Stella Sommer tauscht auf dem neusten Album von Die Heiterkeit ihre Gitarre gegen das Piano ein und beschäftigt sich sowohl musikalisch, als auch textlich mit Gegensätzen.
Man fragt sich, was nach dem epochalen, sich über zwanzig Tracks erstreckenden Doppelalbum Pop & Tod I+II der Hamburger Indie-Pop Band Die Heiterkeit nun noch kommen sollte. Zuerst einmal veröffentlichte Stella Sommer, Mastermind und Mittelpunkt der Band, im vergangenen Jahr ihr Erstlings-Solowerk unter ihrem Klarnamen, was im Gegensatz zu den Alben ihrer Hauptband, in englischer statt in deutscher Sprache stattfand. Es folgt mit „Was passiert ist“, dem nun vierten Album der Band, der neuste Sommer´sche Streich. Dieser bringt nicht nur einige Änderungen mit sich, sondern stellt auch das bisherige Highlight ihrer Diskographie dar.
Die Heiterkeit war seit jeher ein offenes Orchester und veränderte mehrmals die Besetzung. Auf Was passiert ist übernimmt Stella Sommer, die Konstante der Band, nun gänzlich die Dirigentenrolle. Unterstützt wurde sie in der Produktion des Albums erneut von Moses Schneider, der sicherlich mitverantwortlich für die Tocotronic Assoziationen ist, die beim Hören des Albums aufkommen. Weitere Mitstreiter sind Philipp Wulf, der auch schon beim vorherigen Album zuständig für Drums und Percussion war und Jérôme Bugnon, Posaunist der Berliner Band Seeed.
Musikalisch fällt eines beim Hören von „Was passiert ist“ sofort auf: Stella Sommer scheint sich für das neue Album von Die Heiterkeit fast komplett ihrer Gitarre entledigt zu haben. Die prominentesten Rollen der Instrumentation werden nun von Klavier und Synthesizer gespielt. Zudem findet man auf dem ganzen Album einen deutlich stärkeren Fokus auf den Drums, als es bisher der Fall war. Genretechnisch lässt sich das Album in ähnliche Sphären einordnen, wie bisherige Werke von Stella Sommer, sprich Indie Pop/Chamber Pop/Goth Chanson (Gesundheit). Rein vom Klangbild zeigt es sich jedoch fröhlicher, lockerer und poppiger als die vorherigen Alben der Band. Thematisch dreht sich Was passiert ist um die Dialektik des Seins, dem gleichzeitigen Vorhandensein zweier Pole und dem Umgang mit dieser Spannung. Stella Sommer singt über Einsamkeit, Unsicherheit und Sehnsucht.
Der Titeltrack und Opener des Albums wird getragen von Orgelklängen und hat durch seine Eingängigkeit Ohrwurmqualität. Sommer überzeugt durch ihr sprachliches Geschick, gespickt von Stilmitteln und Wortspielen: „Man kann es kosten, doch es kostet ein Vermögen“. Sie beobachtet die Gegensätze und singt von ihren daraus resultierenden Unsicherheiten. Es wird leiser und Sommer spricht im zarten, pianolastigen „Im Fluss“ von dem Unterschied zwischen Stillstand und Bewegung. Im Chorus wird das Piano und Sommers halliger Gesang von bassigen Streichern untermalt, sodass der Eindruck eines Kammerorchesterspiels geweckt wird. Auch in „Dieses Mädchen“ greift Sommer die scheinbare Verschiedenheit auf, die uns jeden Tag entgegenkommt. Jedoch konstatiert sie schließlich, dass, wenn Unterschiede akzeptiert werden, sie sogar zusammengehören können: „Gerade weil wir verschieden sind, passt du gut zu mir“.
In „Das Wort“, dem vierten Track der Platte, führt Stella Sommer ein Gespräch mit ihrer personifizierten Einsamkeit. Begleitet von markanten Drums und Synth-Basslinien ist sie sich nicht sicher über jene Beziehung und schwankt zwischen Annäherung und Distanzierung. Diese Unsicherheit ist ebenfalls Thema im orchestralen „Ich sehe dich am Liebsten“. Man ist sich unschlüssig, was im heutigen Zeitalter Realität und was Illusion ist: „Ich sehe dich am Liebsten als Bild auf Instagram“. Dementsprechend wünscht sich Sommer im schwebenden Wie finden wir uns Klarheit. Es lohnt sich, Barrieren zu überwinden und weiter auf die Suche zu gehen, auch wenn es schwer fällt: „Ich bin so schlecht im Warten und ich warte eine Ewigkeit“.
Im pompösen „Die Linie im Sand“ veranschaulicht Sommer erneut die uns begleitende Dialektik. Auf der einen Seite gibt es Verbundenheit. Auf der anderen Seite ist Zerstörung. Sie nimmt beide Seiten ernst und akzeptiert die Gegensätze: „Ich bin zwar aus Stein, doch dafür ganz weich“. „Jeder Tag ist ein kleines Jahrhundert“ birgt die einzige Gitarre des Albums, die leicht und zurückhaltend den Song einführt und trägt. Er erzählt von der Relativität der Zeit: „Zeit ist nur ein Gummiband, das man zwischen Menschen spannt“. Das Tempo steigt in „Ein alter Traum“, in dem Stella Sommer von Überforderung und Hilflosigkeit spricht. Sie wird erschlagen von der Welle der Veränderung und kann dem Gewicht nicht standhalten. Drum lässt sie sich einfach treiben.
Belegt mit einem Vocoder singt Sommer in „Alles sieht groß aus“ über die Relativität, die Probleme klein oder eben groß erscheinen lässt. Im Outro „Die Sterne am Himmel“ dominieren wabernde Synths und Klavierakkorde. Sommer zeichnet Bilder von einem sich auflösenden Sternenhimmel. Dieses Bild beängstigt und gipfelt im Laufe des Tracks in einem bedrohlichen Crescendo. Erleichterung kommt auf, als diese Angst schließlich zu Nichte gemacht wird. Die Stimmung ändert sich und zuversichtlich schaut Stella Sommer in die Zukunft.
„Was passiert ist“, das vierte Album von Stella Sommers Band Die Heiterkeit hinterlässt vor allem eins: Melancholie. Dunkle Themen werden verpackt in ein helles Gewand, welches orchestraler anmutet, als es zuvor der Fall war. In gewisser Weise ist Sommer also konsequent: sie veranschaulicht die Koexistenz von gegensätzlichen Polen. Hell und dunkel, Nähe und Distanz, Akzeptanz und Veränderung. Auch wenn es teilweise schwer ist, diese Dialektik auszuhalten, gibt es ihr Flexibilität. Und uns das bisher beste Album von Die Heiterkeit.