Keine Zeit für Zeitverschwendung – Ahzumjot im Interview zu „3:00“ über die wirklich wichtigen Dinge

Vier Jahre sind seit Ahzumjots letztem klassischen Album vergangen. Seitdem hat sich vieles verändert. „Luft & Liebe“ war das Album eines Suchenden. Ahzumjot war wütend auf die Szene und das Business, auf der Suche nach seinem Weg, seinem Platz, nach Anerkennung. Immer auf der Flucht vor den eigenen Abgründen. Sein neues Album veröffentlicht Ahzumjot als Künstler, der seinen Platz nicht nur gefunden, sondern selbst erfunden hat. Der die Anerkennung nicht mehr von außen sucht, sondern in seinem eigenen Wert erkannt hat. Der sich seinem Egoismus, Neid und seiner Wut gestellt hat und darüber hinaus gewachsen ist. „3:00“ ist die Momentaufnahme seiner stetigen Selbstoptimierung, eine Manifestierung seiner Werte und Ziele. Es ist ein Balanceakt – zwischen Höhenflug und Fall, Illusion und Realität, zwischen Familie und Karriere, Egoismus und der Angst vor der Einsamkeit, zwischen Sehnsucht und Zufriedenheit. Im Juni treffen wir Ahzumjot vor seinem ersten Konzert nach zwei Jahren in Dresden. Im Interview gibt er uns einen Einblick in die vergangenen Jahre, in alte Kämpfe und neue Perspektiven, in Erfahrungen und Erkenntnisse, die auf „3:00“ Platz finden.

Du hast lange keine Bühne mehr betreten und wirst deine neuen Songs gleich zum ersten Mal vor Publikum performen. Was ist gerade dein Gefühlszustand?

Ich bin erstaunlich nüchtern über die ganze Situation. Ich glaube, weil ich es einfach noch nicht so richtig realisiere, um ehrlich zu sein. Eigentlich ist es so ein krass besonderes Happening, dass man nach zwei Jahren wieder ein Mikrophon in der Hand hat und auf der Bühne vor Publikum steht, nicht vor Kameras in einem Stream. Es ist ganz komisch, ich check’s einfach noch nicht.

Aber bist du noch gar nicht aufgeregt?

Doch, die Nervosität kommt schon so langsam, ich bin auch immer aufgeregt vor Shows, das ist nichts Neues. Ich glaube, wenn ich dann sehe, dass da Leute sind, dann wird’s nochmal eine andere Sache. Wir haben gerade Soundcheck gemacht vor einem leeren Feld. Die letzte Show, die ich gespielt habe, war ein Streaming Konzert und da bist du ja auch vor niemandem. So hat sich das gerade angefühlt. Ich dachte schon, so das war’s, nur der Soundcheck war schon die Show (lacht).

Du spielst normalerweise sehr viele Konzerte, bist viel unterwegs. Die Live-Eskalation gehört zu der Ahzumjot-Experience dazu. Das fließt wahrscheinlich auch in deine Songs mit ein, weil du weißt, du wirst sie auf die Bühne bringen. Als du jetzt das Album gemacht hast, war ja klar, das dauert noch ein bisschen. Hat das den Prozess verändert? Bist du anders daran gegangen?

Tatsächlich war es so, dass ich 2018 schon angefangen habe, das Album zu machen und 2019 auch schon zu einem sehr großen Teil fertig hatte. Der allerletzte Song war „3:00“ und den habe ich noch vor der Pandemie gemacht. Das allerletzte, was aufgenommen wurde, war der Part von Keemo innerhalb der Pandemie, aber das Album war eigentlich davor fertig. Als ich’s gemacht habe dachte ich, ich werde es rausbringen und dann auf Tour gehen. Das war merkwürdig, als das Album in der Pipeline war und dann die Pandemie kam. Wir haben uns gefragt, wann wird live wieder gehen? Halten wir das Album jetzt zurück? Dass es dann so lange gedauert hat, lag einfach daran, dass wir Strukturen aufbauen mussten. Da hat uns die Pandemie eigentlich auch in die Karten gespielt.

Dein letztes Album hast du 2017 veröffentlicht, wenn man die „Raum“ Playlist nicht mitzählt. Das ist sehr lange her und ich finde, man hört auf dem Album sehr, wie viel bei dir passiert ist, wie du dich musikalisch und persönlich verändert hast. Du hast viel aktiv an dir gearbeitet, oder?

Ja. Das kam viel durch persönliche Dinge, die passiert sind. Allem voran, dass ich Vater geworden bin. Das ist eine große Sache, die viel an meinem Mindset geändert hat. Das hatte nichts mit der Musik zu tun, aber klar reflektiert die Musik das dann auch. Das merkt man, wenn man sich „Luft & Liebe“ anhört und dann „3:00″. Ich finde der Vibe ist ähnlich, es hat eine ähnliche Stimmung, aber vor allem inhaltlich merkst du, dass es zwar um ähnliche Dinge geht, aber aus einer anderen und neuen Perspektive heraus.

„Mein normales Arbeitspensum war davor echt krankhaft, muss man sagen.“

Du hast gerade schon erwähnt, du bist Vater geworden. Wie hat das dein Künstler-Ich verändert?

Die Arbeitsweise hat sich richtig krass verändert. Mein normales Arbeitspensum war davor echt krankhaft, muss man sagen. Ich konnte auch nur arbeiten, mich in diesen Tunnel begeben und sagen, ich bin jetzt einen Monat weg und nicht erreichbar. Es war schon normal für mich, 12/ 13/ 14 Stunden im Studio zu verbringen, dann fünf Stunden zu schlafen und den Rest kann man sich ausrechnen. Das hat sich extrem verschoben, weil das einfach nicht mehr geht. Ich kann nicht mehr den ganzen Tag wegbleiben. Das versuche ich gerade in den Griff zu kriegen, dass das noch weniger wird, eher effizienter.

Das kreative hat sich nicht so verändert. Also es ist jetzt nicht so, dass die nächste Platte dann die Papa-Platte wird.

Du wirst so ein Kinderrapper.

Ne ne ne ne ne das wird nicht passieren (lacht).

Mir ist aufgefallen, dass du seit 2019, als du Vater geworden bist, viel im Hintergrund gearbeitet hast. Du bringst jetzt zum ersten Mal wieder etwas raus, wo du als Ahzumjot rappst. Vorher hast du viel als Produzent gearbeitet und auch Alben von anderen Künstler:innen produziert, z.B. Zugezogen Maskulin. Hast du das bewusst gemacht, um dich zurückzuziehen?

Das war nichts Bewusstes. Die Instrumentalplatte, die ich gemacht habe, war schon immer ein Plan, den ich hatte. „Raum“ sollte eigentlich sogar mal rein instrumental werden. Ich muss sagen, dass es aber auch insgesamt eine Richtung ist, in die ich mich bewegen will, viel mehr als Executive Producer zu arbeiten. Weil ich darin definitiv auch eine Stärke bei mir sehe und auch etwas, was in Deutschland noch nicht wirklich da ist, so ein handfester Executive Producer. Man hat Produzenten, die Beats machen und sich um das Musikalische kümmern. Was ich aber viel mehr mache, ist dann mit den Künstler:innen sehr eng zu arbeiten, das hat oft schon fast therapeutische Ausmaße angenommen.

Ich hatte mal mit MAJAN eine Session. Wir haben den Song in drei oder vier Tagen gemacht, aber tatsächlich an dem Song gearbeitet haben wir nur ein paar Stunden. Die meiste Zeit hingen wir im Studio rum und haben uns nur unterhalten. Er hat dann irgendwann gefragt, wie er erklären soll, dass wir hier gerade drei Tage nur chillen. Und da war ich so, ey wir sind Künstler. Selbst diese Gespräche tragen so krass dazu bei, was wir dann machen und worüber wir nachdenken und dann auch schreiben. Auch dieser Prozess ist Arbeit.

Du hast MAJAN gerade schon erwähnt. Du scheinst offener geworden zu sein, was den Umgang mit der Deutschrapszene angeht. Du hast viel Kontakt zu anderen Rapper:innen gesucht, Lugatti&9ine, OG Keemo, MAJAN, alles auch sehr junge Rapper. Früher warst du eher defensiv.

Ich bin insgesamt offener geworden, was das angeht. Neid spielt auch weniger eine Rolle. Früher war ich sehr neidisch. Nicht mal bewusst, aber immer, wenn ich gesehen habe, dass bei jemandem etwas gut funktioniert, vielleicht sogar besser als bei mir, höhere Streaming Zahlen, krassere Festivals, größere Shows, war da immer dieses: „Ja, aber ist ja eigentlich kacke“ oder wenn ich was gut fand, dann so „Aber der bräuchte schon mal geilere Beats“. Immer irgendwas finden, was man scheiße findet, anstatt einfach mal zu sagen, dass das eigentlich geil ist. Das hat sich bei mir geändert. Ich finde nicht mehr alles kacke, sondern sehe, dass für jeden ein Platz da ist und auch genug Kuchen. Ich muss mein Stück nicht mehr so sehr verteidigen und habe verstanden, dass man am Ende auch viel mehr davon hat, wenn man eben teilt.

Das ist auch eine Grundaussage des Albums. Ich find’s vor allem bei jungen Künstler:innen so spannend, mit denen zu arbeiten, weil ich viel mehr Input kriege. Ich lerne viel mehr, weil sie so viel frischer und ungezwungener an die ganze Sache herangehen. Lugatti&9ine und MAJAN habe ich für meinen Twitch Stream angeschrieben. Ich kannte alle drei gar nicht, wir haben uns nie gesehen. Die haben direkt gesagt „Ja wir sind dabei!“. MAJAN hatte zu dem Zeitpunkt drei Millionen Hörer:innen täglich, der hatte das gar nicht nötig, aber er hatte einfach Bock. Etabliertere Rapper fragen erstmal, was sie davon haben.

Du hast die Rapszene und das Musikbusiness in deinen Songs schon immer viel adressiert. Die Position, aus der du jetzt sprichst, hat sich aber verändert. „Haifisch“ ist da ein gutes Bild. Früher warst du der kleine Fisch im Haifischbecken. Wider aller Naturgesetze bist du jetzt selbst zum Hai geworden. Du schwimmst jetzt mit, gegen den Strom natürlich, aber im selben Becken. Du bist nicht mehr bedroht. Ist das bei dir angekommen?

Ja. Das muss ich, und ich finde auch, darf ich sagen, dass ich mittlerweile ein Künstler bin, der etabliert ist in der Szene. Das sieht man vielleicht nicht unbedingt an den riesigen Zahlen, aber ich glaube, man weiß das. Ich habe mich jahrelang kleingeredet, hab gesagt, ich bin ja auch kein großer Rapper, jetzt bin ich so, ey erstens bin ich das wirklich nicht und zweitens ist das eigentlich auch niemand. Dieses Kleinreden aufgrund von Zahlen, aufgrund von Erfahrung, damit willst du dich immer nur über Leute stellen. Das ist etwas, was ich abgelegt habe, zu sagen, ich stehe über irgendeinem:r Künstler:in. Vor allem in der Kunst haben Hierarchien nichts zu suchen.

Als du angefangen hast, ohne Label zu arbeiten, da war das noch nicht üblich. Heute haben Musiker:innen die Wahl. Wenn wir über Neid sprechen, hegst du da einen Groll, dass du es schwerer hattest?

Ich finde es eher nice, dass es heute die Wahl gibt. Genauso wie ich es nice finde, dass Künstler:innen sich Sachen mittlerweile auch super schnell durch das Internet beibringen können. Du kannst dir mit ein bisschen Talent innerhalb von zwei Monaten beibringen, gute Beats zu bauen. Vor 15 Jahren, als ich angefangen habe, musste man noch viel probieren und viel Scheiße bauen. Ich hatte es aber auch schon leichter als nochmal 10 Jahre vorher, als Leute Connections brauchten, um überhaupt zu wissen, was für Equipment sie brauchen. Das ist immer eine Frage der Perspektive.

Wir neigen dazu, zu denken, dass wir es am Schwersten haben und unsere Probleme die größten sind. Ich hege da überhaupt keinen Groll, sondern bin eher froh darüber, dass das möglich ist und dass eben auch Künstler:innen durch das Internet die Chance haben, mit etablierten Artists connecten können. Das ist viel einfacher geworden Das finde ich total nice, weil es die ganze Kultur viel mehr nach vorne bringt.

Ein großes Thema auf dem Album ist auch, dass du Hass aus deinem Leben verbannt hast. Du sagst „Versuch’s nicht mit Hass ja gib auf“. Du hast es damit in deinen Songs aber schon sehr weit gebracht.

Ich habe einen Song der heißt „Ich hass euch original alle“ (lacht).

Genau, und für dich hat das funktioniert, mit Hass auf die Szene, auf das Business, auf andere Rapper. Die Leute haben dich dafür gefeiert. Denkst du, dass der Weg der falsche war? Bereust du das?

Das war der Weg. Der ist eigentlich gar nicht zu bewerten. Mir geht’s gut und das ist das Wichtigste. Ich versuche, nicht in der Vergangenheit zu leben, aber auch die Angst vor der Zukunft abzulegen. Jetzt gerade geht es mir doch gut. Deswegen bereue ich absolut gar nichts. Dass ich auch durch sehr viel Scheiße gegangen bin, hat mich ja nur zu dem gemacht, der ich bin. Ich bin relativ zufrieden damit (lacht).

Da hast jetzt mehr Verantwortung, dadurch, dass du ein Kind hast und bist auch abhängiger davon, dass deine Musik funktioniert. Ist der Druck auf dich gewachsen?

Nö. Aber auch hier wieder: Geld ist so relativ. Das merke ich jetzt vor allem bei meinem Kind. Na klar will ich, dass mein Kind alles hat, was es braucht, aber am Ende des Tages brauchen Kinder und Menschen eigentlich weniger, als man denkt. Ich habe immer gesagt, wenn ich irgendwann mal Kinder habe, will ich nicht, dass sie so arm groß werden, wie ich. Einen relativ großen Teil meiner Kindheit hat das Nichts haben eine relativ große Rolle gespielt. Ich bin heute in der privilegierten Position, zu sagen, dass Geld keine große Rolle mehr in meinem Leben spielt. Und irgendwie kommt immer was. Ich bin auch nicht mehr einfach nur Rapper. Ich sehe mich da auch gar nicht in 10/ 20 Jahren, so im Vordergrund. Ich finde es eigentlich viel geiler, immer mehr in den Hintergrund zu rücken.

Das ist ja auch ein guter Weg als Rapper. Man altert ja auch.

Ja, aber das ist nicht nur das Alter. Wenn ich mir Künstler:innen angucke, die 10 Jahre älter sind als ich und nur davon leben, dass sie eine Persönlichkeit des öffentlichen Lebens sind, davon hat ein so großer Teil einfach einen miesen Knacks. Das ist ja aber auch logisch, wenn du dein halbes Leben in der Öffentlichkeit stehst, wie sollst du da normal bleiben? Irgendwann wirst du mehr zu der Person, die du verkörperst in deiner Musik, als dass du noch die reale Person dahinter bist. In den Hintergrund zu rücken sorgt auch dafür, dass du sane bleibst und nicht mehr die Person bist, die für jeden Move gefeiert werden muss.

„Ich will irgendwann sagen, ich bin der deutsche Rick Rubin. Nur noch barfuß im Studio auf der Couch liegen, Augen zu und sagen „Ja, der Song ist wunderschön“.“

Du sagst das im Outro von Distanz II: „Hatte ’nen Plan, doch ich glaube, der galt nur für mich, jetzt hab ich ’nen anderen“. Ist das der Plan?

Ja. Hundert Prozent. Nimm mal einen Rick Rubin. Was der für eine Ruhe ausstrahlt. Viele wissen, wer er ist, aber kennen eigentlich nur die Projekte, an denen er arbeitet. Niemand weiß, welchen relevanten Part er da hat, aber er ist super chill damit, der braucht das gar nicht. Für mich ist Rick Rubin auf jeden Fall eine Traumrolle. Ich will irgendwann sagen, ich bin der deutsche Rick Rubin. Nur noch barfuß im Studio auf der Couch liegen, Augen zu und sagen „Ja, der Song ist wunderschön“.

Das finde ich spannend, dass du das so klar definieren kannst.

Das ist jetzt mein Hauptziel, auf das ich hinarbeite. Früher ging es wirklich nur darum, krass zu werden und Anerkennung zu bekommen. Wenn Leute heute sagen, ich bin underrated, ich bin overrated, denke ich, ratet mich wie ihr wollt, juckt mich eigentlich relativ wenig.

Was bei dir schon immer ein großes Thema war, ist Selbstkritik. Du bist sehr gut darin, dir brutal ehrlich den Spiegel vorzuhalten. Oft geht es da um deinen Egoismus und deine Neigung, dein Umfeld zu vergessen. Auf „3:00“ scheint es fast so, als hättest du diese Seite von dir hinter dir gelassen. Auf „Toast 2012“ lässt du dich dann aber wieder fallen in alte Gewohnheiten und Verhaltensmuster.  Wo stehst du da gerade?

Ich merke immer noch oft, dass ich in alte Muster verfalle. Die sind noch da, diese Charakterzüge. Ich bin mir auch relativ sicher, dass die niemals verschwinden werden. Am Ende des Tages bin ich Künstler und die meisten Künstler:innen haben ein dickes Ego. Die Arbeit liegt eher darin, damit umzugehen und das dann auch kanalisieren zu können. Zu erkennen, wann es von Vorteil ist und wann es fehl am Platz ist. Zuhause hat das nichts suchen, auf der Bühne muss das Ego da sein, weil da geht es defacto nur um mich. Das ist extrem gesagt, aber ich bin da, damit die Leute sagen, „Wow, war das eine krasse Show“. Ich gehe aber nicht nach Hause, damit meine Frau und mein Kind mir sagen, was für ein krasser Typ ich bin.

Kommunikation ist da auch ein Punkt, der dir Schwierigkeiten bereitet. Du sagst immer wieder, dass dir Entschuldigungen schwerfallen, die keine Zeilen in einem Song sind. Auch in „Vertigo“ ist das ein Thema: „Wieso kann ich dir sowas nicht auch einmal sagen, wenn für ’ne Minute kein Beat läuft“. Das finde ich interessant, dass es dir leichter fällt, deine Schwächen mit der ganzen Welt zu teilen, obwohl es reichen würde, sie mit einer zu teilen. Kannst du dir das erklären?

Super schwierige Frage. Woher das kommt, ich weiß nicht. Ist natürlich auch ein bisschen der Drang zur Selbstdarstellung. Ich gefalle mir selbst in der Position, zu sagen, dass ich so ehrlich mit mir umgehe. Diese Selbstdarstellung fällt mir leicht. Jemandem etwas in die Augen zu sagen ist sehr viel anstrengender als es nur niederzuschreiben. Selbst wenn es 100000 Menschen hören, ich bin ja nicht dabei, wenn sie es hören. Ich mache einen Song, der ist irgendwie ehrlich, whatever, aber ich muss mit keinem Echo rechnen. Wenn ich einer Person etwas ins Gesicht sage, kann auch zurückkommen „Ja du bist ein Arschloch“. Auf einen Song gibt es keine Antwort, das ist eine sehr einfache Lösung.

Deine Selbstkritik in früheren Songs ist sehr düster, da spielt viel Selbsthass mit. Das geht jetzt in eine andere Richtung und wandelt sich zu Selbstreflexion. Du sprichst jetzt eher davon, wie du sein willst und weniger davon, wie du nicht sein willst.

Voll. Nicht bewusst, aber jetzt, wo du es sagst, fällt es mir auch auf. Wenn man wirklich an sich arbeiten will, ist es ja auch viel sinnvoller, wirklich zu gucken, wer ich sein will.

Es ist auch viel einfacher zu wissen, was man nicht will, als wirklich herauszufinden, wie man sein will.

Das ist viel einfacher, natürlich. Wie, wenn du essen gehst und nur sagen kannst, worauf du keine Lust hast und aber nicht weißt, worauf du Lust hast.

Weißt du, wie du gelernt hast, wer du sein willst?

In den 10 Jahren meiner Karriere hatte ich schon sehr viele abgesteckte Ziele, von denen ich dachte, sie würden mich glücklich machen. Ich habe fast alle diese Punkte erreicht. Das erste, was ich immer wollte, war gehört zu werden. Dann haben mich Leute gehört. Dann haben mich irgendwann sogar viele gehört. Dann habe ich gesagt, ich will in einem Magazin sein, ich will Interviews geben, ich will vor einer Kamera stehen, auf der Bühne, ich will eine Tour spielen, ich will Festivals spielen, ich will ausverkaufte Touren spielen, ich will krasse Festivalslots haben, ich will das 10000 Leute vor meiner Bühne… hab ich alles erreicht.

Ich bin mittlerweile Vater und muss mir keine Sorgen machen, dass mein Sohn verhungert. Ganz im Gegenteil, der wächst privilegiert des Grauens auf, dass es mich manchmal nervt. Finanziell habe ich mehr erreicht, als ich jemals gedacht hätte. Hat mich all das irgendwie glücklicher gemacht oder zu dem Punkt gebracht, an dem ich sage, ich fühle mich angekommen? Nein. Dann habe ich irgendwann verstanden, was mich wirklich glücklich macht. Viel kam durch das Vater-Werden, muss ich sagen. Weil ich gemerkt habe, wie viele Dinge du bekommen kannst, die nicht zu berechnen sind, die auch out of nowhere kommen können.

„Auf der Bühne werden mich die Leute nur feiern, wenn ich ihnen eine geile Show biete. Aber meinem Sohn muss ich keine geile Show bieten – nur da sein.“

Hast du da ein Beispiel?

Ich kann mich ganz genau daran erinnern, als mein Sohn mir zum ersten Mal gesagt hat: „Ich liebe dich.“. Als er das gesagt hat und mich umarmt hat eines Abends, da sind mir direkt Tränen in die Augen gestiegen, weil ich so war, wow, das ist einfach ein Mensch, der das nicht gesagt hat, weil er auch was davon hat. Das kommt komplett von Herzen, dieser Satz ist so rein und unschuldig, dafür musste ich nichts tun außer da sein. Mit vollstem Herzen und aus tiefster Seele da sein. Wenn ich gefeiert werde, ist das immer mit Bedingungen verbunden, du musst was liefern dafür. Auf der Bühne werden mich die Leute nur feiern, wenn ich ihnen eine geile Show biete. Aber meinem Sohn muss ich keine geile Show bieten – nur da sein.

Du beschäftigst dich auf deinem Album viel mit der Frage, wie du deine Zeit nutzen möchtest. Du wurdest 2018 mit ihrer Vergänglichkeit konfrontiert, als du deinen Freund Sam verloren hast. Du widmest ihm einige Zeilen, aber sein Einfluss zieht sich durch das ganze Album in Form von Positivität. Du trägst Sams Lachen weiter, meidest Hass. Du hast erkannt, dass das für dich Zeitverschwendung ist.

Wenn ich an Sam denke, denke ich genau daran. Ich war immer so erstaunt darüber, wie er in jeder Lebenslage trotzdem noch dieses Lächeln hatte und nie verbittert war. Selbst wenn er genervt von etwas war, hat er das mit so einem Charme gesagt, dass man dem nie böse sein konnte. Er hat auch nie etwas gemacht, was böse war, der hat nur Positivität ausgestrahlt. Und nicht, dass ich jemand bin, der in den Raum kommt und Negativität ausstrahlt, aber dann habe ich schon darüber nachgedacht, dass ich so Songs habe, die heißen „Ich hasse euch original alle“. Willst du damit auf die Bühne gehen? Willst du das zu tausenden Leuten schreien? Willst du das in die Welt raustragen?

Und klar, manchmal ist es auch geil auf die Kacke zu hauen und Wut rauszulassen ist wichtig, aber wenn das deine einzige Message ist- „Die Welle“, „IHEOA“, „Ihr seid kacke, ich bin der Geilste“, dann denkst du irgendwann, Bro, chill, du hast doch so vieles, über das du glücklich sein kannst.

Aber ist diese Positivität wirklich eine Einstellungssache für dich? Das kann schnell toxisch werden. Ich finde das auf „Energie“ schwierig, weil niemand immer nur gute Energie aufbringen kann. Wenn das dein Anspruch ist, Hass und Negativität auszublenden, wie lässt sich das dann damit vereinbaren, dass das manchmal nicht geht?

Das ist völlig okay, wenn das manchmal nicht geht. Es ist auch völlig okay wenn es voll oft nicht geht. Das muss auch klar sein. Auf „Energie“ versuche ich mir über drei Minuten einzureden, „Ich hab zu viel gute Energie“. Deshalb ist da im Refrain auch kein anderer Satz. Ich rede mir das ein. Das ist der Song. Das ist jemand, der versucht sich einzureden, nicht traurig zu sein. Und dann flacht die Stimmung auf dem Album immer mehr ab und verliert sich viel mehr in der Melancholie, bis dann der Punkt kommt „Bruder wenn du kannst, halt die schlechte Energie nur auf Distanz“. Aber manchmal kannst du nicht und das ist völlig, völlig okay und keine Niederlage. Das muss auch viel mehr geteacht werden, dass man nicht die ganze Zeit funktionieren muss. Und vielleicht wirst du niemals funktionieren. Das macht dich nicht zu einem schlechteren Menschen.

Ich finde die beiden Distanz Songs sind da auch nochmal ein gutes Beispiel. Im ersten manifestierst du, wo du hin willst, was für dich der beste Weg zu leben wäre. Distanz II ist dann eher der Reality Check, du zeigst, wo du gerade stehst und dass du noch nicht da bist, wo du gerne wärst. Weißt du, wie du dahin kommst?

(Schüttelt den Kopf) Ich hab den Schlüssel noch nicht gefunden. Ich bin dabei, ihn zu suchen. Ich verliere meine Schlüssel aber sehr oft. (lacht) Ich glaube, es gibt aber nicht den einen, es ist auch gar nicht so wichtig den zu finden, sondern ganz viele verschiedene Schlüssel am Bund zu haben.

Der letzte Song „Lass Uns Scheinen“ beginnt mit der Zeile „Tun wir so als wenn wir heute Nacht zufrieden wären“. Ich finde der Satz ist so simpel und sagt so viel aus. Ist Zufriedenheit für dich ein Sehnsuchtsort? Willst du das überhaupt erreichen?

Absolute Zufriedenheit? Fast unmöglich. Aber genau das ist es, es ist gar nicht wichtig, diese absolute Zufriedenheit zu erreichen, sondern in Momenten zufrieden zu sein. Es ist aber genauso wichtig in Momenten unzufrieden zu sein. Wir versuchen immer rundum sorglos und glücklich zu sein, das ist aber unmöglich. Da kommst du nur hin, wenn du aufgehört hast, Sachen zu bewerten. Wenn es kein Positiv und kein Negativ mehr in deinem Leben gibt. Dann dürfen aber Sachen nicht mal mehr positiv sein, die es eigentlich sind. Sobald es Gut gibt, wird es immer Schlecht geben. So funktioniert das Leben. Wenn du diese Neutralität aber erreichst, dann hast du absolute Zufriedenheit. Deswegen sage ich nein, ich will das nicht erreichen. Ich will mich über Sachen freuen können, ich will aber auch trauern können.

Vielen Dank für das Interview!

AHZUMJOT und das Video zu „Lass uns scheinen“: