Vier Tage sind wir für euch zwischen Sonnenschein und dem typischen Hamburger Nieselregen vom Knust bis in die Elbphilharmonie umhergestreunt, um uns an musikalischen Highlights zu bereichern. Das Reeperbahn Festival hat auch dieses Jahr unter bekannten Umstände alles rausgeholt, was möglich war und hier auch hier und da an seine Grenzen gestoßen. Wir nehmen euch ein Stück mit.
Am ersten Tag zeigt sich Hamburg definitiv von seiner besten Seite und die Sonnenstrahlen rücken das Festival Village und seine Besucher ins richtige Licht. Das Programm des Festivals ist prall gefüllt mit Acts, Panels und Awards. Wie immer ist die Auswahl gar überfordernd, würde man doch am liebsten zu jedem einzelnen Konzert gehen können. Aber bevor hier überhaupt ein Fuß in irgendeinen Club gesetzt werden kann, muss sich jeder Besucher seinen 3G-Nachweis in ein pinkes Bändchen umwandeln lassen. Zusätzlich hat sich das Reeperbahn Festival dieses Jahr mit einer App verknüpft, über dich sich beim Betreten jeder einzelnen Venue mit einem QR-Code ein-und ausgeheckt werden muss.
Es ist nicht zu leugnen: Corona wirft nach wie vor einen Schatten auf ein unbeschwertes Festivalerlebnis. Masken sind Pflicht, in den Konzerträumen gibt es Kreuze auf dem Boden die dir sagen, wo du stehen darfst und wo nicht. Zusätzlich sind die Kapazitäten sehr limitiert. Delegates und Journalisten haben Vorrang, die „normalen“ Besucher müssen warten. Lange Schlangen vor den Clubs sind die Folge. Wir haben schnell gemerkt: Einen gar zu ambitionierten Festivalplan sollte man lieber auf zwei bis drei Konzerte beschränken.
In den sozialen Medien hagelt es Kritik an der Umsetzung des Festivals. Hier und da hört man sogar Beschwerden, dass manche Festivalbesucher kein einziges Konzert sehen konnten. Das Reeperbahnfestival hat inzwischen dazu Stellung genommen. In ihrem Statement sagen sie unter anderem: „Der Run auf die Indoor-Clubshows hat uns überrascht. Als wir dies festgestellt haben, haben wir umgehend versucht, die Besucher*innenströme mittels der App zu den Spielorten zu leiten, in denen noch jede Menge Platz war – was leider nicht besonders erfolgreich war. Wenn man sich ein Ticket kauft und am Ende nur einen oder gar keinen Programmpunkt erleben kann, den man sich vorgenommen hatte, ist das frustrierend. Das ist absolut nachvollziehbar. “
Für die Festivalbesucher*innen, die tatsächlich ohne Konzerterlebnis nach Hause gehen mussten, natürlich kein besonders großer Trost. Aber wenigstens Einsicht von Seiten des Veranstalters. Zumindest lassen sich in Schlangen wohl die besten Gespräche führen. Hat man endlich die finale Pforte passiert, wird dir gezeigt, wo du dir einen Platz suchen darfst. Das Positive: Dadurch, dass es nicht so voll ist, sieht man eigentlich von überall gut, muss nicht drängeln und hat genug Platz.
Von atmosphärischem Austro-Pop zu Rock am Ring-Feeling
Am Festival-Mittwoch tummelt es sich vorm Knust. Hier spielt heute die österreichische Band Buntspecht, die wahrscheinlich noch nicht jeder auf dem Schirm hat. Indie-Pop gespart mit der extravaganten Stimme seines Sängers Lukas Klein, der mit Kleid, aber ohne Schuhe die Bühne betritt. Wir lassen uns treiben und hineinziehen in die melancholischen, andersartigen Songs. Wie vielseitig das Lineup des Reeperbahn Festivals wirklich ist, merken wir spätestens, als wir am selben Abend draußen an der „Arte Concert Stage“ stehen, wo Kadavar ihr Set zu Besten gibt. Eine musikalische 180-Grad-Drehung von Indie-Pop zu Psychedelic-Rock.
Das Reeperbahnfestival nimmt auch den aufstrebenden Post-Punk aus UK in den Blick. Während uns der Eintritt bei Famous im Molotow verwehrt bleibt, schaffen wir es am Donnerstag zu Working Men’s Club in den Grünspan und zu PVA in den Nochtspeicher. Die beiden sehr jungen Bands aus Großbritannien liefern treibende Power-Sets irgendwo zwischen Post-Punk, Dance und Acid House.
Treibend ist auch der Auftritt von Edwin Rosen im Grünspan, der Indie-Deutschland im vergangenen Jahr mit seiner „neueneuedeutschewelle“ wachrüttelte. New Wave mit verhallten Synthies und verhallten Vocals tönt durch den Club an der Großen Freiheit, der die beiden Musiker mysteriös-teilnahmslos, aber gleichzeitig wahnsinnig mitreißend erscheinen lassen. Letzteres bestätigen die vielen tanzenden Menschen im vollen Club. Wir sind Fans, keine Frage. Mehr zu Edwin Rosen gibt es in unserem Interview.
Zwischen Licht, Rap und Schatten
Mit Schmyt hat sich das Reeperbahn Festival wohl einen der begehrtesten Newcomer des Jahres ins Lineup geholt. Wenn man hier überhaupt noch von Newcomer sprechen kann. Schmyt, füllt am Freitag das Uebel & Gefährlich gleich zweimal. Einmal davon, weil Mavi Phoenix ihren Gig kurzfristig absagen musste. Schmyt passt perfekt in die im Bunker integrierte Location. Hinter ihm flackern die Lichter. Seine Songs wechseln von melancholisch wie bei „Keiner von den Quarterbacks“ zu mitreißend Tanzbar wie bei „Gift“. Mit seiner charmanten Art und dieser gewissen Aura zieht er an diesem Abend wohl jeden in diesem Laden in seinen Bann. Inklusive uns.
Ein Lichtermeer erwartet uns auch beim Konzert von Goldroger. Im Mojo Club tummeln sich die Zuschauer auf zwei Ebenen und scheinen den Künstler gar zu umzingeln. Alles ist erleuchtet, gar hypnotisierend, während wir zu Songs wie „Lavalampe Lazer“ tanzen. Es soll sein letztes Konzert dieses Jahr werden, eh es für Goldroger im Januar 2022 wieder auf große Tour geht. Vielleicht war diese Gig deshalb so besonders.
Aus der Kirche in die Elbphilharmonie
Neben Open-Air-Veranstaltungen und Club-Konzerten hat das Hamburger Festival auch dieses Jahr wieder einige besondere Locations aufgefahren. Ein Highlight: Der Auftritt der Crucchi Gang im Michel. Wann sieht man schon mal Sven Regener, Tobias Bamborschke und Matthias Rohde gemeinsam auf einer Bühne? Platz nimmt man hier in den Rängen, in denen sonst gebetet wird. Heute leuchtet hier das Reeperbahn Festival Schild vor dem Altar, während Steiner und Madlaina einen ihrer Songs auf italienisch singen. Auch Konzerte in der St. Pauli Kirche – zwischen Reeperbahn und Park Fiction – haben ihren Charme. Ein gutes Beispiel dafür ist Thala, die uns mit ihrem Dream-Pop in sphärische Weiten entführt. Und das vom Altar aus, auf knartschigem Holzboden und zwischen Gebetsbüchern.
Nicht weniger eindrucksvoll wird es, als wir die Rolltreppe in der Elbphilharmonie empor fahren, im großen Saal platz nehmen und das Konzert von Alice Phoebe Lou verfolgen. Ihre kindliche unbeschwerte Performance stellt gar einen Bruch zu der pompösen Halle dar. Was es eigentlich noch viel einzigartiger macht.