The Antlers – Familiars

Die Aufmerksamkeitsspanne im digitalen Zeitalter, heißt es, werde immer kürzer. Ein normaler Internetnutzer verbringt im Durchschnitt eine Minute auf einer Webseite, in den ersten fünf Sekunden eines Youtube-Videos entscheidet er, ob er sich das ganze Video anschaut. „Familiars“, das fünfte Album der Antlers – Nummer drei, wenn man Sänger Peter Silbermans Soloalben als The Antlers abzieht – straft diese Ansicht Lügen. Die Laufzeiten seiner neun sanften Songs bewegen sich zwischen fünf und acht Minuten, die durch die Langsamkeit für den normalen Internetnutzer, so er sich das Album überhaupt anhört, noch unattraktiver wirken. Dass es heute noch Musiker gibt, die solche Musik machen, und Hörer, die sie genießen, ist an sich schon beruhigend.

Aber bitte, lieber normaler Internetnutzer, lass dich davon nicht abschrecken: „Familiars“ ist ein wunderschönes Album, das es wert ist, etwas Zeit zu investieren. Wer das Risiko eingeht, sich während der 54 Minuten wiederholt in Silbermans Texten, Michigan-Trompeten und seinen eigenen Gedanken zu verlieren, wird mit einem warmen, einfühlsamen Art Rock Album belohnt. „Familiars“ ist The Antlers‘  „Spirit of Eden“ – eine Kreuzung zwischen ausholendem Post Rock und jazziger Downtempo Textur. Michael Lerners Drumming ist durchgehend wohlüberlegt, jeder Schlag sitzt da, wo sitzen muss. Das warme Brummen beim Höhepunkt von „Director“ ist der musikalische Ausdruck von Zufriedenheit. „Doppelgänger“ hat mehr mit Arve Henriksen oder Bohren & der Club of Gore zu tun als mit jeglicher Band, mit der die Antlers bisher verglichen wurden. „Familiars“ ist, und ich akzeptiere voll und ganz, dass das New Age-y klingt, schlicht wohltuend. Es ist kein Album für einen kurzen Flirt; es ist Musik, zu der man spätnachts Liebe macht.

Und das trotz der Texte. „Familiars“ dreht sich um Tod, Vergessen und Erinnerungen. „I find that there are different ways to look at death in your life,“ erklärt der Sänger die Thematik des Albums, „and they don’t have to be depressing at all. They can be inspiring and make you even more appreciative of life as you have it.“ Nichtsdestoweniger sind der Opener „Palace“ und der Großteil der restlichen Songs von Pathos durchtränkt; der Vergleich mit Filmen, die als „mind-expanding“ beschrieben werden, passt wie der Bohrer in den Schädel. Die Stimmung, die „Familiars“ verbreitet, ist eigenartig: synthie-hell („Director“), aber nicht fröhlich, sondern eher das Licht am Ende des Tunnels.

Die Antlers erzeugen eine strukturelle Entspannung, die, wenn man genauer hin hört, tiefer liegende Unruhen zutage bringt – „Push the Sky Away“ und „Field of Reeds“ warten nebenan. Gleichsam lesen sich die Ein-Wort-Songtitel wie unterschwellige Drohungen: „Doppelgänger“ sind spätestens seit Poe unheimlich, nicht weniger als „Intruders“ in unser Leben; die „Parade“, die Silberman heraufbeschwört, ist alles andere als ein Ausdruck der Freude. Der beste Track ist „Hotel“, dessen Video ebenfalls zwischen Ruhe und Tristesse schwebt.

„Familiars“ ist jedoch zu stark auf diese eine Stimmung reduziert. Es benötigt viel Aufmerksamkeit sowie Ruhe und entfaltet sich am besten, wenn man es von vorn bis hinten durchhört. Die Schlagzeugbesen und Piano- und Gitarrenfäden sind folglich ungeeignet für den Weg zur Arbeit, zum Einkaufen, oder wo man sonst Musik nebenbei hört. Der Preis für das emotional am meisten investierte und ergreifendste Album geht auch nach wie vor an „Present Tense“ von den Wild Beasts. Von Zeit zu Zeit sollte man sich aber „Familiars“ widmen – es hat etwas Kathartisches.

Beste Tracks: „Hotel“, „Intruders“, „Palace“

VÖ: 17/06 // Transgressive Records

 

Das Video zur ersten Single „Palace“:

[youtube https://www.youtube.com/watch?v=E9afJSKCOQQ&w=530&h=315]

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Fichon

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