Tame Impala – The Slow Rush

Wie bereits im Jahr 2015 auf dem Überflieger „Currents“, bewegt sich Kevin Parker auch 2020 weg vom rein psychedelischen Rock. Er setzt vermehrt auf groovigen, elektronischen Disco-Pop. „The Slow Rush“ ist ein Album das Türen öffnet, wie in einem Fluß verläuft und sich mit dem Thema Zeit beschäftigt.

Wir sind besessen von der Nostalgie. Wir denken an Momente der Vergangenheit, an die wir uns vehement klammern. Wir leben im Moment, versuchen all das aufzusaugen, was uns im Alltag begegnet. Und wir schauen in die Zukunft. Hoffnungsvoll, vielleicht ängstlich. Auf das, was in ein paar Jahren auf uns zukommen mag. Das Thema „Zeit“ liefert für Kevin Parker eine gewaltige Inspirationsquelle. Dafür reicht bereits ein Blick auf die Tracklist: „Lost In Yesterday“, „One More Year“ oder „Tomorrow’s Dust“. So heißen drei der insgesamt zwölf Titel.

Diesen tiefen Ozean der Zeit verpackt er in einem harmonischen, fast glamourösen Space-Pop-Gewand. Das Album läuft in einem Fluß durch, ohne die ganz großen musikalischen Überraschungsmomente und Hooks bereitzuhalten. Fans, die insbesondere auf die ersten beiden psychedelischen Platten „Innerspeaker“ und „Lonerism“ fixiert sind, könnte das abschrecken und vielleicht sogar langweilen: Ein easy-listening Album, das nebenbei ganz nett zu hören ist, aber auf dem ersten Blick auch seine Längen hat. Diese Kritik ist irgendwie nachvollziehbar. Und doch wäre das zu einfach. „The Slow Rush“ zeigt, wie sich Tame Impala, durch die Genres surfend, der breiten Masse öffnet. Das Album ist ein Beweis dafür, dass die Popmusik die festgefahrene oder gar uninspiriert gewordene Indielandschaft aufrüttelt: „How Indie Went Pop – and Pop Went Indie“ titelte das Pitchfork Magazin im vergangenen Jahr treffend.

Kevin Parker versteht den Pop

Denn nicht umsonst arbeitete Parker in den vergangenen Jahren mit Hip Hop / Pop-Größen wie Kanye West, Lady Gaga oder ASAP Rocky zusammen. Sicherlich inspiriert dadurch, schaffen es viele drumlastige Club-Grooves auf das Album: Songs wie „Breathe Deeper“ oder „Is It True“ erinnern beispielsweise an jazzy 70er-Jahre Disco Funk. Der Fokus liegt auf dem Dancefloor. Auch „It Might Be Time“ zeigt, wie der Disco-Pop der Zukunft aussehen könnte: Progressive Rhythmen, catchy Keyboards und übersteuerte Drums. Dieses Synthie-Grundgerüst nimmt Parker als Basis und verfeinert es mit Soundschnipseln verschiedener Genres. Ein gutes Beispiel dafür ist die Single „Lost in Yesterday“. Sie fährt auch diesen Vibe, bindet aber einstige Tame Impala Frickeleien wie psychedelisch-spacige Effekte ein. Selbiges gilt für „Instant Destiny“, in dem die verzerrte Gitarre zwar reduziert wird, aber nicht ganz verschwindet.

Kevin Parker öffnet sich musikalisch, behält aber gewisse Soundmuster bei, wenn auch nur in ganz kleinen Nuancen, die diese typisch melancholische Tame-Impala-Nostalgie auslösen. Eine Nostalgie als Droge, der man schnell verfallen kann. „The Slow Rush“ ist eben nicht nur ein Blick in die heutige Zeit der Popmusik, sondern auch ein Blick zurück.

Blick nach vorne und zurück

Auch auf persönlicher Ebene. So handelt das bitterschöne „Posthumous Forgiveness“ von dem Verhältnis zu Parkers bereits verstorbenen Vater, der die Familie verließ und in wichtigen Phasen seines Leben nicht für ihn da gewesen zu sein scheint. Da die Platte auch einen persönlichen Bezug hat, steckt der Musiker jede Menge Arbeit hinein. So überarbeitet er den wohl markantesten Track „Borderline“ und veröffentlicht ihn im Vergleich zur Singleauskopplung in einer kompakteren Version. So passe es besser ins Gesamtkonzept. Kevin Parker ist Perfektionist und ein musikalisches Mastermind, das sämtliche Instrumente, Stimmen, Beats und Elektronik selbst einspielt. Er weiß, worauf es in der heutigen Zeit des Pop ankommt.

Dieser neue Stil mag bei einigen Tame Impala Fans der ersten Stunde auf Unmut stoßen oder zumindest für Fragezeichen im Gesicht sorgen. Vielleicht irgendwie auch zurecht. Hatten Songs auf „Currents“ (z.B. „Let It Happen“) noch extremen Wiedererkennungswert, fehlen auf „The Slow Rush“ Tracks, die wirklich nachhaltig herausstechen. Doch man muss das Album als Gesamtwerk sehen und Zeit investieren. Es wächst von Mal zu Mal. Parker versetzt die Hörer*innen in einen dauerhaften Schwebezustand, der die Zeit, welch Ironie, fast vergessen macht.Vom einstigen psychedelischen Rock der 60er geht es, wie schon bei „Currents“, auch durch die wunderbare Produktion, in Dream-Pop-Gefilde.

Musik ist als Kunst eben nicht zu vergleichen mit einem Gemälde, das gezeichnet wird und jahrezehntelang als fertiges und sich nicht änderndes Werk bewundert wird. Stattdessen entwickelt sie sich mit der Zeit immer weiter. Genauso, wie die Person hinter der Musik. Sie bedient sich an Trends und greift auf Altbewehrtes zurück. Sie ist, wie das Album verdeutlichen soll, der Mix aus Vergangenheit, dem Leben im Jetzt und dem Blick in die Zukunft.

Hört hier „Lost in Yesterday“ von Tame Impala:

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