Zurück zum Ursprung – Neromun im Interview

Musik als Kunstobjekt zu verstehen, was Menschen begutachten, sich anhören können und ihre eigene Meinung dazu bilden. Neromun lässt in seinem letzten Album „Blass“ sehr viel Raum für sich als Künstler, aber auch für uns. Jetzt geht er erstmals damit auf Tour. Über das Bemühen nach Emanzipierung und der Suche nach dem Ursprung.

Dein letztes Album „Blass“ zeichnet sich ja dadurch aus, dass du progressiver sein willst und nicht als Künstler stagnieren möchtest. Das scheint dir ziemlich wichtig zu sein.

Ja, was heißt sein wollen, es ist eher ein Sein. Im Sinne von, dass das Dinge sind, die mir Spaß machen, mich motivieren. Gleichzeitig verändert man sich als Person fortwährend und das versuche ich auch einfach durch meine Musik auszudrücken. Ich bin auf jeden Fall nicht dieselbe Person wie vor drei Jahren — da ist sehr viel passiert.

Was ist in den drei Jahren passiert? Wie hat sich denn dein Musikstil verändert bzw. deine Art, Musik zu machen?

Meine Musik ist sehr viel unmittelbarer geworden, weniger verkopft. Es ist weniger eine Woche über einen Text nachdenken, mehr Freestyle. Das letzte Album besteht bestimmt zu 60-70 Prozent aus Freestyles. Keine aufgeschriebenen Texte, einfach ans Mic stellen und Zeile für Zeile recorden. Mehr direkte Erfahrungen und direkte Vibes, die ich ausdrücke.

Das hört sich ja nach ’ner ziemlichen Entwicklung an, nach Erwachsenwerden.

Ja, erwachsener geworden im Sinne von selbstbewusster sein. Sich mehr selbst zu verstehen und in der Lage zu sein, wirklich das zu tun, worauf man Lust hat.

Wie genau schreibst du denn jetzt im Vergleich zu damals?

Sehr viel plastischer und nicht mehr so metaphorisch. Vor allen Dingen schreibe ich keine abstrakten Metaphern, die so in der geistigen Welt sind und keinen Bezug auf irgendetwas Reales haben. Das heißt, früher habe ich ganz viele Worte benutzt, die einfach keine realen Entsprechungen hatten. So was wie „Erinnerung“. Erinnerungen haben schon eine reale Entsprechung, aber das ist nichts, was man anfassen kann, nichts Plastisches. Meine Texte sind immer noch bildlich, aber beziehen die sich immer auf echte Sachen und dadurch ist es, wie ich glaube, direkter, ansprechender.

„Mit den Homies in der Cypher sein, einfach zu Hause Beats hören und dazu freestylen. Das sind ehrliche Sachen, ehrliche Rituale und echte Momente mit Menschen zusammen, oder auch alleine.“

 

Woran liegt das? Wieso hast du das geändert?

Im Endeffekt, weil ich früher glaubte, dass man auf diese Weise zur Erkenntnis kommt. Dann habe ich aber gemerkt, dass es umgekehrt ist. Beziehungsweise, jetzt glaube ich, dass man mehr zur Erkenntnis und Gefühlen, zu vibes kommt, über direkte Sachen, die in der echten Welt sind. 
Ich habe mich sehr lange an weißen, männlichen Strukturen angebiedert. Die Weise, wie man die Welt erfasst und zur Wahrheit kommt. Ich habe ziemlich viel Theorie gelesen und auch Philosophie studiert. Irgendwann merkte ich, dass ich so einen „Nicht-weißen Minderwertigkeitskomplex“ habe, indem ich weißen Dudes beweisen will, dass man mindestens genauso clever ist und auf deren Ebene sein kann. 
Durch die Pandemie konnte ich auch erst zu mir selbst kommen und merken, dass es over ist für mich, mich an diese Strukturen zu halten.
Der Anfang von diesem Musikquatsch war das Freestylen. Mit den Homies in der Cypher sein, einfach zu Hause Beats hören und dazu freestylen. Das sind ehrliche Sachen, ehrliche Rituale und echte Momente mit Menschen zusammen oder auch alleine.

Dieses Bemühen genug zu sein war ja wie eine Art Selbstschutz-Effekt für dich, oder? Dass du gefallen wolltest.

Ja. Es hat sich so durch’s ganze Leben gezogen. Keine Ahnung, ich habe mal gerappt, dass ich mich vor alten weißen Menschen auffällig gewählt ausdrücke. Das ist das Game gewesen. Das ist nicht nur das „gefallen werden“, sondern was ganz Grundsätzliches. Man ist halt nicht weiß in einer weißen Gesellschaft und man ist total unterdrückt. Man versucht wertgeschätzt zu werden, selbst von denjenigen, die einen unterdrücken.

Das hat sich in deinem Alltag ausgebreitet, auch im Philosophiestudium?

Auf jeden Fall. Bei mir war es tatsächlich lange so, dass ich mich nicht davon abhalten wollte, weiße Männer zu lesen wie Hegel, nur weil ich schwarz bin. Ich dachte, ok, ich kann mich nicht von Rassismus so krass ablenken lassen und mein ganzes Leben nur noch Du Bois lesen. Ich hab irgendwann gemerkt, vielleicht ist es doch gar nicht so dumm, mehr Black Radical Theory zu lesen und mal aus diesen weißen Strukturen rauszukommen.
Durch Juju Rogers zum Beispiel, mit dem ich auf Tour war, hatte ich das Gefühl, viel weniger Korsett tragen zu müssen. Wenn ich im Studio bin mit nicht-weißen Leuten, ist es für mich viel entspannter. Und ich kann plötzlich viel bessere Musik fabrizieren, die sonst 2-3 Stunden dauern und eine Qual sind.

Wenn man sich in Deutschland die RnB Landschaft mal anschaut, wirkt die nicht wirklich vielversprechend. Worin liegt die Schwierigkeit, RnB auf Deutsch zu machen?

Gibt viele Schwierigkeiten, aber mainly wegen der Sprache. Das Deutsche ist ziemlich abgehackt und wenig fließend. Man muss bei relativ vielen Worten biegen und Sachen so ein bisschen anders aussprechen, damit sie besser fließen und mit dem nächsten so zusammengehen. Ein anderes Ding ist, dass es hier einfach nicht diese Tradition gibt, also melodisch. Soll heißen, wenn hier gesungen wird, auch jetzt noch bei Deutschrap und RnB Sachen, da hört man oft so `ne Schlagertradition. Das ist voll lustig. Diese Kids sind aufgewachsen mit Schlager-Type Stuff, wenn man so Gesang gehört hat, im besten Falle war das Grönemeyer. Da kommt natürlich sowas durch, ob man will oder nicht. Ich weiß nicht, wenn man mit Soul und Blues aufwächst und das ganze Umfeld sowas hört, dann hat man einfache andere Melodien im Kopf.

Dein Album „Blass“ ist schon seit Oktober 2021 draußen. Jetzt kannst du endlich auf Tour damit gehen, wie fühlt sich das an?

Ich freu mich, durch ganz Deutschland fahren zu können, Menschen und Orte zu sehen, die man sonst nicht sieht. Das ist bei Corona auf jeden Fall das Hauptding gewesen, dass man weniger Kontakt zu fremden Menschen und diesen random Begegnungen hatte, die aber super wichtig sind. Und natürlich freue ich mich, endlich wieder viel auf der Bühne zu stehen und diesen Quatsch live performen zu können, was schon ein großer Teil davon ist, warum man das macht. The master of ceremonies zu sein, das ist schon ein wunderschönes Ding.

Worauf dürfen sich die Leute freuen, wenn sie dich live auf der Bühne sehen?

Auf Vibes, pure Vibes und Emotionen. Es wird eine sehr Sound geladene Show sein. Das heißt, es wird sehr sehr viel mit Effekten und Autotune gespielt. Ja, in der Show geht es sehr um den Klang, um den Sound an sich. Darum, aus der Musik das Erhabene herauszukitzeln und so ein bisschen die Leute zu erschüttern, wie Sachen klingen können.

Seht euch hier das neueste Musikvideo zu „Gigi Type“ von Neromun an: