Arctic Monkeys – Tranquility Base Hotel & Casino

Die Chip-Shop-Rocker nehmen eine Auszeit und stattdessen präsentiert sich Alex Turner in dem „Tranquility Base Hotel & Casino“ so ehrlich wie nie zuvor. 

„I just wanted to be one of the Strokes, now look at the mess you made me make“ sind die ersten Zeilen, die Alex Turner in Crooning-Manier ins hallende Mikrofon haucht. Dabei könnte man meinen Turner hätte diesen Status spätestens seit dem letzten Studioalbum „AM“ und dem Erfolg von „Do I Wanna Know“ längst erreicht. Das fünfte Studioalbum der Arctic Monkeys bescherte ihnen den längst überfälligen Titel als Superstars und ließ ihren Frontmann aber zugleich in eine Zeit des Stillstands fallen. Die Post-AM-Phase wurde erst am 30. Geburtstags des in LA lebenden Musikers kreativ wiederbelebt. Ein simples Klavier sollte die Art und Weise mit der Alex Turner an das Songwriting und an Melodien herantritt noch neu aufleben lassen. Die ersten Stücke waren schnell geschrieben und anfangs gar nicht als Bandmaterial gedacht. Es musste erst der Gitarrist Jamie Cook kommen, damit beschlossen werden konnte, dass die Selbstreflexion des Alex Turner durchaus für eine erneute Reise der Band geeignet ist, die planlos und zugleich gemächlich auf die Tranquility Base zusteuert. 

Die anfänglich ziellose Reise spiegelt sich zugleich im Konzept der Platte wieder. Immer wieder wird der Mond und das Weltall als unfassbare Sphäre in den insgesamt elf Songs als Metapher angesetzt. Nachdenklicher denn je sinniert Alex Turner über den Sinn des eigenen Lebens und phrasiert schon fast in dadaistischer Manier „Dancing in my underpants / I’m gonna run for government“. Eine gelungene Verbildlichung, die zeigen soll, dass auch er die Gefahr der Künstlerblase zur Kenntnis nimmt. Keine Ideen sind unerschöpflich, vor allem nicht, wenn fernab der realen Welt irgendwo in den Hügeln von LA sesshaft geworden ist. 

Umgeben von den heutigen Technologien wird man mit seiner Gefühlswelt alleine gelassen und so holt man sich selbst allmächtigste Ratschläge heutzutage per Videocall ab, wie Turner in „American Sports“ erklärt. Die Kritik an der Technologie und der damit korrespondieren Flucht in eine andere Welt korreliert mit dem Sound auf dem Album. Matt Helders, Drummer der Band, erklärte erst kürzlich in LA Weekly, dass jeder Song immer, die Stimmung des Songwritings wiedergeben muss. Der Sound auf „Tranquility Base Hotel & Casino“ ist zurückgenommen, die Gitarrenriffs sind zwar noch vorhanden, wurden aber den Piano-Klängen zuliebe gedrosselt. Vielmehr wird Turners ausgereifte Stimme mit Hall und spacigen Sound-Effekten unterlegt. Dadurch bekommt die Platte nicht bloß einen Last Shadow Puppet Humbug-Vibe, sondern ist auch ein verstecktes Tête à Tête mit dem Geist von David Bowie und erinnert außerdem an Sci-Fi-Filme der 70er und frühen 80er Jahre.

„Four Out Of Five“, das bereits im Album-Teaser angespielt wurde, skizziert Turner das Bild einer Mondreise, die ihn vor dem Bewertungswahn unserer Gesellschaft retten soll. Zudem spricht er über den Druck seines Künstlerdaseins und dem heutigen Informationsfluss, der irgendwann in einer Willkür endet. Mit den Worten „Take it easy for a little while“ greift er den Prozess der Entschleunigung auf, der von einem sehr Arctic Monkeys-esquen Gitarrenriff gefolgt wird. In  „The World’s First Ever Monster Truck Front Flip“ zitiert er mit den Worten „You push the button and we’ll do the rest“ einen Kodak-Werbespruch aus dem späten 19. Jahrhundert und deutet immer wieder dystopische Ideen, wie die von Aldous Huxley an. Diese Gedanken enden in „Science Fiction“ in der Perversion der Technologie, die dann in „She Looks Like Fun“ wieder von irdischen Problemen abgelöst wird. Mit tiefer Creep-Stimme erzählt Cameron Avery zusammen mit Alex Turner die Geschichte einer unangenehmen Online-Bekanntschaft, die sich problemlos auf die Beziehung von Alex Turner zu dem Model Taylor Bagley übertragen lassen könnte. „The Ultracheese“ bietet einen würdigen Abgang und ist womöglich neben „505“ und „Cornerstone“ einer der schönsten Songs, den die Band aus Sheffield je produziert hat. 

Das sechste Studioalbum „Tranquility Base Hotel & Casino“ der Arctic Monkeys, das vom Stammproducer James Ford produziert wurde, ist mit seinen fehlenden Chorussen und den zurückgeschraubten Gitarrenriffs die nach „Humbug“ die womöglich unzugänglichste Platte der Band. Vielmehr ist der außerirdische Zufluchtsort für einen Musiker, der mit Anfang 30 bereits alles in seinem Leben erreicht hat. Die Entscheidung keine Vorab-Single zu veröffentlichen, bestärkt das Gefühl eines Gesamtkunstwerks, das gewürdigt werden muss.  Der Zuhörer soll sich nach mehreren Hörversuchen auf den erzählerischen Sound der Platte einlassen und kann dann durchaus mit einer großzügigen Retro-Suite im Tranquility Base Hotel rechnen. 

Vö: 11.05.18 // Domino

Beste Tracks: Four Out Of Five, One Point Perspective, The Ultracheese

Foto: Zackery Michael

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