„Crawler“ heißt das vierte Album der Punkband aus Bristol. Entstanden in der Zeit der Pandemie ist es ein Zeitdokument und gleichzeitig Katalysator zum Thema mentale Gesundheit.
„It was February. I was cold and I was high“ krächzt Joe Talbot von Idles im Opener „MTT 420 RR“. Das kauft man ihm sofort ab, grübelt man doch selbst kurz wie man sich im Februar 2020 gefühlt hat, oder war es 2019? Das Zeitgefühl ist mit dem Beginn der Pandemie aus den Fugen geraten. Nicht nur das Zeitgefühl, auch die Ups and Downs der Isolation, Lockdowns, sinkenden und steigenden Zahlen führen zu einem Gefühl der Verwirrung und des Verlorenseins. An manchen Tagen fühlt man sich gar, als würde man auf dem Zahnfleisch kriechen, als sei man ein „Crawler“.
„Are you ready for the storm?“, fragt Talbot hörbar verletzlich. Googelt man die Seriennummer „MTT 420 RR“ erschließt sich schnell die Bedeutung hinter dem kryptischen Songtitel. Dahinter verbirgt sich ein Motorrad, das Talbot nur knapp verfehlte, als er high in einem Auto saß. Ein entscheidender Moment des Umdenkens.
Die Band hat auf den vorherigen Alben „Ultra Mono“ (2020), „Joy As An Act Of Resistance“ (2018) und „Brutalism“ (2017) bereits Themen wie mentale Gesundheit thematisiert, neben Brexit, Nationalismus und toxischer Männlichkeit. Nun trifft das Album aber noch mehr einen kollektiven Nerv, unabhängig von Klasse, Geschlecht, Ideologie denn: we are all in this together. Während der Vorgänger „Ultra Mono“ an manchen Stellen verkrampft daher kommt, bricht beim Neuling „Crawler“ mit scheinbar angestauter Energie alles aus Idles heraus.
Die Band musste medial und durch Künstler wie Sleaford Mods einige Kritik an ihrer Glaubwürdigkeit und wirklichen Roughness einstecken. Das ging scheinbar nicht spurlos an ihnen vorbei und führte bei „Ultra Mono“ zu einer hörbaren Bemühung um Lockerheit, die in sich verharkt scheint. Davon ist auf „Crawler“, auf dem sie mit HipHop-Produzenten KennyBeats neue Wege ausprobieren, nichts mehr zu spüren.
„Crawler“: ein Zeitdokument, das einen Nerv trifft
Idles sind voll in ihrem Element, ganz sie selbst. Es klingt vielleicht abgedroschen, aber das neue Album klingt erfrischend. Bei „Car Crash“ hören wir psychedelischen Gesang, der an „One Hot Minute“ von den Red Hot Chili Peppers erinnert, ein Album, das bekanntlich in einer Ausnahmesituation für die Band entstanden ist und dadurch offenbar eine Grenzöffnung ermöglicht. Nach dem Motto ‚what the fuck haben wir zu verlieren, es ist eh alles am Arsch?!‘ Im Moment der höchsten Not sich den Schmerz und die Verzweiflung von der Seele jammen, ist manchmal der heilsamste Weg.
„Progress“ sticht besonders hervor. Jon Beavis an den Drums hat Pause, dafür übernimmt waberndem Gesang. Wenn man sich hingegeben hat und weggetragen wurde, übernimmt ruckartig „Wizz“, einer von zwei Songs mit „Kelechi“, der bei knapp 30 Sekunden liegt und uns wieder ins Hier und Jetzt prügelt. Ihr Album als Vinyl Platte erscheint als umweltfreundlicher Ecomix. Jedes Exemplar ist ein Unikat. Eben ein Zeitdokument, das einen Nerv trifft. Wenn Idles kriechen, stehen sie wieder auf und meistern den Sturm. Erzeugen selbst einen, der uns mitreißt und am Ende das Leben feiern lässt. Das zeigen Idles mit „Crawler“ eindrücklich.