Vom Feuilleton wurde er vor zwei Jahren als neues Enfant Terrible des New Wave bezeichnet. Zwei Jahre später veröffentlicht Drangsal mit „Zores“ die passende Antwort und öffnet sich weiter als die heilige Schrift.
Am Anfang war das Wort. So steht es schon im Buch Mose des Johannes-Evangeliums in der Bibel und so zitiert Drangsal alias Max Gruber in seinem neuen Album „Zores“ mehr als einmal die heilige Schrift, was Songs wie „Turmbau zu Babel“ und „Arche Gruber“ schon anklingen ließen. Mit einer engelhaften Stimme und den Worten: „Schaut mich an / ich werde älter“ eröffnet Drangsal seine neue Platte. In den letzten zwei Jahren hat sich im Leben des Pfälzers viel getan. Aus einer wütenden nicht beachtete Stimme der Jugend, die im Körper eines 80s Geistes steckt, ist eine junge sich immer noch reibende Persönlichkeit geworden. Mit seinem Debüt „Harieschaim“ wollte er sich und der Welt da draußen beweisen, dass er die Musik, die seine Jugend geprägt hat, verinnerlicht hat. Mit hochgekrempelten Ärmeln versuchte er den deutschen Pop neu aufleben lassen und sämtlich Unnötiges auf den Scheiterhaufen des Musikbusiness zu befördern. Dabei wollte er eigentlich nur „Jedem Das Meine“, wie er im zweiten Titel auf „Zores“ behauptet.
Wütendes Pack, eine Gruppe Asozialer, ein Streit, Wut; all das bedeutet Zores in der Pfalz und hat den jungen Drangsal lange Zeit begleitet. Ähnlich wie seine Attitüde, hat sich indes auch die musikalische Ausrichtung neue positioniert. Aus dem Zitat der 80er, den unnahbaren Hall-Effekten und den monumentalen Drums heraus, hat sich Drangsal in einer weitaus ehrlichere Richtung hin entwickelt. Auf „Und Du? Vol. II“ zeigt er in feinster Prefab Sprout-Manier, dass die Drangsal’sche Welt weiter, offener geworden ist. Mit der Zeile „Zur Zeit wird alles anders“, leitet Gruber ein neues Kapitel in seiner Karriere ein. Er geht einen Schritt auf den Zuhörer zu und eckt trotzdem bei diesem an. Durch das direkte Ansprechen in deutscher Sprache schafft er immer wieder ein Unbehagen der Hilflosigkeit. Drangsal stellt Fragen an sich selbst und lässt uns alleine in der Dunkelkammer seiner Gedanken zurück.
Die Single „Magst Du Mich (Oder Magst Du Bloß Noch Dein Altes Bild Von Mir)“ erzählt die verwelkte Liebesgeschichte zweier Menschen, die sich auch unmittelbar auf die Vita unseres Landarztes Dr. Angsal übertragen ließe. Mit seinem neuen Sound provoziert der Musiker bewusst und schreckt damit sicherlich auch einige alte Fans ab. Es ist genau diese brutale Unbekümmertheit und der Mut zu kühnen Wortspielen, der das Schaffen des Herxheimers immer wieder vorantreibt und auszeichnet. Die neue Drangsal ist glasklar, selbstbewusst und klingt mit Abstrichen auch ab und an wie der Jünger Farin Urlaub. Da er auf Songs wie dem Highlight „Turmbau zu Babel“, aber den beim Ärzte-Musiker oftmals auffindbaren pubertären Duktus weglässt, tut dies der Platte jedoch keinen Abbruch. Vielmehr spickt Gruber vermehrt beim beliebtesten Buch der Pfälzer – der Bibel. Dadurch bringt er die nötige Prise Pathos auf seine Platte, die nunmal in das Leben des Max G. gehört.
Denn selbst wenn Drangsal die eigene Blaupause auf seinem neuen Album weggelassen hat, zählt Pathos und Grausamkeit nach wie vor zu einem beliebten Stilmittel des Musikers. Auf „Weiter Nicht“ wird wieder lamentiert und protestiert auf „Laufen Lernen“ wird nach dem Sinn des Lebens gefragt, aber zugleich auch manifestiert, dass er dieses Laben auch alleine schafft. Der Song beginnt mit einem ähnlichen Intro wie seine Version des Tokio Hotel Songs „Boys Don’t Cry“. Sicherlich kein Zufall. Es wird wieder eine starke Persönlichkeit manifestiert, die eben diesmal in ruhigen Momenten auch eine gewisse Verletzlichkeit aufblitzen lässt.
Den musikalischen Wutbürger, werden sein Produzent Markus Ganter und sein Co-Produzent Max Rieger (Die Nerven) wohl nie komplett aus Gruber herauskriegen können. Doch ohne Wut wie beim instrumentalen Teil des Closers „ACME“ würden solche Hochgenüsse des Post-Punks nicht zustande kommen. Im instrumentalen Erguss tobt sich Drangsal zusammen mit Max Rieger (Die Nerven), Kevin Kuhn (Die Nerven, Karies), Kristoph Hahn aus und zeigt zugleich seine zugängliche Seite. Denn auch Songs wie das englischsprachige „Arche Gruber“ oder das etwas repetitive „Gerd Riss“ zeigen, dass es dem Musiker wichtig ist seine Erfahrungen und seine Erlebnisse mit anderen Menschen zu teilen. Und genau wie damals schon im Alten Testament können dies auf „Zores“ Geschichten der Wut, der Freude, des Erbarmen oder der Liebe sein.
Beste Songs: Und Du Vol II., Turmbau zu Babel, Magst Du Mich
VÖ: 27.04.2018 // Caroline International