Über Zuversicht und das Weitermachen – BABYJOY im Interview

Es ist Jahre her, dass BABYJOY anfing, ihre ersten Songs mit Kazondabeat aufzunehmen. Heute ist sie eine über Genregrenzen hinaus gefeierte Newcomerin, er einer der wichtigsten Produzenten der Berliner Rapszene. Im Februar erschien mit dem Kollabotape „Troubadour“ BABYJOYS Debüt-EP. Auf sieben Songs stellt sie sich vor und beweist ihre Vielseitigkeit. Im Interview erzählt Joy Song für Song von Einflüssen, Erinnerungen und Erfahrungen, denen sie auf „Troubadour“ Raum gegeben hat.

Wenn du mal chronologisch zurückdenkst. Was wäre der erste Moment, der zu deiner EP geführt hat?

Das war, als ich mit meinem Bruder geredet habe und ihm erzählt habe, dass ich jetzt gerne einen Song rausbringen würde. Er meinte dann so „Hä, baller doch keine einzelne Single raus, mach doch ein größeres Projekt“. Ich dachte mir dann, stimmt. Ab da ist die EP entstanden.

Deine Debüt-EP ist gleichzeitig ein Kollabotape mit Kazondabeat. Ihr habt von Anfang an zusammengearbeitet und über mehrere Jahre Musik gemacht, bis dann die EP rausgekommen ist. Ich finde das sehr besonders, dass ihr euch seit euren Anfängen begleitet.

Voll, ich habe den ersten Song mit ihm gemacht, da war ich noch relativ jung. Dann habe ich länger nicht mehr mit ihm gearbeitet, weil ich mit der Schule beschäftigt war und dann haben wir uns wieder zusammengefunden. Ich glaube, das war tatsächlich Zufall, dass er dann am Anfang schon dabei war. Er war bei meinen Anfängen dabei und ich war auch bei seinen dabei, als er noch gar nicht bekannt war.

Lass uns mal Song für Song durch deine EP gehen. Es fängt an mit „Dein Vibe“. Ein richtig gutes Intro, wie ich finde. Mich hat der Song so runtergebracht, dass ich dann in der richtigen Verfassung war, die EP gut durchzuhören und wirklich zuzuhören. War dir das wichtig, so einen Song an den Anfang zu setzen?

Ich bin durch die Songs gegangen und habe überlegt, was wie passen würde. „Dein Vibe“ hat einfach am besten als Intro Song gepasst, weil er so entspannt ist und man erstmal reinkommen kann, um sich dann dem Rest zu widmen. Das hat für mich einfach Sinn ergeben. Es war nicht so gedacht, als ich den Song gemacht habe, das war eher am Ende, als ich alle Songs hatte und eine Reihenfolge brauchte.

Ist es dir wichtig, wie die Leute deine Musik hören und wie sie dir zuhören?

Ja, ich würde mich schon freuen, wenn sie richtig zuhören. Ich denke aber, wenn jemand meine Musik mag, dann wird er das auch tun. Wenn jemand sie nicht so mag, wird er vielleicht auch nicht richtig zuhören.

Es geht dann weiter mit „Tourne en Ronde“. Ich habe versucht, mir den Text zu übersetzen und ich glaube es geht um Betrug in einer Beziehung und darum, dass die Person die Beziehung nicht beenden kann, obwohl sie es besser weiß. Oder?

Ja, es geht um Betrug. Aber ich in dem Song löse mich davon und sage, ich habe dir immer verziehen, aber jetzt nicht mehr. Ich geh in den Club, feiere, dreh mich im Kreis und rauche Weed von irgendjemandem.

Das scheint sehr persönlich. Ist die Barriere für dich niedriger, wenn du sowas auf Französisch ausdrückst?

Voll, definitiv! Es ist viel einfacher, macht ein bisschen mehr Spaß und man ist viel sorgloser. Obwohl der Song auch eher aus künstlerischer Freiheit entstanden ist. Ich wurde in dem Sinne gar nicht betrogen, aber das war meine Freiheit, was ich aus meinem persönlichen Leben in meine Musik einfließen lasse und was ich abändere.

Wonach entscheidest du, ob du Deutsch oder Französisch singst?

Das ist einfach ein Gefühlsding. Wenn ich einen Beat höre, dann habe ich meistens schon ein Gefühl dafür, eine persönliche Vorahnung, welche Sprache für mich persönlich besser darauf passt und auf welcher Sprache ich vor allem auch besser schreiben kann. Es geht ja auch darum, dass ich einen Text schreiben muss. Meistens fange ich mit der Hook an und je nachdem in welcher Sprache ich schreibe, fällt es mir dann leichter. Das ist dann eher ein Instinkt.

„1,2,3“ ist der Hit der EP, finde ich. Die Hook bleibt hängen, egal ob man Französisch spricht, oder nicht. Es geht um dein Umfeld, wie die Leute da so drauf sind. Achtest du sehr darauf, von welchen Menschen du umgeben bist?

Voll. Es ist mir sehr wichtig. Ich habe vor kurzem darüber nachgedacht, von wem ich umgeben sein möchte, inwiefern ich mich beeinflussen lassen und Bestätigung von außen suchen möchte. Mir ist es schon wichtig, dass ich nicht random mit irgendwelchen Leuten abhänge, die mich vielleicht auch negativ beeinflussen. Mir ist es wichtig, dass die Leute, mit denen ich abhänge, einen Weitblick haben und verständnisvolle Menschen sind, die auch ein Gefühl für andere Menschen haben und für andere Lebenssituationen.

Der nächste Song steht im Kontrast zu den anderen, die eher stimmungsgetrieben sind. Bei „Viele Leute gucken“ liegt der Fokus auf dem Text. Du benennst sehr viele Themen sehr klar, reißt sie aber nur an und lässt viel Interpretationsraum.

Ja, ich kann Sachen ja ansprechen, aber wenn ich sie dann nicht so detailliert ausführe, ist es auch ein Schutz, den ich dann habe. Für mich ist es schon ganz klar, was ich damit meine, nur die Person, die sich den Song anhört, kann selber entscheiden, was sie da jetzt raus hört. Das ist keine Absicht, sondern es ergibt sich beim Schreiben aus dem Moment heraus, aus dem Text, den ich schon im Kopf habe und auch aus dem Beat.

Dadurch wirkt es fast wie ein Bewusstseinsstrom. Als würde so viel in deinen Kopf kommen, dass du nur von einem Punkt zum andern springen kannst. Wenn du an die vielen angesprochenen Themen denkst, was ist das Lied für dich?

Auf jeden Fall meine Erfahrungen mit Rassismus, aber auch der Schmerz, ich will nicht sagen Weltschmerz, aber der Schmerz, den ich verspüre, der nicht nur mir gilt, sondern auch allen anderen Menschen, die Ausgrenzung erfahren. Das trägt man ja auch in sich. Dann aber auch das Leben einfach zu meistern, trotz all der Hürden. Den Kopf voll zu haben und gleichzeitig auf eigenen Beinen stehen zu müssen, was auch nicht einfach ist und dann trotzdem den Entschluss zu fassen, weiterzumachen. Also dieses Weitermachen, weitermachen, weitermachen, Hürden besiegen. Das macht müde, aber trotzdem entscheidet man sich, weiterzumachen. Ich glaube, der Song hat dem Gefühl dann Raum gegeben und die ganzen Erfahrungen haben da einen Platz gefunden. In dem Song gebe ich den Sachen Platz, die in mir sind und die ich immer mit mir rumtrage, um dadurch auch ein bisschen Entlastung zu erfahren.

Setzt du dir inhaltlich Grenzen?

Ich habe einen ganzen Song über meinen Vater gemacht, der gestorben ist, als ich 13 war. Den habe ich noch gar nicht veröffentlicht. Das ist einer meiner Lieblingssongs, ich finde den sau schön, weil er einfach sehr schön geschrieben ist. Da ist dann die Überlegung, wann bringe ich den raus, wie bringe ich den raus. Der ist auf Französisch, ich glaube, das würde in Frankreich viel mehr Anklang finden. Grenzen gibt es dann vielleicht in dem Sinne, dass es Sachen gibt, die ich dann eher auf Französisch erzählen würde. Ich würde dann die Sprache wechseln, wenn ich das Gefühl habe, ich will mich nicht so entblößen.

Auch im nächsten Song bleibt es persönlich. „Ensemble“ hast du an dem Abend geschrieben und aufgenommen, als du dich gerade von deinem Ex-Freund getrennt hattest. Du kannst den Song also immer auf einen genauen Moment in deinem Leben zurückführen. Hat sich die Erinnerung daran für dich verändert, durch das Schreiben und Veröffentlichen?

Ja es ist auf jeden Fall schön, weil ich einen Moment meines Lebens damit festgehalten habe, auf den ich noch in zehn Jahren zurückblicken kann. Dadurch, dass ich diesen Song geschrieben habe, als mein Ex-Freund und ich uns getrennt haben, habe ich die Erinnerung durch den Song gefestigt.

„Vergessen“ war die erste Single zur EP. Warum hast du dich dafür entschieden?

Den Song habe ich mit Pablo schon aufgenommen, bevor ich mich entschieden habe, eine EP zu machen. Und dann haben wir ihn wiedergefunden, also es war ehrlich gesagt Zufall, dass er überhaupt auf die EP gekommen ist.

Es ist oft so, dass Musiker ihre Verwandtschaftsverhältnisse nicht öffentlich thematisieren. Warum ist das bei dir kein Thema?

Ich mache mir darüber einfach nicht so viele Gedanken. Ich sehe keinen Sinn darin, das zu verstecken. Wir sind Geschwister, haben denselben Vater und dieselbe Mutter, wir haben einen sehr ähnlichen Werdegang. Er schauspielert und macht Musik, ich schauspielere und mache Musik. Ich glaube wir ähneln uns und sind im selben Kosmos aufgewachsen. Da macht es auch einfach Sinn, dass wir ähnliche Interessen entwickelt haben. Natürlich kommen da Leute, die das judgen, aber im Endeffekt ist mir das egal, weil ich weiß, was ich kann und ich weiß, dass ich auch ohne ihn früher oder später angefangen hätte, Musik zu machen. Der Fakt, dass es mir wahrscheinlich auch geholfen hat, dass es ihn gibt, ist ja eigentlich nur gut. Ich meine, ich bin eine schwarze Frau, ich bin in meinem Leben im Vergleich zu weißen Rappern sowieso einen Schritt hinterher, weil ich schwarz bin. Dann kann ich das doch mit Freude und mit Stolz sagen, dass es cool ist, dass mein Bruder vor mir was gemacht hat und damit was erreicht hat und ich davon wahrscheinlich auch ungewollt profitieren kann. Es ändert auch nichts an meiner Kunst, sie findet dadurch nur mehr Gehör. Die Kunst wäre so oder so entstanden.

Wahrscheinlich musste es auch so sein, dass er ein Teil deiner EP ist, weil ihr euch auch total in eurem Werdegang, eurer Musik und eurer Kunst gegenseitig beeinflusst.

Voll. Ich glaube, es wäre schade gewesen, wenn er nicht drauf gewesen wäre. Ich wollte ihn auch auf der EP haben, weil ich ihn einfach liebe und er mein Bruder ist. Es ist für mich schön, zu sehen, dass es ihn gibt, dass er mich unterstützt und dass er mit mir zusammen Musik machen kann. Ich würde auch am liebsten, wenn ich dann Konzerte gebe, ihn auch immer auf der Bühne haben als Unterstützung. Es ist einfach ein gutes Gefühl und ein Schutz, zu wissen, dass da jemand ist, der das vor mir gemacht hat und mir Sicherheit geben kann.

Deine Geschwister und du habt sehr ähnliche Lebensentwürfe. Wie gehst du mit Druck oder Neid um?

Das klingt vielleicht ein bisschen unrealistisch, aber ich fühle gar keinen Neid. Ich bin eher stolz, dass er schon gefestigt dabei ist und freue mich für ihn, aber ich bin mir meinem Werdegang auch ziemlich sicher. Ich bin zuversichtlich, dass das was ich möchte, in irgendeiner Form stattfinden wird und dass ich meinen Platz finde. Dass ich genau das machen werde, was ich machen will. Ich bin da selbstsicher, glaube ich, dass das, was ich als Joy, als BABYJOY mache, für mich genau richtig sein wird.

„Lies“ ist dann der sehr runde Abschluss der EP, inklusive Gänsehautmoment mit der Memo deiner Oma.

Ich muss sie unbedingt anrufen, aaaah, ich habe so lange nicht mehr mit ihr telefoniert (lacht). Lies ist tatsächlich mein Lieblingssong von der EP, das ist auch der Song, den ich immer noch höre. Weil man so driften kann. Es ist ein bisschen persönlich und ein bisschen traurig und man kann so gut dabei fühlen.

Wie wichtig ist dir dieser familiäre Rückhalt? Dass deine Familie das gut findet, was du machst?

Ich habe vier ältere Geschwister, die teilweise auch Kinder haben. Das ist das, was mich auch stützt. Aber sonst habe ich elterlich keinen gestärkten Rücken. Mein Vater ist früh gestorben und mit meiner Mutter bin ich brüchig in Kontakt. Mit ihr war es auch nicht immer einfach, sie lebt ein bisschen in ihrer eigenen Blase und ihr fällt es glaube ich auch schwer, sich mit mir konstant auseinander zu setzen, auf eine hilfreiche, mütterliche Art und Weise. Demnach war ich relativ früh auf mich allein gestellt, aber umso wichtiger ist mir dann, dass ich weiß, ich habe Geschwister, die da sind. Ich glaube, ohne meine Geschwister sähe mein Leben ganz anders aus, weil ich durch sie einen anderen Rückhalt habe. Keinen elterlichen, aber Geschwister geben einem auch so viel. Auch Tante zu sein, ist einfach ein gutes Gefühl. Das ist mir schon sehr wichtig, das gibt mir viel Kraft.

Lass uns doch noch einen Blick in die Zukunft werfen. Ich habe gehört, dass du eine Schauspielausbildung anfängst. Wie kommt es zu dem Zeitpunkt?

Mir ging es um Weihnachten herum mental nicht so gut und ich dachte, ich muss irgendwas machen. Ich brauche einen Rahmen, ich muss eine Zeit haben, wann ich aufstehe, ich brauche Aufgaben. Ich dachte, ich kann jetzt einfach nur Mucke machen, aber das reicht mir nicht, das füllt meinen Tag nicht so, dass ich auf Trab bin. Dann habe ich mich einfach an dieser Schauspielschule beworben.

Hast du Angst, dass du die Musik dadurch vernachlässigen musst?

Ich dachte, es muss jetzt was passieren und eine Schauspielausbildung ist gerade das Beste, was ich machen kann. Ich glaube, man muss einfach immer probieren. Nichts machen, ist auch nicht die Lösung und Musik machen ist ja nichts, was wegfällt. Ich weiß auch noch nicht, ob ich jetzt ein Album mache oder eine weitere EP oder erstmal nur Singles mit Features drauf. Ich denke, dass die Ausbildung auch für die Kreativität nicht schlecht ist, weil man einfach mehr lebt und mehr macht und das Musikmachen damit dann einhergeht. Ich habe mir am Anfang Druck gemacht und dann gemerkt, dass das gar keinen Sinn ergibt, weil ich unter Druck sowieso keine Musik machen kann. Und jetzt bin ich hart am Chillen muss ich sagen. Und jetzt wo ich chille, denke ich oft, oh, jetzt ins Studio gehen wäre nice. Druck ist der Töter für alles Mögliche.

Also können wir uns auch auf neue Musik von dir freuen?

Jetzt, wo ich einfach wieder mein Leben lebe, habe ich richtig Bock wieder ins Studio zu gehen. Ich bin auch zuversichtlich, dass es mir allgemein gut geht, wenn ich zufrieden bin mit dem, was ich mache, in dem Fall die Ausbildung, die in drei Wochen anfängt. Es geht darum, dass man das macht, was einen erfüllt und dabei bleibt dann auch die Kreativität am Leben. Wenn man erfüllt und glücklich ist, hat man halt auch Bock kreativ zu sein und ins Studio zu gehen und das mit den Leuten zu teilen.

Vielen Dank für das Interview!

Hier gibt’s das Video von BABYJOY zu „Viele Leute gucken“: