Das mit der Evolution ist ja immer so eine Sache. Wenn sich Musiker, oft nach dem zweiten Album, anderen Neigungen hingeben und, sagen wir, vom britischsten Exemplar der Post-Punk Revival-Bewegung zur amerikanischsten aller „Indie“-Bands werden, stößt das bei den ursprünglichen Fans meist auf Unverständnis. Dieses Risiko ist auch Ruban Nielson eingegangen, indem er auf dem dritten Unknown Mortal Orchestra-Album auf alte Synthesizer und ebenso alt wie aktuell wirkende Disco-Sounds setzt. Nielson ist sich der Problematik freilich bewusst, was auch ein Grund dafür sein mag, dass Multi-Love so ein essentielles Album geworden ist.
Im Vorfeld wurden Fans und Kritiker bereits durch den Titeltrack und Album-Highlight „Can’t Keep Checking My Phone“ auf die Veränderungen eingestimmt. Besonders „Multi-Love“ suggerierte eine Tanzflächen-Version von „Thought Ballune“. Man muss dazu sagen, dass jene Songs hier zu den extravaganteren Auswüchsen gehören; wer sich nach den Vorab-Singles bereits angewidert abgewandt hat, sollte Multi-Love nochmal eine Chance geben und das Album in Gänze hören. Nielson und Bandmitglieder Jake Portrait (Bass) und Riley Geare (Schlagzeug) lösen sich nicht komplett von dem, was sie ursprünglich so sympatisch gemacht hat. „Necessary Evil“ und „Like Acid Rain“ rufen jeweils das Debüt und die euphorischeren Songs von II in Erinnerung, obwohl ersterer Song im Refrain vor allem durch Nielsons Gesang eher nach Junip klingt.
Auch anderswo mögen die Assoziationen zuerst verwundern. Der musikalische Fluss von „Can’t Keep Checking My Phone“ lässt an Hot Chip denken. Um die Fünf-Minuten-Marke stürzt Nielson das entspannte, von Akustikgitarre, Ennio Morricone-Keyboard und gedämpftem Schlagzeug dominierte „Extreme Wealth and Casual Cruelty“ in ein schmuddeliges Gitarrensolo-cum-Outro, das so selbst auf Unknown Mortal Orchestra als ungewöhnlich kratzig gegolten hätte. Im Anschluss dreht sich das Trio aus Auckland und Portland dann wieder um 180 Grad, „The World is Crowded“ lässt coolen Funk-Bass und warme Soulklänge vorbeiziehen – plötzlich sind Poolside und Mean Love gar nicht mehr so weit weg. Gleichzeitig sind die Lieder alle unverkennbar UMO-Songs, die nur Nielson hätte schreiben können. Mit dem siebenminütigen „Puzzles“ hat das Trio einen seiner besten Songs ans Ende seines besten Albums gestellt. Geares unwiderstehlicher Drumbeat in der Bridge treibt die Stimmung in die Höhe, so dass der anschließende Refrain mit seinen rauen Classic Rock-Synkopen noch härter auf den Dez gibt.
Im Endeffekt ist Multi-Love deshalb so erfolgreich, weil es den Spagat zwischen ästhetischer Weiterentwicklung und Treue zu den Kernprinzipien von Unknown Mortal Orchestra schafft. Nielsons Kompositionen waren immer schon funky und eigen, nur haben sich diese Qualitäten zuerst als Lo-Fi Rock, dann als sonniger Psych Pop und nun eben als Retro Disco/Rock-Hybrid geäußert. Nielson und Band bewahren bei aller Innovation ihre musikalische Identität und zeigen, wie „survival of the fittest“ wirklich geht.
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Beste Tracks: Can’t Keep Checking My Phone, Puzzles, Multi-Love
VÖ: 22/05 // Jagjaguwar
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„Can’t Keep Checking My Phone“:
Fichon