Drei Jahre nach Streetlife tauschen Von Spar die Discokugel gegen das Kaleidoskop und starten die Bagger. Gehirntanz im Tagebau.
Wer hätte gedacht, dass Raumplanung so tanzbar vertont werden kann? Das Kölner Quartett Von Spar hat sich auf seiner neuen EP des Verhältnisses Mensch-Habitat angenommen und veröffentlicht damit den wohl ersten Soundtrack eines Umsiedlungsprozesses. Garzweiler erscheint drei Jahre nach dem letzten Von Spar Album, Streetlife, auf dem Sebastian Blume, Jan Philipp Janzen, Christopher Marquez und Phillip Tielsch bereits einen großen Schritt weiter in Richtung Dance Music machten. Vom Punk von „Ist das noch populär“ ist schon länger nichts mehr übrig, aber auf Garzweiler sind nun auch die fröhlichen Discoklänge des letzten Albums verschwunden.
Stattdessen scheinen sich die Kölner am „braindance“ der Rephlex/Planet Mu/Warp Familie orientiert zu haben. Gesang gibt es keinen, dafür allerhand körperlose Geräusche, die durch die Tracks fegen. Parallel zum Wechsel von poppiger zu verkopfter Tanzmusik wurden die organischen Krautrock-Elemente durch Sounds und Songstrukturen der Kosmischen Musik ersetzt: Tangerine Dreams Synthesizerflächen statt Cans Teutonenfunk. Die Band klingt jetzt weniger wie die deutsche Version von LCD Soundsystem und mehr nach Floating Points, mit Anknüpfungspunkten mit den Nachbarn und Tanzmusikhistorikern von Urban Homes. Deren aktuelles Album wurde von Janzen gemischt, während Oliver Bersin als Livemischer von Von Spar fungiert – kein Wunder also, dass sich da gegenseitig musikalisch beeinflusst wird.
Garzweiler besteht aus vier Songs, die von ruhigen Bässen, arpeggierten Keyboards und Electrodrums getragen werden. „Metaxourgío“ hat die semi-jazzige Klangwelt von Tortoise und die kaleidoskopischen Keyboards von Klaus Schulze, wird in der zweiten Hälfte aber angenehm durch synthetische Bläserakzente erweitert. Zusammen mit „Garzweiler III“ bildet der Song die helle erste Hälfte, die aber von jenem ziellosen Track etwas heruntergezogen wird. „Garzweiler III“ gleicht einem Filmsoundtrack, der ohne die dazugehörigen Bilder nur bedingt funktioniert.
Die B-Seite beginnt mit „Garzweiler IV“, dem unheimlichen Herzstück der EP. Der Song schafft das, was „Garzweiler III“ nicht ganz hinkriegt. Er malt das Bild eines industriellen, aber menschenleeren Ortes: Die Synths zischen wie Luftauslässe und brummen wie Motoren, die Drums tragen ihren Teil zur Maschinenatmosphäre bei. Am Ende der EP steht mit „Omónia“, griechisch für „Frieden“ oder „Konsens“, der am unverhohlensten den 90ern zuzwinkernde Track. Nach einem zögerlichen Anfang und einem Crescendo mit den üblichen Arpeggi und Streichersynths ergießt sich „Omónia“ erst in minimalistischen Techno, nimmt dann wieder Fahrt auf und findet sein Ende unweit von 90er-House-Gefilden, inklusive Vocalsamples.
Bei Liedern ohne Gesang nehmen die Songtitel sofort eine wichtigere Rolle ein, gerade wenn ein Konzept dahinter steckt. Wie so oft liefern diese auch auf Garzweiler Anhaltspunkte, um die Musik zu interpretieren. Neben den beiden Titeltracks, die die Tagebaugebiete Garzweiler I und II musikalisch bis in die Abwesenheit von Menschen, geschweige denn Menschlichkeit fortführen, enthält die EP zwei Tracks mit griechischen Titeln. „Metaxourgío“, verweist auf einen Stadtteil Athens, der nach einer Zeit der Verwahrlosung als grünes Künstlerviertel neu auflebt. Dementsprechend optimistisch klingt er auch, mit seiner aufsteigenden Melodie und seinem leichten Tortoise-Flair. „Omónia“ hingegen ist der Name eines entgegen der Wortherkunft unfriedlichen Viertels um den gleichnamigen Platz in der griechischen Hauptstadt. Omonia ist vor allem ein Verkehrsknotenpunkt und von Drogenhandel und Prostitution geplagt, besitzt dabei aber trotzdem noch mehr Leben als die verlassene Umgebung von Garzweiler seit dem Beginn der Umsiedlung der Dörfer 2006.
Von Spar vermeiden es, auf Garzweiler explizit politisch zu werden und alles Industrielle als J. G. Ballard’sche Dystopie zu verdammen. Die pulsierenden Bässe von „Omónia“ fordern schließlich zum Tanzen auf, es kann also nicht alles schlecht sein, was Maschine ist. Durch Titel und Klangfarbe scheinen die Kölner allerdings eine Art Narrativ zu suggerieren, vom belebten Künstlerviertel Metaxourgio über den Exodus im nordrhein-westfälischen Garzweiler zum verfallenden Verkehrsknotenpunkt Omonia. Ein Fazit erschließt sich zwar nicht, aber das mindert das Hörvergnügen, das Garzweiler verschafft, nur geringfügig. Von Spar feilen weiter an ihrer eigenen Form von Tanzmusik und lassen zum Glück nicht nur die Maschinen zuhören.
Beste Songs: Omónia, Metaxourgío
VÖ: 23.6.2017 // Altin Village & Mine