Phoebe Bridgers ist trotz ihrer jungen 25 Jahre ein alter Hase in der Indielandschaft. Ihre erst zweite Solo-Veröffentlichung „Punisher“ ist musikalisch ausgefeilter als ihr Erstwerk „Stranger In The Alps“ (2017). Das Album überzeugt mit scharfsinnigem Songwriting, tollen Arrangements und einer brutalen Offenheit. „Punisher“ schafft eine Gratwanderung zwischen Herzschmerz und Hoffnung.
„It’s not a love story – it’s a story about love“ heißt es in einem bekannten Independent-Liebesfilm aus dem Jahre 2009. Und es trifft in gewisser Weise auch auf das Zweitwerk von Phoebe Bridgers zu. Denn sie schreibt keine Liebessongs an sich, sondern befasst sich mit den immensen Auswirkungen, die von einer zerflossenen Liebe ausgehen können. “Punisher“ erforsche in gewisser Weise eine Taubheit und Ohnmacht, wie sie dem Rolling Stone Magazin erklärt.
Mit Blick auf die Texte ist das kaum zu übersehen. Eines von vielen Beispielen: „I can’t open my mouth and forget how to talk. Cause even if I could. I wouldn’t know where to start. Wouldn’t know when to stop“, singt sie auf dem gleichnamigen Song zum Album, der sich durch ein klavierbasiertes und hochemotionales Soundkleid, sowie gedämpft und zerbrechliche Vocals im Kopf der Hörer*innen verankert. Und dann merkt man: Diese Phoebe Bridgers-Melancholie ist immer noch da. Ein Gefühl, dem man kaum entkommt und in dem sich insbesondere junge Leute wiederfinden: Die Angst vor der Zukunft, sich verändernde Perspektiven und neue Lebenseinstellungen.
Auf der Suche
Doch nur diese Seite der Platte in Betracht zu ziehen, wäre nicht richtig. Denn gleichzeitig löst ihre Musik ein schwer zu beschreibendes Gefühl der Zufriedenheit aus. Ein Gefühl, das sinnbildlich auf die Schulter klopf und sagt: „Alles ist gut“. Im „Garden Song“ blickt Bridgers in die Zukunft und endet mit „No I’m not afraid of hard work. I get everything I want. I have everything I wanted“. Sie richtet den Blick nach vorne. Es ist die erste Single und nach dem Intro der zweite Song des Albums. Die anschmiegsame und bittersüße Folknummer erinnert musikalisch am ehesten an „Stranger In The Alps“.
Ganz generell ist Phoebe Bridgers kein Kind von Traurigkeit. Das fängt bei lustigen Tweets an, führt über ihre „World, Tour“, in der sie Konzerte aus ihrem Bad, ihrer Küche und ihrem Schlafzimmer gibt, und endet bei subtilem schwarzen Humor in ihren Texten. Doch sie scheint in der Musik ein Ventil zu finden, um ihr Innenleben und Fragen des Erwachsenwerdens auszuleben. Das tat sie zwar schon in ihrem Debüt, doch in „Punisher“ in einer noch ehrlicheren und direkteren Art.
„Punisher“ ist ehrlich und direkt
Bridgers hat sich in den vergangenen Jahren weiterentwickelt, zu einem Star der Indieszene. Durch die Zusammenarbeit mit Lucy Dacus und Julien Baker in der Supergroup boygenius, im Duett mit Indie-Darling Conor Oberst für Better Oblivion Community Center oder als Unterstützung für The 1975 und The National. Mit 25 Jahren hat sie bereits ein wahnsinniges Reportoire vorzuweisen und es scheint, als kommen ihr diese Einflüsse zu Gute.
Denn „Punisher“ ist auch musikalisch ausgefeilter und dynamischer als ihr Erstwerk. „Stranger In The Alps“ überzeugte mit einfachem Singer-Songwriter-Folk und durch intime Einblicke, die allerdings eher zurückhaltend waren. „Punisher“ baut atmosphärisch darauf auf und verfeinert den Sound mit vielen kleinen klangvollen Verzweigungen. Während ihre zweite Single „Kyoto“ poppiger und optimistischer klingt als je zuvor, sind „Halloween“ oder insbesondere der „Moon Song“ so herzzerreißend, dass es einem fast den Atem raubt: „Stuck your tongue down the throat of somebody who loves you more. So I will wait for the next time you want me. Like a dog with a bird at your door.“
Detailreiche musikalische Verzweigungen
In diesen Songs verweilt sie nicht einfach in den Folk-Gefilden der Vergangenheit. Im Gegenteil: An der einen Stelle tauchen Geigen auf, die sich harmonisch in den Klangteppich einweben, an der anderen Stelle gibt es gar orchestrale Auswüchse, die einen völlig überraschend übermannen. Das führt dazu, dass es bei jedem Durchlauf etwas Neues zu entdecken gibt.
„Punisher“ fasziniert und hält auf Albumlänge eine gewisse Spannung aufrecht. Das hat zum einen mit der weiterentwickelten Instrumentalisierung, aber auch mit dem Schwerpunkt der Angst, der Nostalgie, der Suche und ihrem Mut zu tun. Eine lebendige Spannung in der eher ruhigen Mitte des Albums, aus der „Chinese Satellite“ (Aspirant zum Song des Jahres) ausreißt, um kurz danach direkt wieder in die wohlige Melancholie einzutauchen. Zum Ende gipfelt diese Spannung schließlich im Höhepunkt. „I Know The End“ startet in gewohnter Bridgers-Manier. Nach und nach steigen im weiteren Verlauf diese kleinen musikalischen Verzweigungen aus Geige, E-Gitarre, Drums oder Bläsern ein und orchestrieren sich zu einem üppigen Weltuntergangssturm – inklusive eines angsteinflößenden und letztendlich heiseren Befreiungsschreis. „The end is here“, singt sie zuvor.
Dieser lässt einen fast erstarrt zurück. „Punisher“ zeigt Phoebe Bridgers’ musikalische Eleganz. Sie gibt ihre eigene Selbsterkenntnis auf erbarmungslose und detailreiche Art und Weise preis. Es scheint, als wolle sie sich mit dem Album selbst erforschen. Nicht nur wegen des mit einem charmanten Titel ausgestatteten Intros „DVD Menu“, verpackt sie das Erwachsenwerden in eine Art nostalgische Dokumentation. Und das gelingt ihr: Mit einem Füllhorn an Emotionen und wunderschönen Arrangements, die sowohl in eine tiefe Melancholie, aber auch in eine gewisse Euphorie verleiten.