam. Ich mag die Metapher, dass diese zunächst eher harte und bittere Frucht auf diese Weise süß und appetitlich wird. Und für mich als Musikerin, die bisher zwei Alben über das Leiden und Trauern unter die Leute gebracht hat, kommt jetzt eine Platte über die Freude und wie ich damit umgehe. So wie die Zeit die Kaki reifen lässt, hat mich die Zeit auch erwachsener gemacht und weiterentwickeln lassen.

Nachdem „Psychopomp“ und „Soft Sounds from Another Planet“ aber sowieso eher in einem melancholischen Blau sowie in Dunkelrot und Schwarz gehalten waren, dachte ich, dass das orange-gelbliche jetzt etwas besser in die Diskographie passt. Auch mit Blick auf das Thema.

Du schreibst jetzt also über Optimismus und die Freude. War das im Gegensatz zu deinen ersten Platten eine große Umstellung im Schreibprozess?

Ich glaube, es zeigt einfach, wo ich aktuell in meinem Leben stehe. Ich verspüre sehr viel Freude in meinem Leben. Aber die Songs handeln ja nicht unbedingt nur von glücklichen Momenten. Es geht auch darum, Glück zu suchen, sich selbst daran zu erinnern glücklich zu sein, Glück beizubehalten oder darum, sich von einer Situation wegzubewegen, die dich davon abhält glücklich zu sein. Glück ist also ein sehr breites Spektrum, das wir auf viele Arten anwenden können. Ich habe es genutzt, um Dinge in meinem Leben aus anderen Winkeln zu betrachten.

Dann lass uns auf einem Punkt eingehen. Wie findet ein Mensch Glück?

Aus meiner Sicht ist Glück etwas, an dem man durchgängig arbeiten muss. Es ist ein seltenes, wirklich schönes Gefühl, für das wir alle kämpfen. Und natürlich können wir nicht dauerhaft glücklich sein, so läuft das Leben einfach nicht. Es braucht auch Wut, Angst oder Trübsal, um das Glück zu genießen. Und genau das hält uns dauerhaft auf unserem Lebensweg.

In einem Pitchfork-Artikel hat du mal gesagt, dass du ein „Workaholic“ bist. Macht es dich glücklich, wenn du produktiv bist?

Ohja! Ich glaube durch die ganze Arbeit und die Projekte bleibe ich gewissermaßen bodenständig. Wenn ich selbst nicht tätig bin, dann werden meine Gedanken unruhig – durch dunklere Dinge. Ich versuche daher die meisten meiner Gefühle auf meine Arbeit zu projizieren.

Dieses Album über das Glück und die Freude kommt jetzt in einer Zeit raus, die für die meisten Menschen schwierig ist. Zufall?

Ich habe das Album schon im Dezember 2019 fertig gestellt. Es sollte dann im Juni 2020 herauskommen, aber ich bin froh, dass wir es geschoben haben. Weißt du, es ist musikalisch ein eher anspruchsvolles Album, das mit einer großen Band gespielt wird. Und „Jubilee“ ist rein vom Wort her auch das „Jahr der Befreiung“. Und so soll sich das Album anfühlen. Ich weiß, dass viele Menschen aktuell durch schwierige Zeiten gehen und die Bedeutung von Glück vielleicht neu definieren. Also glaube ich schon, dass das Album perfekt in diese Zeit passt. Ich habe selbst auch festgestellt, dass ich neuerdings herausfinden musste, wie ich zu kleinen Freuden komme und dass diese anders sind, als diejenigen, die ich bisher erlebt habe.

All das verpackst du in einem sehr gehaltvollen Sound und in schönen, vielseitigen Arrangements.

Ich versuche immer, mich jedem Song mit dem zu nähern, was er eben gerade braucht. Zuerst habe ich ja immer ein loses lyrisches Thema und eine grobe Idee davon, was die Songs auf dem Album als Ganzes darstellen sollen. Was ich festgestellt habe ist: Bei Japanese Breakfast ist die Kraft der Produktion und Arrangements ganz wichtig. Ich mag Alben mit einer gewissen Bandbreite sehr – also Lieder, die von Song zu Song anders klingen.

Du hast dafür sogar extra noch Klavierstunden genommen. Das nenne ich mal Einsatz.

Ja, ich ruhe mich nie auf irgendwelchen Lorbeeren aus. Ich möchte mich selbst immer weiter pushen und neue Dinge lernen. Und ich möchte beweisen, dass ich es verdient habe an dem Ort zu sein, an dem ich gerade bin. Musikerin zu sein und von Leuten gehört zu werden ist ein wahnsinniges Privileg. Insbesondere nach den vergangenen fünf Jahren des Tourens habe ich so viele talentierte Menschen kennengelernt. Ich beneide sie sehr für ihre musikalische Ausbildung, da ich sowas nicht hatte. Ich habe Musiktheorie auch zu lange ignoriert. Das möchte ich nun nachholen, weil ich weiß, dass sich so auch meine Komposition und Produktionsfähigkeit verbessert.

Ich finde, dass ist dir gelungen. Welche Künstler*Innen und Bands haben dich als Japanese Breakfast beeinflusst?

Kate Bush! Ich liebe es einfach, wie sie so eine große Künstlerin für die Masse ist, aber gleichzeitig so bizarr, surreal und und einzigartig ist. Eine ähnliche Künstlerin, auf die das zutrifft und die mich beeinflusst hat, ist Björk. Ich habe mich hauptsächlich damit beschäftigt herauszufinden, was mich zu einer sonderbaren und einzigartigen Künstlerin macht und wie ich das in der Pop-Welt unterbringen kann. Viele Piano-Parts sind von Randy Newman beeinflusst, auch die Streicher. Ansonsten habe ich während der Produktion viel Bill Withers, The Beatles, Fleetwood Mac oder The Beach Boys gehört. Und natürlich auch Freunde von mir wie Alex G.

Neben deiner neuen Platte „Jubilee“ hast du auch deine Memoiren „Crying in H-Mart“ (erschienen am 20. April) veröffentlicht. Worum geht es da?

Es sind Memoiren über meine Mutter, die Koreanerin war. Nachdem meine Mutter verstorben ist, habe ich herausgefunden, dass es mir therapeutisch sehr geholfen hat, koreanisches Essen zuzubereiten. So konnte ich nochmal mit ihr connecten. Und es geht um das multiethnische Aufwachsen in den USA. Ich habe dadurch meine eigene Kindheit nochmal erlebt – aufzuwachsen in einer Einwandererfamilie. Und letztendlich verarbeite ich auch wie es war, meine Mutter sechs Monat zu pflegen, als sie an Krebs erkrankte und starb.

Das hast du ja auch schon auf deinen ersten Alben mit Japanese Breakfast gemacht. Warum war es dir wichtig, das auch weiter in dem Buch zu tun?

In einem Buch kannst du so vieles mehr unterbringen, weißt du? Ich glaube, auf einer Platte verarbeitest du viele Dinge eher auf einem impressionistischen Weg, dort finden sich all diese kleinen Fragmente und Gefühle aus der damaligen Zeit. Aber ich wollte noch mehr erzählen, Teile meines Lebens erneut erleben und intensiver verarbeiten. Außerdem habe ich diesen Druck verspürt, den Schmerz zuzulassen: Jemanden, den du liebst, verfallen zu sehen. Darüber wird nicht allzu oft offen gesprochen. Und genau das wollte ich machen.

Du bist als Asiatin in den USA aufgewachsen. In den vergangenen Wochen und Monaten hat die Welt schreckliche Nachrichten aus den USA über Asian-Hate mitbekommen. Wie gehst du damit um?

Ich meine, ich bin ja schon mein ganzes Leben lang asiatisch, aber ja, es macht mich sehr sauer. Aber es ist wichtig, dass jetzt auch international darüber gesprochen wird, weil all das gibt es schon immer und da wurde es zu wenig thematisiert. Wir hatten natürlich auch einen Präsidenten, der diese Art von Sprache genutzt hat, vor der ihn viele gewarnt hatten: Also, dass all das Auswirkungen auf die asiatisch-amerikanische Gesellschaft haben wird. Und in der Regierung gibt es ja sogar Leute, die bei Corona von dem „China-Virus“ sprechen. Die Leute sind einfach sehr ignorant. Und diese Angst ist meiner Meinung nach ähnlich zu der, die wir nach 9/11 wahrnehmen konnten – zu Ungunsten der muslimischen Gesellschaft in Amerika. Ich hoffe einfach, dass wir die Menschen, die so denken, aus der Regierung entlassen können.

Das ist eine große Frage, aber was muss sich denn darüber hinaus in der Gesellschaft noch ändern?

Die außenstehenden Leute brauchen einfach mehr Mut und Tapferkeit, um gegen solche diskriminierenden Momente anzugehen. Ich meine, es ist doch einfach herzzerreißend all diese Videos zu sehen, in denen asiatisch-amerikanische Menschen am helllichten Tage angegriffen werden und ein Security-Mann einfach die Tür zuschlägt, um sich nicht mit der Situation auseinandersetzen zu müssen. Die meisten Leute sehen diese Dinge und machen einfach nichts. Und ich glaube auch: Sie sehen uns nicht als Menschen an. Insbesondere ältere asiatisch-amerikanische Menschen, die nicht so gut englisch sprechen oder ein geringes Einkommen haben. Das sind die Menschen, die am meisten leiden, weil die anderen sie teilweise nicht als Menschen, sondern als Objekte der Gesellschaft sehen. Etwas ähnliches haben wir ja bei George Floyd gesehen. Aber wie bringen wir es solchen Menschen bei? Ich habe da keine Antwort drauf.

Vielen Dank für das Interview.

Seht hier das Video zu der Japanese Breakfast-Single „Be Sweet“:

Fotos: Peter Ash Lee

Über Zuversicht und das Weitermachen – BABYJOY im Interview

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Es ist Jahre her, dass BABYJOY anfing, ihre ersten Songs mit Kazondabeat aufzunehmen. Heute ist sie eine über Genregrenzen hinaus gefeierte Newcomerin, er einer der wichtigsten Produzenten der Berliner Rapszene. Im Februar erschien mit dem Kollabotape „Troubadour“ BABYJOYS Debüt-EP. Auf sieben Songs stellt sie sich vor und beweist ihre Vielseitigkeit. Im Interview erzählt Joy Song für Song von Einflüssen, Erinnerungen und Erfahrungen, denen sie auf „Troubadour“ Raum gegeben hat.

Wenn du mal chronologisch zurückdenkst. Was wäre der erste Moment, der zu deiner EP geführt hat?

Das war, als ich mit meinem Bruder geredet habe und ihm erzählt habe, dass ich jetzt gerne einen Song rausbringen würde. Er meinte dann so „Hä, baller doch keine einzelne Single raus, mach doch ein größeres Projekt“. Ich dachte mir dann, stimmt. Ab da ist die EP entstanden.

Deine Debüt-EP ist gleichzeitig ein Kollabotape mit Kazondabeat. Ihr habt von Anfang an zusammengearbeitet und über mehrere Jahre Musik gemacht, bis dann die EP rausgekommen ist. Ich finde das sehr besonders, dass ihr euch seit euren Anfängen begleitet.

Voll, ich habe den ersten Song mit ihm gemacht, da war ich noch relativ jung. Dann habe ich länger nicht mehr mit ihm gearbeitet, weil ich mit der Schule beschäftigt war und dann haben wir uns wieder zusammengefunden. Ich glaube, das war tatsächlich Zufall, dass er dann am Anfang schon dabei war. Er war bei meinen Anfängen dabei und ich war auch bei seinen dabei, als er noch gar nicht bekannt war.

Lass uns mal Song für Song durch deine EP gehen. Es fängt an mit „Dein Vibe“. Ein richtig gutes Intro, wie ich finde. Mich hat der Song so runtergebracht, dass ich dann in der richtigen Verfassung war, die EP gut durchzuhören und wirklich zuzuhören. War dir das wichtig, so einen Song an den Anfang zu setzen?

Ich bin durch die Songs gegangen und habe überlegt, was wie passen würde. „Dein Vibe“ hat einfach am besten als Intro Song gepasst, weil er so entspannt ist und man erstmal reinkommen kann, um sich dann dem Rest zu widmen. Das hat für mich einfach Sinn ergeben. Es war nicht so gedacht, als ich den Song gemacht habe, das war eher am Ende, als ich alle Songs hatte und eine Reihenfolge brauchte.

Ist es dir wichtig, wie die Leute deine Musik hören und wie sie dir zuhören?

Ja, ich würde mich schon freuen, wenn sie richtig zuhören. Ich denke aber, wenn jemand meine Musik mag, dann wird er das auch tun. Wenn jemand sie nicht so mag, wird er vielleicht auch nicht richtig zuhören.

Es geht dann weiter mit „Tourne en Ronde“. Ich habe versucht, mir den Text zu übersetzen und ich glaube es geht um Betrug in einer Beziehung und darum, dass die Person die Beziehung nicht beenden kann, obwohl sie es besser weiß. Oder?

Ja, es geht um Betrug. Aber ich in dem Song löse mich davon und sage, ich habe dir immer verziehen, aber jetzt nicht mehr. Ich geh in den Club, feiere, dreh mich im Kreis und rauche Weed von irgendjemandem.

Das scheint sehr persönlich. Ist die Barriere für dich niedriger, wenn du sowas auf Französisch ausdrückst?

Voll, definitiv! Es ist viel einfacher, macht ein bisschen mehr Spaß und man ist viel sorgloser. Obwohl der Song auch eher aus künstlerischer Freiheit entstanden ist. Ich wurde in dem Sinne gar nicht betrogen, aber das war meine Freiheit, was ich aus meinem persönlichen Leben in meine Musik einfließen lasse und was ich abändere.

Wonach entscheidest du, ob du Deutsch oder Französisch singst?

Das ist einfach ein Gefühlsding. Wenn ich einen Beat höre, dann habe ich meistens schon ein Gefühl dafür, eine persönliche Vorahnung, welche Sprache für mich persönlich besser darauf passt und auf welcher Sprache ich vor allem auch besser schreiben kann. Es geht ja auch darum, dass ich einen Text schreiben muss. Meistens fange ich mit der Hook an und je nachdem in welcher Sprache ich schreibe, fällt es mir dann leichter. Das ist dann eher ein Instinkt.

„1,2,3“ ist der Hit der EP, finde ich. Die Hook bleibt hängen, egal ob man Französisch spricht, oder nicht. Es geht um dein Umfeld, wie die Leute da so drauf sind. Achtest du sehr darauf, von welchen Menschen du umgeben bist?

Voll. Es ist mir sehr wichtig. Ich habe vor kurzem darüber nachgedacht, von wem ich umgeben sein möchte, inwiefern ich mich beeinflussen lassen und Bestätigung von außen suchen möchte. Mir ist es schon wichtig, dass ich nicht random mit irgendwelchen Leuten abhänge, die mich vielleicht auch negativ beeinflussen. Mir ist es wichtig, dass die Leute, mit denen ich abhänge, einen Weitblick haben und verständnisvolle Menschen sind, die auch ein Gefühl für andere Menschen haben und für andere Lebenssituationen.

Der nächste Song steht im Kontrast zu den anderen, die eher stimmungsgetrieben sind. Bei „Viele Leute gucken“ liegt der Fokus auf dem Text. Du benennst sehr viele Themen sehr klar, reißt sie aber nur an und lässt viel Interpretationsraum.

Ja, ich kann Sachen ja ansprechen, aber wenn ich sie dann nicht so detailliert ausführe, ist es auch ein Schutz, den ich dann habe. Für mich ist es schon ganz klar, was ich damit meine, nur die Person, die sich den Song anhört, kann selber entscheiden, was sie da jetzt raus hört. Das ist keine Absicht, sondern es ergibt sich beim Schreiben aus dem Moment heraus, aus dem Text, den ich schon im Kopf habe und auch aus dem Beat.

Dadurch wirkt es fast wie ein Bewusstseinsstrom. Als würde so viel in deinen Kopf kommen, dass du nur von einem Punkt zum andern springen kannst. Wenn du an die vielen angesprochenen Themen denkst, was ist das Lied für dich?

Auf jeden Fall meine Erfahrungen mit Rassismus, aber auch der Schmerz, ich will nicht sagen Weltschmerz, aber der Schmerz, den ich verspüre, der nicht nur mir gilt, sondern auch allen anderen Menschen, die Ausgrenzung erfahren. Das trägt man ja auch in sich. Dann aber auch das Leben einfach zu meistern, trotz all der Hürden. Den Kopf voll zu haben und gleichzeitig auf eigenen Beinen stehen zu müssen, was auch nicht einfach ist und dann trotzdem den Entschluss zu fassen, weiterzumachen. Also dieses Weitermachen, weitermachen, weitermachen, Hürden besiegen. Das macht müde, aber trotzdem entscheidet man sich, weiterzumachen. Ich glaube, der Song hat dem Gefühl dann Raum gegeben und die ganzen Erfahrungen haben da einen Platz gefunden. In dem Song gebe ich den Sachen Platz, die in mir sind und die ich immer mit mir rumtrage, um dadurch auch ein bisschen Entlastung zu erfahren.

Setzt du dir inhaltlich Grenzen?

Ich habe einen ganzen Song über meinen Vater gemacht, der gestorben ist, als ich 13 war. Den habe ich noch gar nicht veröffentlicht. Das ist einer meiner Lieblingssongs, ich finde den sau schön, weil er einfach sehr schön geschrieben ist. Da ist dann die Überlegung, wann bringe ich den raus, wie bringe ich den raus. Der ist auf Französisch, ich glaube, das würde in Frankreich viel mehr Anklang finden. Grenzen gibt es dann vielleicht in dem Sinne, dass es Sachen gibt, die ich dann eher auf Französisch erzählen würde. Ich würde dann die Sprache wechseln, wenn ich das Gefühl habe, ich will mich nicht so entblößen.

Auch im nächsten Song bleibt es persönlich. „Ensemble“ hast du an dem Abend geschrieben und aufgenommen, als du dich gerade von deinem Ex-Freund getrennt hattest. Du kannst den Song also immer auf einen genauen Moment in deinem Leben zurückführen. Hat sich die Erinnerung daran für dich verändert, durch das Schreiben und Veröffentlichen?

Ja es ist auf jeden Fall schön, weil ich einen Moment meines Lebens damit festgehalten habe, auf den ich noch in zehn Jahren zurückblicken kann. Dadurch, dass ich diesen Song geschrieben habe, als mein Ex-Freund und ich uns getrennt haben, habe ich die Erinnerung durch den Song gefestigt.

„Vergessen“ war die erste Single zur EP. Warum hast du dich dafür entschieden?

Den Song habe ich mit Pablo schon aufgenommen, bevor ich mich entschieden habe, eine EP zu machen. Und dann haben wir ihn wiedergefunden, also es war ehrlich gesagt Zufall, dass er überhaupt auf die EP gekommen ist.

Es ist oft so, dass Musiker ihre Verwandtschaftsverhältnisse nicht öffentlich thematisieren. Warum ist das bei dir kein Thema?

Ich mache mir darüber einfach nicht so viele Gedanken. Ich sehe keinen Sinn darin, das zu verstecken. Wir sind Geschwister, haben denselben Vater und dieselbe Mutter, wir haben einen sehr ähnlichen Werdegang. Er schauspielert und macht Musik, ich schauspielere und mache Musik. Ich glaube wir ähneln uns und sind im selben Kosmos aufgewachsen. Da macht es auch einfach Sinn, dass wir ähnliche Interessen entwickelt haben. Natürlich kommen da Leute, die das judgen, aber im Endeffekt ist mir das egal, weil ich weiß, was ich kann und ich weiß, dass ich auch ohne ihn früher oder später angefangen hätte, Musik zu machen. Der Fakt, dass es mir wahrscheinlich auch geholfen hat, dass es ihn gibt, ist ja eigentlich nur gut. Ich meine, ich bin eine schwarze Frau, ich bin in meinem Leben im Vergleich zu weißen Rappern sowieso einen Schritt hinterher, weil ich schwarz bin. Dann kann ich das doch mit Freude und mit Stolz sagen, dass es cool ist, dass mein Bruder vor mir was gemacht hat und damit was erreicht hat und ich davon wahrscheinlich auch ungewollt profitieren kann. Es ändert auch nichts an meiner Kunst, sie findet dadurch nur mehr Gehör. Die Kunst wäre so oder so entstanden.

Wahrscheinlich musste es auch so sein, dass er ein Teil deiner EP ist, weil ihr euch auch total in eurem Werdegang, eurer Musik und eurer Kunst gegenseitig beeinflusst.

Voll. Ich glaube, es wäre schade gewesen, wenn er nicht drauf gewesen wäre. Ich wollte ihn auch auf der EP haben, weil ich ihn einfach liebe und er mein Bruder ist. Es ist für mich schön, zu sehen, dass es ihn gibt, dass er mich unterstützt und dass er mit mir zusammen Musik machen kann. Ich würde auch am liebsten, wenn ich dann Konzerte gebe, ihn auch immer auf der Bühne haben als Unterstützung. Es ist einfach ein gutes Gefühl und ein Schutz, zu wissen, dass da jemand ist, der das vor mir gemacht hat und mir Sicherheit geben kann.

Deine Geschwister und du habt sehr ähnliche Lebensentwürfe. Wie gehst du mit Druck oder Neid um?

Das klingt vielleicht ein bisschen unrealistisch, aber ich fühle gar keinen Neid. Ich bin eher stolz, dass er schon gefestigt dabei ist und freue mich für ihn, aber ich bin mir meinem Werdegang auch ziemlich sicher. Ich bin zuversichtlich, dass das was ich möchte, in irgendeiner Form stattfinden wird und dass ich meinen Platz finde. Dass ich genau das machen werde, was ich machen will. Ich bin da selbstsicher, glaube ich, dass das, was ich als Joy, als BABYJOY mache, für mich genau richtig sein wird.

„Lies“ ist dann der sehr runde Abschluss der EP, inklusive Gänsehautmoment mit der Memo deiner Oma.

Ich muss sie unbedingt anrufen, aaaah, ich habe so lange nicht mehr mit ihr telefoniert (lacht). Lies ist tatsächlich mein Lieblingssong von der EP, das ist auch der Song, den ich immer noch höre. Weil man so driften kann. Es ist ein bisschen persönlich und ein bisschen traurig und man kann so gut dabei fühlen.

Wie wichtig ist dir dieser familiäre Rückhalt? Dass deine Familie das gut findet, was du machst?

Ich habe vier ältere Geschwister, die teilweise auch Kinder haben. Das ist das, was mich auch stützt. Aber sonst habe ich elterlich keinen gestärkten Rücken. Mein Vater ist früh gestorben und mit meiner Mutter bin ich brüchig in Kontakt. Mit ihr war es auch nicht immer einfach, sie lebt ein bisschen in ihrer eigenen Blase und ihr fällt es glaube ich auch schwer, sich mit mir konstant auseinander zu setzen, auf eine hilfreiche, mütterliche Art und Weise. Demnach war ich relativ früh auf mich allein gestellt, aber umso wichtiger ist mir dann, dass ich weiß, ich habe Geschwister, die da sind. Ich glaube, ohne meine Geschwister sähe mein Leben ganz anders aus, weil ich durch sie einen anderen Rückhalt habe. Keinen elterlichen, aber Geschwister geben einem auch so viel. Auch Tante zu sein, ist einfach ein gutes Gefühl. Das ist mir schon sehr wichtig, das gibt mir viel Kraft.

Lass uns doch noch einen Blick in die Zukunft werfen. Ich habe gehört, dass du eine Schauspielausbildung anfängst. Wie kommt es zu dem Zeitpunkt?

Mir ging es um Weihnachten herum mental nicht so gut und ich dachte, ich muss irgendwas machen. Ich brauche einen Rahmen, ich muss eine Zeit haben, wann ich aufstehe, ich brauche Aufgaben. Ich dachte, ich kann jetzt einfach nur Mucke machen, aber das reicht mir nicht, das füllt meinen Tag nicht so, dass ich auf Trab bin. Dann habe ich mich einfach an dieser Schauspielschule beworben.

Hast du Angst, dass du die Musik dadurch vernachlässigen musst?

Ich dachte, es muss jetzt was passieren und eine Schauspielausbildung ist gerade das Beste, was ich machen kann. Ich glaube, man muss einfach immer probieren. Nichts machen, ist auch nicht die Lösung und Musik machen ist ja nichts, was wegfällt. Ich weiß auch noch nicht, ob ich jetzt ein Album mache oder eine weitere EP oder erstmal nur Singles mit Features drauf. Ich denke, dass die Ausbildung auch für die Kreativität nicht schlecht ist, weil man einfach mehr lebt und mehr macht und das Musikmachen damit dann einhergeht. Ich habe mir am Anfang Druck gemacht und dann gemerkt, dass das gar keinen Sinn ergibt, weil ich unter Druck sowieso keine Musik machen kann. Und jetzt bin ich hart am Chillen muss ich sagen. Und jetzt wo ich chille, denke ich oft, oh, jetzt ins Studio gehen wäre nice. Druck ist der Töter für alles Mögliche.

Also können wir uns auch auf neue Musik von dir freuen?

Jetzt, wo ich einfach wieder mein Leben lebe, habe ich richtig Bock wieder ins Studio zu gehen. Ich bin auch zuversichtlich, dass es mir allgemein gut geht, wenn ich zufrieden bin mit dem, was ich mache, in dem Fall die Ausbildung, die in drei Wochen anfängt. Es geht darum, dass man das macht, was einen erfüllt und dabei bleibt dann auch die Kreativität am Leben. Wenn man erfüllt und glücklich ist, hat man halt auch Bock kreativ zu sein und ins Studio zu gehen und das mit den Leuten zu teilen.

Vielen Dank für das Interview!

Hier gibt’s das Video von BABYJOY zu „Viele Leute gucken“:

Fibel tauchen mit „Odyssee“ in die griechische Mythologie ab

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Fibel
Fibel veröffentlichen "Odyssee"

Nach dem Release von „Winter“ ist „Odyssee“ die zweite Singleauskopplung aus Fibels EP „Avatar“, die am 30. Juli erscheinen wird.

„Zwischen Skylla und Charybdis – bis ich dich wieder seh“. Zwei Meeresungeheuer aus der griechischen Mythologie, die Schiffe an der Durchfahrt durch die Straße von Messina hindern. Fibelbedienen sich hier an einem Bild, dass für die unmöglich zu treffende Wahl zwischen zwei Übeln steht. Quasi Pest und Cholera – bloß mit Studium.

Bedeutungsschwere Referenzen wie diese können schnell in platte Symbolik umschlagen. Denkt kurz an die ewigen Narziss-Anspielungen, an Medusa, Kalypso – und damit eigentlich auch an die Odyssee. Fibel umgehen dies durch ihre gekonnte Unklarheit. So nah die Vermutung auch liegt, dass die Odyssee für eine komplizierte Beziehungen steht, so vage und assoziativ bleiben die Bilder. Kristalle, Trance, Schleierkraut – was einer verspulten Traumwelt entstammen könnte klingt musikalisch mindestens so episch wie der Titel vermuten lässt.

Der Sound erinnert in seiner Dichte und seiner Liebe für Spielereien an britische Indie-Rock-Größen wie Foals oder Editors. Breite Gitarrenwände und flirrende Synthies füllen das Soundbild im Chorus. Der Bass zerrt und knarzt, lässt wiederum Lücken in den Strophen, die Sänger Jonas Pentzek zu füllen weiß.

Mit ihrer ersten EP „Kommissar“ gelang Fibel 2018 der erfolgreiche Einstieg in die Musikwelt. Frisch von der Pop-Akademie Mannheim wagten die Musiker den Sprung nach Berlin und auf die Bühnen des Landes. Die musikalische Reife von „Winter“ und „Odyssee“ lässt hoffen, dass Fibel mit ihrer EP an den Erfolg ihres Vorgängers anknüpfen können.

Seht euch hier das Video zu „Odyssee“ an:

Exklusive Videopremiere: Donkey Kid pendelt in „Birdhouse“ gedanklich zwischen UK und Berlin

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Donkey Kid // © Alfa

Mit Donkey Kid aus Berlin-Steglitz haben wir es mit einem der aktuell vielversprechendsten Newcomer zu tun. In „Birdhouse“ zeigt er, dass man den musikalischen Vibe UKs problemlos zwischen Berliner Plattenbauten setzen kann. 

Berlin-Steglitz gilt nicht unbedingt als das aussagekräftigste Viertel der Hauptstadt. Vielleicht entstehen gerade deshalb in dem Kopf des Newcomers Donkey Kid dermaßen viele Songideen. Ein gutes Beispiel dafür ist seine neue Single „Birdhouse“. Doch erst zurück zu Donkey Kid. Der erst 19-jährige Musiker ist in dem oben genannten Viertel aufgewachsen und hat bereits früh in seinem Zimmer an eigenen Songs und musikalischen Ideen gearbeitet. Und diese zeigen, was das Genre-Bedroompop oftmals ausmacht: Es ist ein Ausbrechen in neue Welten, Traumwelten.

Der Sound von Donkey Kid klingt nämlich so gar nicht nach deutschem Bürgertum und Langeweile. Vielmehr fühlt man sich mitgenommen auf eine Reise nach UK – ohne dabei auf die gängigen Klischees zu setzen. Sein Songwriting erinnert in seiner Absurdität an Alex Turner, wenn es heißt: „The birdhouse always empty, Cause I’m a cat“. Eine ähnliche Zeile könnte jedoch auch von einem gewissen King Krule kommen, an die auch die gelassen-kratzig fast langweilig eingestellte Stimme erinnert. Seine neue Single „Birdhouse“ wird getragen von Chords auf dem Wurlitzer, fühlt sich reif und unbefangen gleichzeitig an. Es ist genau diese Reife und diese Selbstsicherheit, die Donkey Kid als Newcomer von der Masse abhebt. 

Im dazugehörigen Video verbindet er alle Punkte miteinander in der er sich in Steglitz herumtreibt. Donkey Kid drehte die Szenen zusammen mit dem Künstler und Musiker Valentin Hansen – beide sind in Berlin aufgewachsen und haben den Vibe der Stadt zwischen Straußberger Platz und Hasenheide wunderbar eingefangen. „Birdhouse“ ist ab sofort auf allen gängigen Plattformen verfügbar. 

Das Video zu „Birdhouse“ von Donkey Kid gibt’s hier:

Verschwende deine Zeit mit Edwin Rosen

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edwin rosen verschwende dein Zeit
edwin rosen verschwende dein Zeit

Mit seiner neuen Single „Verschwende deine Zeit“ gelingt Edwin Rosen eine Bestandsaufnahme der Gegenwart. Lethargie statt Leistungsdruck.

Verschwende deine Jugend“ sang bereits Gabi Delgado in den frühen 80ern. D.A.F. schufen mit der Veröffentlichung des Songs eine Parole, die bis heute für eine popkulturelle Ära steht. Der Schriftsteller Jürgen Teipel bediente sich an dem Titel für seinen Doku-Roman, in welchem er sich mit der Punk und New Wave-Szene eben dieser Zeit auseinandersetzte. So löblich das Vorhaben auch klingt, so aus der Zeit gefallen wirkt es heute. Statt Zeit verschwenden stehen Selbstoptimierung und Leistungsdruck auf der Agenda.

Nicht so bei Edwin Rosen. In seiner neuen Single „Verschwende deine Zeit“ greift er das Credo der Punk-Bewegung auf und lässt dabei zunächst Spielraum für Interpretationen. „Du verschwendest deine Zeit mit mir“ mutet wie die Einsicht über eine endende Beziehungen an. Plottwist, am Ende wird die Zeit gemeinsam verschwendet. Lethargie-Romantik statt aggressiver Verweigerungshaltung. Was verdächtig gut in die Zeit passt, wird vielleicht gerade deshalb so gehyped.

„Verschwende deine Zeit“ ist für Edwin Rosen keine musikalische 180 Grad-Wendung, sondern reiht sich nahtlos in seine bisherigen Veröffentlichungen ein. Verhallte Drums, verhallte Synthies und verhallte Vocals, die teilnahmslos und betroffen zugleich klingen. Ihm geht es nicht um irgendeine Art von Entschleunigung, die seit Corona als utopische Idylle des abgesicherten Mittelstands heraufbeschworen wird. 2017 sang Maurice von Bilderbuch noch „I love stress“. Das dürfte für einige heute vorbei sein. Edwin Rosen geht es um nichts. Höchstens um den Zustand, in dem das Leben langsam an einem vorbei zieht. Und damit trifft er den Zeitgeist. Mal wieder.

Hier gibts das Video zu „Verschwende deine Zeit“

Das Leben ist kein Boiler Room. Orinch läd mit seiner EP zum Berliner „Antonplatz“ ein

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Orinch Antonplatz
Foto: Laura Mingo

Auf seiner Debüt-EP reflektiert Orinch die Schattenseiten der Großstadtexistenz. Zwischen Trap und Elektronikeinflüssen, Melancholie und Feierwut hat der Musiker eine ganz eigene Sprache gefunden.

Kreuzberg, Friedrichshain, Neukölln – lang und berühmt ist die Liste der Berliner Trendbezirke. Hier wollen alle hin, hier wird alles abgefeiert. Von nie endenden Partys bis zur unverpackten Öko-Aubergine. Ein Kult, der irgendwie gerechtfertigt, aber oft genauso nervig ist. Umso schöner, dass Orinch seine Debüt-EP nach dem Antonplatz benannt hat. Verkehrsknotenpunkt im Norden der Hauptstadt, genauer in Berlin Weißensee. Eigentlich noch mittendrin, aber gerade so weit ab vom Schuss, dass man sich eher selten zufällig dorthin verirrt.

„Meine Freunde aus dem Süden haben es nie an den Weißensee geschafft“ offenbart Orinch das Dilemma. Das dazugehörigen Video beleuchtet die eintönige Normalität in VHS-Optik. Zwischen Trinkhalle und billigem Döner, Hartz4 und BRD-GmbH-Verschwörung erstickt die traurige Banalität des Alltags jede Großstadtromantik im Keim. Ähnlich wie in „5HTP“ bleibt die Perspektive eine beobachtende. So abseitig und unspektakulär wie der Antonplatz im Verhältnis zu Berlin sind auch Orinchs Beschreibungen der Szenen. Trotz aufblitzendem Humor und ständiger Melancholie bleibt er Teilnehmer am Rand.

Die EP wurde von Orinch selbst produziert. Einflüsse von Tua und Zugezogen Maskulin sind kaum zu überhören. Er selbst verortet seine musikalische Sozialisation zwischen HipHop, UK-Bass und der Berliner Elektronikszene. So unterschiedlich diese Genres auch sein mögen, so schlüssig verschmelzen sie hier zu einem konsistenten Soundbild. Jaulende Lead-Synths durchbrechen sphärische Pads, Trap-Hihats werden von Beats abgelöst, die in jedem Berliner Gewölbekeller bestens aufgehoben wären.

„Zu zweit ist man doppelt allein/ich bin in guter Gesellschaft mit meiner Unzufriedenheit“

Apropos Berliner Gewölbekeller. Das Clubleben bleibt fast durchgehend thematischer Dreh- und Angelpunkt der EP. In „Sumpf“ verfällt Orinch in eine Selbstanklage, die an depressive Momente durch chemisch bedingten Dopaminmangel erinnert. „Ich steh allein in der Schlange, denn ich will da nicht zum Vergnügen rein/ich beneide gerade alle, die um diese Uhrzeit über Gefühle streiten.“ Auch die Erzählung in „Sommernachtstraum“ ist im Feier-Kontext zu verorten. Blicke, die sich treffen werden zum Wunsch nach einem gemeinsamen Frühstück. „Du und ich langsam Klingenschildmaterial.“ Besonders interessant ist hier ein erwähntes auswendig gelerntes Heine-Gedicht, das am Ende des Songs über ein gesampletes Cembalo vorgetragen wird. Selbstironie meets Clubromantik.

Auf die ausgiebigen Party-Reflexionen folgt „Dsdsd“ (Deutschland sucht den Superdiktator) als einziger thematischer Ausreißer. Orinch setzt sich hier mit den in „Antonplatz“ angerissenen Verschwörungsthematiken auseinander, die besonders am rechten Rand Anklang finden. Beendet wird die EP im gnadenlosen Exzess von „Extro Energie“, der gleichzeitig den Kreis zu „5HTP“ schließt.

Orinch selbst zog mit Anfang 20 in die Hauptstadt. Wie viele Zugezogene sah auch er sich zunächst mit den unendlichen Möglichkeiten der Selbstfindung konfrontiert. Er fand Anschluss an die Elektronikszene. In seinen Texten zeigt er jedoch, dass nicht alles Geborgenheit verspricht, was einen Sepia-Filter trägt. Die Glücksversprechen der Großstadt sind häufig auch nur eine Frage der Perspektive. „Antonplatz“ ist das Changieren zwischen Extremen. Lethargische Traurigkeit und Selbstanklage stehen Exzess und der Sehnsucht nach Ausbruch gegenüber. Irgendwo dazwischen ist alles halb so wild. Zwar ist die Melancholie ständiger Begleiter, aber die hohen Erwartungen wirken unwichtig angesichts der ganz normalen Banalität. Denn hier findet am Ende das meiste statt. Nicht in der Selbstaufgabe im Exzess oder in der totalen Isolation, sondern in den Grauzonen. Mittendrin, aber nicht ganz. Eben: am Antonplatz.

Schaut euch hier das Video zu „Antonplatz“ an