„Everyone, send your thoughts to slowthai. Fuck knows where he is but god bless the boy“. Mit diesen Worten vom The 1975-Frontmann Matt Healy startet slowthais Song „ENEMY“. Sie fassen vieles von der Zeit zwischen Tyron Framptons erster und zweiter Platte zusammen: Hype, Shitstorm, Rückzug und „Comeback“. Wir haben mit slowthai über sein neues Album „TYRON“ (VÖ: 12. Februar), eine schwierige Zeit in seinem Leben, „Toxic Masculinity“ und die UK Post-Punk Szene gesprochen.
Es ist das comicartige Grinsen eines verschmitzten Jungen, das zum Interview in die Webcam strahlt. In langgezogenen und langsamen Silben wählt Tyron Frampton, aka slowthai, seine Worte weise aus. Immer wieder schaut er schüchtern auf den Boden, wirkt introvertierter, als manch einer erwarten würde. Denn: Die Welt kennt ihn als lautes Sprachrohr der britischen Unterschicht. Sein Debüt „Nothing Great About Britain“ katapultierte slowthai im Jahr 2019 in die Topliga des UK-Rap. Ein Hype – nicht nur in seiner Heimat Großbritannien.
Anschließend schwimmt der Junge aus Northampton auf einer Welle der Euphorie. Aufgewachsen in einfachen Verhältnissen, aufgezogen lediglich von seiner Mutter, hat er es geschafft und dem Empire gleichzeitig den Spiegel vorgehalten. „Fuck Boris“ skandiert er bei Auftritten, hält bei den Mercury Prize Awards sogar den abgetrennten Kopf einer Premierminister-Puppe in die Luft. slowthai performt ausgelassen, nahezu hyperaktiv und halbnackt. Er liebt es zu polarisieren und schlägt über die Stränge.
Bei den NME Awards 2020 wird er als „Hero Of The Year“ ausgezeichnet und flirtet zunächst harmlos mit Moderatorin Katherine Ryan. Doch im Laufe des Scharmützels geht Frampton zu weit und bedrängt sie unangenehm – vor Hunderttausenden Zuschauern. Und auch obwohl er sich danach für sein absolut beschämendes Verhalten entschuldigt und Ryan es ihm nicht übel nimmt – ein gewisser fader Beigeschmack bleibt.
slowthai wird auch unter anderem deshalb ruhiger, lässt in der Folge seine Finger vom Alkohol. In eine für ihn schwierige Zeit, kickt dann auch das Coronavirus und damit die Isolation ein. Nach all dem Hype, den weltweiten Auftritten, der harschen Gesellschaftskritik und dem Fokus, der auf ihn lastet, beschließt er, sich auf sich selbst zu konzentrieren.
Er nimmt ein neues Album auf. Es ist seine Antwort auf die vergangenen Monate, die nicht nur wegen Featuregästen á la James Blake, ASAP Rocky, Skepta oder Dominic Fike überzeugt. „TYRON“ ist ein Mix aus roughen Rapparts und für ihn ungewohntem, souligen Pop. Der Musiker schafft es auf seinem zweiten Album eine Ausgeglichenheit zu kreieren, die sowohl den bekannten, gesellschaftskritischen „Nothing Great About Britain“-Schrei in die Welt, aber viel mehr noch eine 180 Grad Wende beinhaltet und dadurch das Innenleben des Tyron Frampton widerspiegelt.
Tyron, mit welchen Problemen hattest du in den vergangenen Monaten zu kämpfen?
Mit meiner psychischen Gesundheit. Weißt du, es ist einfach schwierig mit Momenten umzugehen, die dich herunterziehen, insbesondere wenn du sehr lange auf einem so krassen Hoch warst. Diese „Down“-Phasen waren hart. Ich habe in der Zeit zu viele Medikamente und Drogen genommen, lungerte viel rum. Dann habe ich aber versucht einen klaren Kopf zu bekommen und besonnener zu werden.
Das hat auch dein Album inspiriert. Wo siehst du die Unterschiede zu „Nothing Great About Britain“?
Das Album ist viel persönlicher. Es ist nicht so politisch und schaut eher nach innen, als nach außen. Generell kann ich sagen, dass ich mich mit der Platte selbst finden möchte. In den vergangenen Monaten hatte ich komplett aus den Augen verloren, was ich eigentlich im Leben will oder wer ich bin. Durch „TYRON“ hat sich das geändert.
Die erste Seite der Platte ist erneut sehr maskulin, sehr rau und sehr überheblich. Die zweite Seite ist dann eher zurückgezogen und entspannt. Fasst das die zwei Seiten des slowthai zusammen?
Ja, kann man so sagen. Aber jede Person zeigt sich doch irgendwie von mehreren Seiten, oder? Ich habe einfach versucht genau das mit der bestmöglichen Transparenz nach außen zu tragen. Ich wollte den Leuten einen Einblick in meine Psyche geben. Damit sie das vielleicht auf sich selbst abbilden und sich fragen, wer sie sind oder wer sie sein wollen.
Eine gewisse Balance ist also wichtig…
Ey, Balance im Leben ist alles! Ying und Yang! Du brauchst sowohl das Zerstörerische und Chaos, als auch eine gute Übersicht und Fokus. Und das kann ich am besten durch meine Musik veranschaulichen, weil ich bin echt kein guter Redner. Meine Songs sind da fast mein einziger Output. Vielleicht fange ich daher irgendwann mal an professionell zu kämpfen oder so. Wobei da könnte ich dann auch nur meine Faust sprechen lassen…
Wo wir dann wieder eher bei der maskulinen Seite wären. Dabei dreht sich dein Album eben auch um Einsamkeit, Selbst-Findung und dem offenen Umgang mit Gefühlen. Alles Dinge, die meiner Meinung nach sehr wichtig sind, um „Toxic Masculinity“ zu brechen. War es dir wichtig, das aufzugreifen?
Ja klar! Wir alle fühlen doch die selben Dinge. Es ist viel tapferer Gefühle zu zeigen, als sie zu verstecken. Warum ein männliches, böses Gesicht aufsetzen für Leute, die immer noch in alten Mustern denken? Warum nichts anmerken lassen? Damit stellst du nur einige außenstehende Personen zufrieden, aber sicherlich nicht dich selbst. Und wenn du selbst nicht glücklich bist, was zur Hölle ist dann der Sinn des Lebens? Genau sowas führt doch zu Depressionen und dann zu noch schlimmeren Dingen. Ich denke, das ist auch der Grund weshalb es viel mehr suizidiale Männer als Frauen gibt.
Da spielt das zwanghafte Streben nach Perfektion sicherlich ebenfalls mit rein. Auch das ist Thema auf „TYRON“. Warum sprichst du das an?
Weil nichts im Leben perfekt ist. Für mich bedeutet Perfektion Unvollkommenheit. Die drüben in Japan haben das verstanden, da gibt es das Wabi-Sabi-Konzept. Das heißt, die Unvollkommenheit gibt uns Charakter und unterscheidet uns von anderen. Sie macht uns also einzigartig. Seid also einfach ihr selbst und werdet, wer ihr werden wollt. Hört nicht auf andere.
Ist das etwas, was du im vergangenen Jahr gelernt hast?
Keine Ahnung. Es ist etwas, das ich irgendwie schon immer wusste. Aber vielleicht brauchte ich einfach nochmal eine Bestätigung. Früher oder später merken wir es alle: Etwas hinterher zu jagen, das eigentlich gar nicht da ist, ist unmöglich.
Weil du dich auf dem Album so sehr mit dir selbst beschäftigt hast, muss ich dich fragen: Welcher Song ist dir denn dann eigentlich am wichtigsten?
ADHD (zu deutsch: ADHS Anm. d. Red.). Mit dem connecte ich am besten, Bruder. Er fasst den Tiefpunkt zusammen, an dem ich war. Das ist eben unter anderem auch der ADHS geschuldet. Durch meine Hyperaktivität schaffe ich es oft nicht, mich zu konzentrieren. Der Song zeigt also wo ich war, aber auch, dass ich verstanden habe, andere Menschen mehr wertzuschätzen.
Am Ende des Tracks (letzter Song der Platte Anm. d. Red.) brichst du in einem Schrei aus, als sei das Album auch eine Art Erlösung. Diese Energie zeigt sich aber auch generell in den ersten Songs der Platte, die die Post-Punk-Grime-Vibes aus Großbritannien mitbringen. Hau raus: Lässt du dich von der Post-Punk Szene beeinflussen?
Ja! Mit Fontaines D.C. und Idles bin ich sehr eng verbunden. Das sind alles wirklich so liebe Typen, die mich sehr inspirieren. Die machen auch einfach was sie wollen. Keine Kompromisse, ihnen ist es scheissegal, was andere über sie denken. Und was beide in einer so kurzen Zeit für Musik herausgebracht haben – das ist phänomenal. „A Hero’s Death“ von Fontaines ist für mich ein perfektes Album. Das hat einfach alles, was ein Klassiker heutzutage braucht. Nochmal: Die Jungs sind klasse. Es ist das Irische in ihnen, Bruder.
Deren und deine Attitüde haben definitiv etwas gemeinsam.
Ja, ich glaube, sie funktioniert sowohl im (Post-)Punk, als auch in meinem Rap sehr gut. Wir sind ehrlich und drücken ohne Umwege aus, was Phase ist. Es sollte komplett egal sein, was die Regierung oder sonst wer denkt. Ich möchte einfach für mich und meine Leute sprechen. Das ist eben meine Art mit meinen Fans zu connecten und meine Meinung zu äußern.
Wo wir schon über Einflüsse sprechen: Du hast auf deiner neuen Platte unter anderem James Blake und ASAP Rocky mit an Bord. Wie war die Zusammenarbeit?
Die Arbeit mit James war sehr wichtig, weil es so unterschiedlich zu dem ist, was ich sonst mache. Als ich mit ihm am dem Song gebastelt habe, wusste ich, dass ich ein neues Album machen wollte. Der Sound von „feel away“ ist sowas wie ein Unterbau der zweiten „TYRON“-Seite. Mit Rocky war es ähnlich. Es tat gut, neue Dinge auszuprobieren.
Einen ähnlichen Sound fährt auch „nhs“. Ein Song, den du für den britischen Gesundheitsdienst geschrieben hast. Warum?
Die nhs war eigentlich nur die Inspiration für den Song. Ich wollte einen Track machen, der über die Wertschätzung handelt. Und da liegt der Gesundheitsdienst ja auf der Hand. Die Regierung pumpt so viel Geld in das Militär, aber nicht in die Pflegekräfte. Die arbeiten aktuell rund um die Uhr in Doppelschichten. Sie sehen also ihre Familie nicht oft und wenn sie nach Hause kommen, besteht die Gefahr, dass sie sie anstecken. Man muss für diese Menschen einfach dankbar sein und sie hochleben lassen, denn sie retten leben. Es geht also darum, das Gesundheitssystem wertzuschätzen und das auf das alltägliche Leben zu übertragen.
Du wurdest bei deinem Debüt als Sprachrohr der britischen Unterschicht betitelt. Mal abgesehen von der nhs, wie ist dein Verhältnis zu Großbritannien aktuell?
Um ehrlich mit dir zu sein, fokussiere ich mich da derzeit nicht so sehr drauf. Wir dürfen aktuell unsere Häuser kaum verlassen, von daher brauche ich mir mit Blick auf den Brexit auch keine Sorgen um das Reisen oder ähnliches machen. Die Effekte durch den Austritt aus der EU werden eh erst in einigen Monaten sichtbar werden. Bis dahin versuche ich in der Pandemie für meine Familie und meine Freunde da zu sein.
Trotzdem hast du dich in der Vergangenheit oft gegen den Brexit ausgesprochen. Du wurdest auch missverstanden. Einige Leute dachten, du hasst das Vereinigte Königreich. Andere wiederum sahen in dir einen EDL-Symphathisanten, nur weil du mit der Union Jack-Flagge posiert hast. Dabei hast du der Regierung lediglich kritisch einen Spiegel vorgehalten. Glaubst du, die Leute verstehen dich nun besser?
Man kann Niemanden zu seinem Glück zwingen. Ich glaube Leute, die nicht blind sind, wissen ganz genau, was die Message damals war. Ich denke aber, es hat die Leute angeregt über die Politik des Landes nachzudenken. Es ist einfach so: Wenn du deine Äußerungen und deine Meinung einmal herausgebracht hast, müssen die Leute schauen, was sie damit anfangen. Ich fokussiere mich aktuell aber eher auf andere Dinge.
Auf dein neues Album zum Beispiel. Eine abschließende Bemerkung zu „TYRON“, bitte!
Versucht nicht, die Erwartungen von irgendjemandem zu erfüllen. Macht einfach das, was ihr für richtig haltet und findet Glück, indem ihr auf euch selbst hört.