Maifeld Derby: Der Nachbericht

 

Vom 22.-24. Mai fand nun schon zum fünften Mal das Maifeld Derby auf der Pferderennbahn in Mannheim statt. Ein kleines Jubiläum, also, das mit dicken Headlinern (Róisín Murphy, José González und Mogwai) und spannenden Geheimtipps (Inner Tongues erstes Konzert, Taymir und Tora) gebührend gefeiert wurde. Wir waren vor Ort, durften uns mit interessanten Musikern unterhalten und vor allem ganz viel gute Musik erleben. Wie das so war, lest ihr hier.

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Freitag: Sonnenschein und Discokugel

 

Der erste Tag des Maifeld Derbys ist der perfekte Einklang für das Wochenende. Nach der Uni schnell noch ein Radler kaufen und mit dem Fahrrad nach Mannheim fahren, mit Picknick-Zwischenstopp in Ladenburg. Ankommen und sich an der noch kurzen Schlange für Derby Dollar anstellen. Die Sonne genießen, ein kühles Bier kaufen und dann gibt es auch schon die erste Entdeckung: Tora aus Australien.

Der Pressetext ist nah dran an der Wahrheit, wenn er den Indie Pop der fünf Jungs als Mischung aus Bon Iver und James Blake beschreibt. Die elektronischen Verzierungen haben eine Leichtigkeit an sich, die für Newcomer lobenswert ist. Manchmal während ihres Sets fühlt man sich an die Festival-Auftritte von Bombay Bicycle Club erinnert. Die Band ist gut gelaunt und ein bisschen verliebt: Ihnen sind die Pässe abhanden gekommen und sie müssen fürs Erste in Deutschland bleiben, doch es gefällt ihnen so gut, dass sie überlegen, sich einfach deutsche Pässe zu besorgen. Direkt beim ersten Konzert, das ich mir anschaue, beweist das Maifeld Derby ein Gespür für die innovativen, jungen Künstler, die man bei so einem Festival idealerweise entdeckt und an seine Freunde empfiehlt.

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Inner Tongue // Fotos: © Philipp Fischer.

Im Palastzelt stellt sich im Anschluss Inner Tongue der Öffentlichkeit. Ende letzten Jahres sind auf Soundcloud zwei Songs aufgetaucht, ohne Infos über den Künstler hinter der Musik. Inzwischen wissen wir, dass es sich um einen Musiker aus Wien handelt, der lieber seine Musik betonen will als seine eigene Person – und dass da musikalisch ganz schön was hinter steckt. Das Konzert auf dem Maifeld Derby war sein erster Festival-Auftritt und sein zweiter überhaupt. Live wird Inner Tongue zur Band, die die Songs, die zwischen Sigur Rós-iger Post-Rock Klassik und Electro-Balladen à la Chet Faker im Zelt schweben, immer wieder auf den Boden zurückholen. Eine Runde Tagträumen für das Maifeld.

Kein Festival ohne Hindernis: And the Golden Choir, das Soloprojekt von Tobias Siebert, hat den Slot mit Get Well Soon getauscht. Arnold Stadler, der Letztere mit Lesepassagen seines Buches Der Tod und ich, wir zwei unterstützen sollte, sitzt noch im Zug. Anstatt um 20:00 Uhr den Parcours d’Amour zu bespielen, steht Siebert mit seinem Plattenspieler und Gitarre, Marimba und Harmonium also schon anderthalb Stunden eher auf der Bühne. Ein ruhiges Konzert, zumal sich auf dem Debütalbum von And the Golden Choir die Chöre noch gemächlicher entfalten als noch auf den EPs. Zeitgleich spielen Ball Park Music auf der Fackelbühne – eine der vielen unvermeidbaren Überschneidungen, bei denen wir uns dazu entschließen müssen, von beiden Konzerten nur jeweils die Hälfte zu schauen. Glücklicherweise spielen die Australier um Sam Cromack wie so viele der Acts ihren größten Hit zum Schluss, sodass man zu „Trippin‘ the Light Fantastic“ nochmal richtig ausgelassen tanzen kann.

Die Entscheidung See Through Dresses vs. Ghostpoet wiederum fällt nicht schwer. Obaro Ejimiwe ist trotz drei Alben und unverwechselbarer Stimme immer noch ein Underdog, obwohl er bereits 2011 im Vorprogramm für Metronomy gespielt hat. Live mutiert der Brite allerdings zu einer ziemlich düsteren Figur, mehr noch als auf seinem aktuellen Album Shedding Skin. Der Fokus liegt bei Ghostpoet auf dem Gesang, während sich seine Band durch Grime, Rock, Electro und Trip-Hop wühlt wie Geoff Barrow und Daddy G zu ihren besten Zeiten. Selbst „Plastic Bag Brain“, eins der Highlight von Some Say I So I Say Light, nimmt auf der Bühne eine viel bedrohlichere Form an. Und plötzlich ist es richtig voll im großen Zelt. Es ist sicher nicht verkehrt, Ghostpoets Auftritt in Art und Größe mit dem von Archive am Folgetag zu vergleichen, mit dem leichten Unterschied, dass Archive schon 15 Jahre länger aktiv sind. Rechnet das mal auf Ghostpoets Karriere hoch!

Ghostpoet
Ghostpoet

Pünktlich zur Primetime hat man dann den Salat. Get Well Soon spielen gleichzeitig mit den Russen von Motorama und zu allem Überfluss muss ich das Interview mit Tobias Siebert nachholen. Glücklicherweise treffen wir uns auf der Wiese vor dem Parcours d’Amour, sodass während unseres Gesprächs im Hintergrund „Corona“ läuft und ich sogar noch die letzten beiden Songs mitbekomme. Die Band sucht den Kontakt mit dem Publikum gar nicht erst, sondern rattert durch ihre New Wave/Post-Punk Songs, als seien sie in ihrem Proberaum. Das fällt auch den Zuschauern auf, die sich immer mehr in Gespräche vertiefen und Motorama in Ruhe lassen. Ein unerfreulicher, seltener Moment der Verwirrung an diesem sonst so wolkenlosen Tag.

Überhaupt sticht das Maifeld Derby in diesem Jahr durch die entspannte Atmosphäre auf dem Gelände hervor. Auch mit vier Bühnen ist es eher ein mittelgroßes Festival, das bedeutet genug Platz und die Möglichkeit, auch nach Konzertbeginn noch zumindest in die dritte Reihe zu gelangen. Reibereien gibt es auch kaum und sogar in der Handbrot-Schlange verhalten sich alle so höflich wie Briten. Während alle Deutschpop-Fans kreischend zu diesem Gisbert zu Knyphausen mit seiner Kid Kopphausen Band ins große Zelt rennen, nutze ich also die Gelegenheit und stelle mich im Brückenaward-Zelt direkt vor die Bühne, direkt vor Morgan Delt.

Der Kalifornier schnappt sich ohne viel Worte seine Gitarre und legt los. Morgan Delt und seine Band jammen eine Stunde lang Psychedelic Rock als gäbe es kein Morgen. Die heißen Klänge verbindet man direkt mit sonnigen Festivaltagen, man kann sich einfach treiben lassen. Das verbreitet gute Laune, wäre aber auf der Outdoor-Bühne noch besser gekommen. Bewusstseinserweiternder Psych Rock wie der von Morgan Delt muss einfach unter freiem Himmel genossen werden, oder wenigstens auf einer Wiese. Aber dann hätte man ja den lieben Gisbert gestört…

Wollen wir mal nicht so sein, denn zur Versöhnung bietet das Maifeld Derby uns Allah-Las auf der Fackelbühne. Die Band stammt ebenfalls aus Kalifornien und spielt ebenfalls sonnige Rockmusik. Auch wenn es schon dunkel ist, versucht das Quartett um Sänger Miles Michaud die Sonne zumindest in den Köpfen der Zuschauer nochmal hervorzuholen. Zum Ende hin gewinnt dann die Neugier, man will Manu Delago halt doch mal live gesehen haben. Der Hang Drum Spieler, der schon auf Björks Biophilia zu hören war, tritt mit seiner Band Handmade auf. Die beiden Songs, die wir noch mitkriegen, lassen uns bereuen, dass wir nicht vorher zum Parcours d’Amour gegangen sind: erst organisch-experimentell wie das „Lost & Found“-Cover von Binkbeats, dann unerwartet elektronisch, als hätte der Schweizer letztens Purity Ring live gesehen. Note to self: beim nächsten Mal unbedingt das ganze Konzert anschauen!

Und damit kommen wir zum ersten Headliner der fünften Maifeld-Ausgabe: der unglaubliche José González. Das Palastzelt ist randvoll, auch wenn viele Zuschauer erschöpft am Rand sitzen. Zum Glück ist González ein Headliner, bei dem man genau das ohne Einbuße machen kann. Anders als bei einem Junip-Konzert ist José González „solo“ (er wird auch hier von einer Band begleitet) vielleicht sogar der entspannteste Headliner, den es gibt. Die Augen fallen von alleine zu und man gibt sich den Gitarrenklängen hin. Die Discokugel taucht das Zelt in goldenes Licht. Ein schöner Abschluss für den ersten Tag, auch wenn der Schwede einen nicht mehr motivieren kann, bis Rangleklods wach zu bleiben.

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Fichon

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