Anfang Oktober haben RAPK ihr drittes Album „Odyssee“ veröffentlicht. Ein paar Wochen später empfangen mich Gustav, Tariq und Victor in ihrem Studio, um von magischen Momenten und Erinnerungen der Albumentstehung zu erzählen.
Gustav, das nicht-rappende Drittel von RAPK, holt mich auf einem alten Fabrikgelände ab, in dem heute Ateliers und Studios ihren Platz gefunden haben. Eine dunkle Kellertreppe führt zu der massiven Bunkertür eines ehemaligen Tresorraums. Fragt man RAPK, dann verbirgt sich dahinter auch heute noch ein Schatz. „Der Himmel auf Erden“, so bezeichnen sie den Raum, den ich jetzt betreten darf. Hier empfangen mich Victor und Tariq. Der Raum ist minimalistisch eingerichtet und aufgeräumt. Eine kleine Bar am Eingang (die Theke ist eigentlich ein Absorber), davor eine Sitzecke aus abgenutztem Samt, auf der anderen Seite ein großer Tisch für Meetings und eine Ecke aus Regalen gefüllt mit Merch, Stagebannern und Sprühdosen. Das Zentrum bildet ein einzelner Tisch mit Stuhl zum Produzieren. Die Absorber an den Wänden tarnen sich als Werke befreundeter Künstler:innen.
Es ist ein besonderer Raum. Ein Raum zum Arbeiten, ein Raum für Austausch, ein Zufluchtsort. Aber das war harte Arbeit. „Man ist nicht hier reingekommen und dachte, geil, hier ist der perfekte Ort für ein Studio“, sagt Gustav. Sie haben hier jede Ecke angefasst, alles selbst gemacht. Autodidaktisch, das Wort fällt an diesem Abend nicht bloß einmal. Bei dem Projekt zeigte sich einmal mehr der Zusammenhalt des Trios und seines Freundeskreises. Alle haben mitgeholfen. Victor erinnert sich: „Es gab auch den Moment, da konntest du deine Hand nicht sehen. Weil einfach der ganze Raum voll mit Rost und Staub war. Einer hat einen Metallsplitter ins Auge bekommen beim Flexen“. Dieser Ort ist mehr als ein Studio. „Also wer den Raum nicht schätzt…, dann krieg ich schon meine Macken. Das ist auch ein sehr persönliches Ding. Haben wir auch oft nicht gezeigt in Videos, weil wir es zu persönlich fanden“.
Nicht nur wenn es um ihr Studio geht, halten RAPK sich bedeckt. Viele Interviews gibt es nicht. Obwohl ihre persönlichen Texte im Kontrast dazu stehen, sind sie umgeben von einer gewissen Anonymität. „Die Musik spricht, das reicht erstmal“, erklärt Victor und Tariq ergänzt: „Ich finde es auch gut, nicht alles immer erklären zu müssen“. Die Befürchtung von Verschlossenheit oder einer Reserviertheit gegenüber Musikmedien stellt sich aber schnell als das Gegenteil heraus. Mir gegenüber sitzen drei offene, freundliche und gesprächige Menschen, die mich direkt zu Beginn neugierig nach meinem Plan für das Interview fragen. Enthusiastisch erklären sie mir, dass sie große Lust haben, über ihr Album zu sprechen: „Es ist ja auch was Schönes, wenn man an einem Projekt so intensiv arbeitet und nicht nur releast und dann ist es vorbei. Weil du ja übertrieben viel erlebt hast und viel mit dem Projekt zu tun hattest, kann man auch darüber quatschen“.
Aber zuerst die Basics. Wegen des Mangels an bisheriger Medienpräsenz nehme ich mir die Freiheit, mit den Standardfragen zu beginnen. Was ist RAPK? Kein Kollektiv, da ist man sich einig. „RAPK ist für uns unsere Musik. Wir sind zu dritt, machen Mucke zusammen und man beschäftigt sich jeden Tag damit“, so Victor. Den Begriff eines Kollektivs mögen sie nicht, es gebe viele Kollektive, mit denen man sich nicht identifizieren könne. Ihre Verbindung ist ohnehin mehr freundschaftlich als kollaborativ. „Man kennt sich schon ewig, weil wir in der gleichen Straße aufgewachsen sind, auf die gleiche Schule gegangen sind“, erklärt Gustav. „Wir kennen uns von Kind auf und haben ziemlich viel durchgemacht und dadurch sind wir schon fest verankert“. „Family“, ergänzt Victor.
„Wir setzen auf jeden Fall nicht auf organisches Wachstum, so wie das immer gesagt wird, nur weil wir sagen, dass wir kein Hype-Produkt sein wollen“.
Dass aus den ersten Rap-Versuchen im Jugendzentrum mal Ernst werden würde, hätten sie wohl alle nicht gedacht. Da war nie eine konkrete Entscheidung, es ist einfach so passiert. „Das hat sich über die Jahre rauskristallisiert, dass es bei uns das Rap-Ding ist“, erinnert sich Tariq. „Gab viele andere Sachen, die wir davor auch ausprobiert haben, sei es, dass wir selbst Instrumente gespielt haben oder auch Graffiti gemacht haben oder Fußball gespielt.“ Victor erzählt, sie seien damals einfach die gewesen, die drangeblieben sind, während andere sich anderen Aktivitäten zuwendeten. Das sei ganz automatisch gekommen. „So bin ich auch zu meiner Rolle gekommen“, ergänzt Gustav. „Es ist schon ziemlich klassisch entstanden in einem Jugendzentrum, wo es die Möglichkeiten damals für uns gab. Dann hatte ich Lust, ein Video zu machen und dann kam das erste Konzert. Aber alles auf entspannt. Gucken, wie es sich anfühlt. Für die hat es sich super angefühlt, für mich auch.“
An diesem Punkt entsteht eine kurze Diskussion, wann den nun das erste Konzert gewesen sein könnte. 2014 soll das gewesen sein, als man sich zum ersten Mal eine Location gemietet hat, damals noch als Rapkreation. Victor holt sein Portemonnaie aus seiner Hosentasche und zeigt mir einen der kleinen Flyer, die sie damals vor der Show verteilt haben. Selbstgemalt, na klar. „Muss ich eigentlich einschweißen“, findet Victor, aber Tariq versichert ihm, dass er selbst noch viele hat.
Als 2017 mit „Lauf“ der erste Song auf Spotify erscheint, fühlt es sich zum ersten Mal nach Ernst an für die drei. Ihre Connections zu ihren Musikkolleg:innen und Produzent:innen entstehen mit der Zeit, alles ganz organisch. „Manche kannten wir schon, bevor wir voneinander wussten, dass wir Musik machen. Man hat schon den Vorteil, dadurch dass man in der Großstadt groß wird, auf Leute zu treffen, die bestimmte Sachen machen. Da guckt man sich vielleicht mal was ab, holt sich einen Rat, kann sich mal was ausleihen, kann irgendwelche Strukturen nutzen. Das ist schon sehr viel einfacher in der Stadt.“
RAPK wachsen nachhaltig. Ihr Wachstum macht sich vor allem live bemerkbar. Ihre traditionellen Auftritte am ersten Mai in Kreuzberg werden von Jahr zu Jahr größer. Mittlerweile legen sie die ganze Straße lahm, wenn sie sich auf ein Auto stellen und ihre Tracks performen. Noch im August spielten sie eine kleine Show im Hole44, im Oktober 2023 geht es in die Columbiahalle. Ein großer Sprung. „Für mich ist das schon lange an der Zeit“, sagt Gustav und lacht. Victor relativiert: „Du sagst Columbiahalle, wir spielen aber in anderen Städten noch nicht so krasse Hallen. Berlin ist schon auch ein anderes Ding. Da spielst du erster Mai und auf einmal hast du die ganze Straße voll. Die Stadt hat uns schon viel früher wahrgenommen“. Dass ihre Art von Wachstum gar nicht beabsichtigt ist, erklärt Tariq: „Für uns ist es auf jeden Fall schön zu sehen, dass es gerade eine andere Aufmerksamkeit kriegt, weil wir auch einfach viel daran arbeiten. „Wir setzen auf jeden Fall nicht auf organisches Wachstum, so wie das immer gesagt wird, nur weil wir sagen, dass wir kein Hype-Produkt sein wollen“.
Der nachhaltige Charakter ihres Wachstums ist sicher auch durch den Independent Ansatz bedingt, den RAPK seit ihren Anfängen verfolgen. Trotz ihrer wachsenden Größe fürchten sie nicht um ihre Unabhängigkeit. Neue Herausforderungen nehmen sie an, arbeiten autodidaktisch. „Vielleicht geht mal was schief, aber die Fehler kommen von uns. Und wenn wir es machen, ist es am geilsten“. Es werde schwierig, sobald Externe dazukommen, findet Gustav. Und Victor ist sich sicher: „Wir sind da nicht unvorbereitet, weil wir das so lange schon machen. Wir sind für alles ready“.
RAPK sind bereit für mehr und verfolgen ihre immer neuen Visionen. Dem Takt der Musikindustrie scheinen sie sich in der Frequenz ihrer Releases zu widersetzen. Es so zu machen, wie es keiner macht, sei aber nicht die Strategie. Wobei Tariq zugeben muss: „Manchmal schon“. Auch hinter ihrem neuen Album stecken Vision und Planung, monatelange Arbeit. (Ihre Pläne haben sie für das Interview abgehängt, verrät Tariq mir mit einem Grinsen). Dass in der Schnelllebigkeit der Rap-Szene da die Aufmerksamkeitsspanne fehlen könnte, um sich damit wirklich auseinanderzusetzen und zu verstehen, macht ihnen nichts aus. Es gebe schließlich die Menschen, die sie verstanden haben und die sich dann die Zeit nehmen, wenn sie ein Projekt bringen. „Und außerdem machen wir das auch für uns. Es ist einfach für uns“, fügt Tariq hinzu.
Als unser Gespräch sich dem Album nähert, verändert sich die Stimmung im Raum. Man merkt, die drei sind glücklich mit „Odyssee“, ihrem jüngsten Projekt aus 13 Songs, das sie Anfang Oktober in die Welt gelassen haben. Besonders Victor freut sich, über das Projekt sprechen zu können: „Ich bin sehr zufrieden. Ich kann mir dieses Album anhören und ich bin übelst happy. Ich finde, es ist perfekt geworden“.
„Odyssee“ festigt die musikalischen und visuellen Charakteristika, die sich aus RAPK’s Diskographie entwickelt haben. Die Entwicklung von der ersten EP 2017, über das Debütalbum „Obskur“ 2019 und „GPS“ aus dem letzten Jahr zu beobachten, macht großen Spaß. „Und ich finde, wenn man sich unsere gesamte Diskographie seit 2017 anguckt, ist es immer wieder ein neues Level, das wir erreichen. Sei es visuell, seien es die Cover, die Beats, Mix Master, alles“, findet auch Tariq. Sie haben viel ausprobiert in den letzten fünf Jahren, die Herangehensweisen unterscheiden sich von Projekt zu Projekt genauso wie die Sounds. „Obskur“ sei damals während einer Albumsession mit MotB innerhalb von zehn Tagen entstanden, hinter den Videos steckten viele Köpfe, es wurde viel probiert. An ihrem neuen Projekt haben sie im Kern zu dritt über mehrere Monate gearbeitet.
„Odyssee“ ist eine Momentaufnahme ihrer Entwicklung. RAPK sind sich merklich sicher in ihrem Sound und ihrer Vision. Das Album hält Geschichten und Inspirationen aus Berlin, Marseille, Prag, der Schweiz und Paris fest. Ein musikgewordener Trip: „Ich finde dieses ganze Album hat dieses Feeling bekommen von einem Trip. Du bist übelst viel weg, du freust dich auf Berlin. Das hat dieses Album auf jeden Fall sehr viel beeinflusst“, erklärt Victor. Alles begann mit einem Silvester in Marseille, dem der gleichnamige Song entsprang. „Marseille“ ist schon zwei Jahre alt und entstand, als „Odyssee“ nicht mehr war als eine lose Idee. „Berlin“ ist das Ergebnis einer Fahrt nach Prag und transportiert die Vorfreude auf die Show im Huxley’s, für die sie zu dem Zeitpunkt dort probten.
Für einen Lieblingssong können sie sich nicht entscheiden, an ihnen allen hängen Erinnerungen der letzten zwei Jahre. Nur Gustav ist sich sicher: „Ich habe einen von Anfang an. Petit Frère“. Victor erinnert sich: „Es gibt diese Momente, wo du aus dem Studio gehst und du kannst nicht aufhören, diesen Song den du gerade gemacht hast, zu hören. Das hatte ich bei diesem Song am krassesten, dass er mich nicht losgelassen hat“. Auch die Entstehungsgeschichte des Tracks ist eine Besondere: „Tariq und ich, wir haben manchmal diese Momente, wir hören diesen Beat und wir reden kein Wort miteinander, bis wir diesen Song aufgenommen haben. (Tariq: „Also nicht darüber, wir haben schon gechillt auch“) Er wusste nicht, was ich für eine Hook mache, ich wusste nicht, was er für einen Part macht und dann nehmen wir es auf und es ist so ,uff, es ist magic einfach. Und es ist so schnell entstanden. Anderthalb Stunden“.
„Petit Frère“ ist das Paradebeispiel für das audiovisuelle Zusammenspiel der Songs von RAPK und nicht ohne Grund der Lieblingssong von Gustav. Die Visuals auf „Odyssee“ kommen allein von ihm. Besonders hier hat er eine Bildsprache gefunden hat, die die Musik von Tariq und Victor perfekt untermalt. Inspiriert von der Dokumentation „Prinzessinnenbad“ aus 2007 fängt er den Berliner Sommer ein und ergänzt die Melancholie des Songs um Wärme und Leichtigkeit. Er erinnert sich: „Wir haben nicht viel miteinander gequatscht. Und dann habe ich mir eine Kamera geholt. Das Video ist original ein Wochenende. Ich mit der Kamera, im Freibad, dann habe ich ein paar Kids getroffen und dann habe ich Victor und Tariq angerufen für eine Performance und fertig war der Lachs. Es ist einfach übelst das reale Video“. „Sieht aus wie gecastet, aber er ist einfach drei Tage rausgegangen und hat diese Bilder eingefangen. Das war auch magic“, findet Victor.
„Wir versuchen schon auch ein Spiegel davon zu sein, was uns passiert, was in unserer Gegend passiert, was wir cool finden, was wir nicht cool finden“
Alle drei RAPK-Mitglieder verstehen die Verbindung von Bild und Musik auf ihre eigene Art. Ihre Songs sind auch textlich sehr visuell. „Wahrscheinlich auch, weil es viel um Situationen geht, die man erlebt hat, die passieren. Das ist schon filmisch“, erklärt Gustav. Ihre größte Inspiration ist dabei das, was sie sehen. Ihre Texte sind meist die reine Darstellung ihrer Realität. „Wir versuchen schon auch ein Spiegel davon zu sein, was uns passiert, was in unserer Gegend passiert, was wir cool finden, was wir nicht cool finden“, sagt Tariq.
Die Realität, die sie abbilden, findet in Berlin statt. Wenn Victor und Tariq über ihre Heimat rappen, dann bewegen sie sich zwischen Liebe auf der einen, und sehr viel Wut auf der anderen Seite. „Einerseits kriegen wir voll viel Liebe von unseren Leuten und unserer Community, andererseits gibt’s Momente, wo man sich einfach auch krass im Stich gelassen fühlt“, so Tariq. Die Verbundenheit zu ihrer Stadt grenzt er klar von Lokalpatriotismus ab: „Ich hatte neulich so ein Gespräch und ich hatte das Gefühl die Person mir gegenüber hatte mich so verstanden, als würde ich mich so richtig darauf berufen, Berliner und auch Kreuzberger zu sein. Das hat mich fast schon beleidigt, weil es uns egal ist, woher man kommt“. Stolz seien sie auf das, was sie machen und wer sie sind, nicht darauf, dass sie aus einer bestimmten Stadt kommen. Der Raum, den Berlin in ihrer Musik einnimmt ist nicht geprägt von Stolz, sondern von Zugehörigkeit, Familie, Freundschaft. Und Tariq fügt hinzu: „Es gibt auf jeden Fall unglaublich viele Momente, in denen ich einfach auch Hass auf meine Heimat schiebe“.
„Berlin kann auch ein Trip sein“
„Berlin kann auch ein Trip sein“, wirft Victor ein und schlägt den Bogen zurück zu den Erinnerungen, die „Odyssee“ verewigt hat. RAPK‘s Irrfahrt führt durch halb Europa und findet schlussendlich doch zurück in ihre Heimatstadt. Dabei eröffnet das Album Zukunftsperspektiven für RAPK, die weit über die Grenzen von Deutschrap hinausgehen. „Wer weiß, wo die nächsten Connections hingehen. Wir haben alle eine Hälfte deutsch und meine aus Norwegen, Tariqs aus dem Sudan und Victors aus Frankreich. Wer weiß“, sagt Gustav. Auch Schweden sei ein Anlaufpunkt. Jetzt geht es für die drei erstmal an die Vorbereitungen für ihre Tour. Das Jahr Planungszeit wollen sie nutzen. Victor ist sich sicher: „Die Tour wird krass, die wird unglaublich“.
Mit der Einwegkamera in der Hand dreht Gustav eine letzte Runde durch das Studio. Fängt ein, was gesehen werden soll. Tariq holt sein Handy raus, schreibt mit Max. Für RAPK geht es heute noch ins Studio, dieses Mal zu MotB. „Wir haben ganz viele Ideen, es hat gar nicht aufgehört mit dem Album“. Und so überlasse ich die drei wieder ihrer Vision, auf deren nächste Resultate wir sicher nicht allzu lange warten werden.
Hier könnt ihr RAPK auf ihrer „Odyssee Tour“ besuchen:
05.10.23 Leipzig – Moritzbastei
06.10.23 Frankfurt am Main – Zoom
08.10.23 Stuttgart – Schräglage
12.10.23 Wien – dasWERK
13.10.23 München – Backstage Club
26.10.23 Hamburg – Uebel & Gefährlich
27.10.23 Köln – Club Bahnhof Ehrenfeld
28.10.23 Berlin – Columbiahalle