Der Hype bekommt ein Gesicht – Edwin Rosen im Interview

Edwin Rosen hat es sich im düsteren New-Wave-Sound heimelig gemacht. Heimelig trifft es gut, denn seine Synthie-geladene Melancholie sorgt insbesondere während Corona für eine wohlige Atmosphäre und einen Ort des Rückzugs. Gleichzeitig treiben seine treibenden Neue Deutsche Welle-Rhythmen die Jugend auf die Tanzfläche. Er schafft es einen Sound zu kreieren, nach dem die (zugegebenermaßen müde) deutsche Indie-Landschaft lechzt. Ohne jegliche Promo kommt seine Debütsingle „leichter//kälter“ bis heute auf über 7,5 Millionen Plays bei Spotify. Doch wer steckt eigentlich hinter dem „Mysterium“ Edwin Rosen? Ein Interview über Erfolg ohne sich preiszugeben, mögliche Gefahren des schnellen Aufstiegs und die russische Post-Punk-Szene.

Wir haben schon oft über dich berichtet, aber wissen nicht so recht, wer du eigentlich bist. Sag mal ehrlich, hast du die Öffentlichkeit aktiv gemieden?

Ich habe „leichter//kälter“ mitten in der Prüfungsphase hochgeladen und hatte dann nicht die Zeit Promo-Fotos oder Videos zu machen. Und als ein paar Leute den Song gehört hatten, fand ich es auch ganz cool, wenn man nicht so viel preisgibt. Dadurch lässt man mehr Freiraum für Interpretationen. Die Hörer fragen sich: „Wer steckt dahinter?“ oder „Von wem genau kommt dieser Sound?“. Mich hat diese Zurückhaltung immer gereizt bei Musiker*innen, die ich gerne höre. Daher dachte ich, ich probiere das einfach mal aus. Und danach habe ich dann nie wirklich viel aktiv daran gesetzt, etwas von mir preiszugeben. Es war quasi eine bewusste Entscheidung, die sich aus Zufall entwickelt hat.

Ey, und besten Dank übrigens. Der Artikel von euch zu „Verschwende deine Zeit“ ist mein Lieblingsbericht von dem Song.

Das freut uns! Glaubst du, dass dieses „sich verstecken“ zum Erfolg beigetragen hat?

Ich kann mir schon vorstellen, dass es die Leute abholt. Eben weil das Gesamtbild des Künstlers dadurch nicht so glatt und hochpoliert erscheint. Vielleicht denken die Leute, dass es noch echt und real ist. Aber ob es den Erfolg richtig push, weißt ich nicht.

Die Indie-Szene in Deutschland ist jedenfalls extrem abgegangen, man kann da ja schon von einem Hype sprechen.

Ich habe das hauptsächlich über Instagram mitbekommen. Ich hätte echt nie wirklich damit gerechnet. Der Hauptgrund, warum ich Musik gepostet habe, war, weil ich irgendwann auch mal live spielen wollte. Dann habe ich Musik hochgeladen und natürlich auch die Klickzahlen bei Spotify verfolgt. Wenn man sieht, dass einen Song so 2.000 Leute hören, dann ist das schonmal total verrückt. Aber das ist einfach immer mehr geworden. Und dann wäre es gelogen, wenn ich jetzt sagen würde, ich hätte mich nicht hingesetzt und meinen Namen gegoogelt. Es kamen so viele Nachrichtern auf einmal. Die Leute haben dann gefragt: „Hey, wo kommst du her?“ Viele Leute denken witzigerweise immer noch ich wohne in Berlin.

Dabei kommst du aus dem Stuttgarter Raum. In Berlin warst du neulich trotzdem und hast direkt zwei Shows im Aeden gespielt. Beide waren – wie die gesamte Tour – innerhalb von Minuten ausverkauft. Wie wars?

Es war surreal und hat Riesenspaß gemacht. Ich war erst skeptisch, was das live spielen angeht. Es ist ja mehr oder weniger dem Zufall geschuldet, dass es so Anklang gefunden hat und dadurch alles etwas ernster geworden ist. Ich habe mich gefragt, ob es auch wirklich das ist, was ich mache möchte – also auf Tour gehen. Da hatte ich schon leichte Zweifel, aber nach der ersten kleinen Tour jetzt ist das alles verworfen. Es ist einfach zu krass, direkt mit Leuten in Kontakt zu stehen, denen die Musik etwas bedeutet. Das direkte Feedback ist super, super schön. Ich habe das alles zuvor pandemiebedingt nur über Social Media mitbekommen.

Bei der zweiten Berlin Show war die Stimmung extrem ausgelassen.

Ja, es war einfach nur verrückt, wie viel Energie da im Raum war. Krass war auch, dass Leute auf Instagram geschrieben haben: „Ey, ich wurde abgezockt. Ich wollte eine Karte für 100 Euro kaufen, aber habe kein Ticket bekommen“ oder sowas. Das ist halt echt schade zu sehen.

Ich glaube deine gesamte New-Wave-Ästhetik, inklusive Analog-Fotografie, die auch bei deinem Internetauftritt mitspielt, ist auch ein wichtiger Faktor.

Ja voll, ich finde vor allem visuelle Dinge können oft mehr sagen als Worte. Sie bringen Gefühle richtig gut rüber. In diese Dinge versuche ich auch meine Gefühle hineinzustecken. Ich habe mit 16 Jahren angefangen, analog zu fotografieren und es seitdem durchgezogen. Außerdem habe ich eine Vorliebe für das Festhalten von Momenten entwickelt. Ich finde, dass Instagram-Accounts von Künstler*innen schnell langweilig werden, wenn der Output wirklich nur ist: „Hey, wir spielen heute da und das hier ist unsere neue Single – hört die mal an“. Weil ich neben der Musik sehr gerne fotografiere, poste ich zusätzlich Fotos, die die Leute vielleicht interessieren. Für mich gehört das zusammen. Die Cover sind ja auch Fotos von mir. Ich schaue, dass so alles ein Stück weit zusammenpasst.

Und deine musikalischen Einflüsse?

Ganz früher habe ich sehr viel Pop-Punk gehört, ich habe Blink-182 geliebt. Und dann eben diese alten Acts wie zum Beispiel The Cure oder zum Beispiel speziell Peter Hook (Bassist von Joy Division, Anm. d. Red.). Wie er seinen Bass spielt…Außerdem feiere ich auch neuere Bands wie Black Marble. Gerade die Welle des New Wave, die in den letzten Jahren gekommen ist, beeinflusst mich.

Und da schielst du immer mal wieder rüber nach Russland, habe ich beobachtet. Ich selbst feiere den Vibe der russischen Post-Punk-Szene auch sehr.

Ey, ja, ich wollte es gerade sagen, allerdings kann ich da kaum über Bandnamen reden, weil ich fast nie weiß, wie die heißen. Ich habe aber schon diese Playlist, in der die kyrillisch geschriebenen Bands stehen. Aber ich kann sie halt nicht suchen, weil ich keine kyrillisches Tastatur installiert habe und weil ich nicht weiß, wie sie ausgesprochen heißt (lacht). Aber ich mag die Musik sehr. Zum Beispiel Motorama höre ich sehr gerne. Im Komma in Esslingen sind manchmal so Wave-Konzerte und Motorama war das erste, was ich in dieser Richtung gesehen habe. Da ist ja zuletzt auch richtig viel passiert mit Molchat Doma aus Weißrussland, die voll durch die Decke gegangen sind.

Was reizt dich daran so?

Es sind meist die Gitarrenriffs. Ich weiß nicht, was es genau ist, aber gefühlt haben russische Bands immer eingängigere Riffs als andere Bands. Und da reicht es mir auch, nur das Gefühl mitzubekommen. Die kann man gut hören, obwohl man nicht weiß, worüber sie singen. Es hat auf jeden Fall, wie du auch gesagt hast, einen Vibe, der mich definitiv abholt.

Kennst du auch das andere Projekt von dem Motorama-Frontmann Vlad Parshin? Utro?

Ja, mega, total gut. Ich finde alle Sachen, in denen Vlad Parshin involviert ist, super spannend. Sie lassen jegliche Strategie in der Musikbranche komplett außer Acht. Die laden einfach eine neue Platte auf Spotify hoch, komplett ohne Ankündigung. Die schreiben dann nur „Mittwoch, 17 Uhr“ und veröffentlichen das. Auch zu so Zeiten, wo sonst niemand anderes etwas hochlädt. Und trotzdem funktioniert es irgendwie.

Und auch visuell verfolgen sie ein ähnliches Gesamtkonzept wie du.

Ich weiß ganz genau, was du meinst. Motoramas Instagram-Auftritt besteht ja hauptsächlich aus Fotos vom Wald und Nebel. Die bringen den Vibe ihrer Musik auch visuell richtig gut rüber. Ähnlich wie ich es anstrebe.

Du hattest ja während Corona sicherlich auch viel Zeit dir darüber Gedanke zu machen. Hat dich die Zeit in deinem Werdegang als Musiker ansonsten auch beeinflusst?

Also ich habe „leichter/kälter“ kurz vor Corona hochgeladen. Ich glaube, die Pandemie hatte großen Einfluss darauf, dass die Musik die Leute erreicht hat. Ist ganz lustig: Anthony Fantano (bekannter Musikjournalist aus den USA, Anm. d. Red.) hat, als Corona losgegangen ist, gesagt, dass es eine gute Zeit für kleine Künstlerinnen und Künstler ist, um Musik zu publizieren. Denn die großen Releases wurden alle verschoben. Ich glaube, das stimmt. Und es kann schon sein, dass die Leute dieses Gefühl meiner Musik, also dieses melancholische was bei mir ja viel drin ist, mit Corona in Verbindung gebracht haben.

Verspürst du durch deine durchgestartete Debütsingle „leichter//kälter“ irgendeinen Druck, weiterhin abliefern zu müssen?

Uh, das ist eine spannende Frage. Also der Unterschied zwischen „leichter//kälter“ und den anderen Songs ist schon groß, würde ich sagen. Aber klar, wenn man sich die Klickzahlen anschaut, ragt der Track heraus. Und natürlich macht man sich dann schon Gedanken zum Thema „One Hit Wonder“. Allerdings ist es auch so, dass es mich nicht aktiv stresst und ich denke: „Fuck, ich muss jetzt unbedingt etwas raushauen“. Mir fällt es generell schwer Musik zu schreiben, zu der ich wenig Bezug habe. Alle Lieder, die ich geschrieben habe, sind direkt bezogen auf etwas, das mir passiert ist. Unter Druck neue Songs zu schreiben, ist dann schwer zu forcieren. Ich werde das Tempo weiterhin so gehen, wie ich es als natürlich empfinde.

Ich glaube, wenn du dich dazu zwingen musst, neue Songs zu schreiben, dann läuft auch etwas falsch.

Genau. Ich möchte einfach weiter Spaß haben. Ich habe tatsächlich etwas Angst, dass es sich irgendwann anfühlt wie ein Beruf und ich dann denke: „Scheisse“. Derzeit versuche ich noch die Balance zwischen Studium und Musik machen zu finden, was mir dieses Jahr allerdings eher schwer gefallen ist.

Wie reagiert denn dein Umfeld auf die neue Situation?

Es ist total gemischt. Meine Eltern zum Beispiel, die glaube ich am meisten davon mitbekommen, sind zwiegespalten. Die freuen sich natürlich riesig und sind beeindruckt, wie sich das entwickelt. Ich selbst habe aber oft gedacht „Ey, irgendwie ist das gerade doch ganz schön viel“. Sie sagen dazu dann auch, dass ich aufpassen soll auf mich.

Machst du dir manchmal auch Sorgen um dich selbst?

Ich habe eigentlich das Gefühl, dass alles gut läuft. Gerade bei der Tour hatte ich gar keinen Stress. Aber jetzt neulich, wenn dann die EP ins Mastering geht, dann wird es schon stressig. Es wirkt auf mich teils erdrückend. Da türmen sich dann mit Artwork und allem Drumherum riesige Berge auf. Da weiß ich nicht so richtig, wo ich anfangen soll. Ich mache ja auch immer noch viel alleine. Ich merke, dass ich dann ungeduldig und unruhig werde. Das sind dann so kleine Momente, in denen ich mich bremsen muss. Also ich teile die Sorge meiner Eltern ein Stück weit. Aber ich habe auch die Hoffnung und das Vertrauen, dass wenn man sich dessen bewusst ist und beobachtet, was mit einem passiert, man dementsprechend gegensteuern kann.

Außerdem war im vergangenen Jahr alles super spontan. Ich habe mir für 2022 vorgenommen, alles ein bisschen geordneter zu machen, weil es dann auch für die mentale Gesundheit und Psyche entlastend ist.

Ein gewisser Abstand hilft dann glaube ich auch, oder?

Ja total. Und ich glaube es hilft auch, wenn das alles nicht mehr ganz so neu ist. Uns ist beim Maifeld Derby das erste Mal etwas auf der Bühne kaputt gegangen. Auch das stresst gewaltig. Ich glaube aber, wenn man das öfters mal macht, entwickelt sich da ein natürlicher Prozess.

Wie geht es denn jetzt weiter?

Am 24. September kommt ja erstmal die EP, oder vielmehr die Compilation, einfach um quasi mit den Liedern abzuschließen, die ich bereits habe. Da spielen wir dann auch auf dem Reeperbahnfestival. Danach ist dann erstmal eine kleine Pause angesagt. Und im kommenden Februar gehen wir auf eine größere Tour, die nicht nur die Medienstädte abdeckt. Ja, und ansonsten ist der Plan einfach, weiterhin Spaß zu haben.

Hört hier den neuen Song „mitleerenhänden“ von Edwin Rosen:

Fotos: Zeitfang