Es wird oft gesagt, dass in der Musik im Grunde alles schon einmal gespielt wurde und Neues nur dadurch entsteht, dass Musiker alte Ideen neu zusammenschweißen und/oder im jeweiligen zeitlichen Kontext wieder entdecken. Klar, „Revivals“ gab es schon immer. Doch wenn man die Musikgeschichte der letzten Jahre durchblättert, findet man immer häufiger kleine Wellen von Bands, deren Musik vor allem dazu dient, ihren Vorbildern Ehre zu erweisen: das Post Punk/Garage Rock Revival, das den Indie Rock der 2000er definierte, die wiedergefundene Vorliebe für psychedelische Musik Anfang des Jahrzehnts, die Renaissance des Disco Sounds durch Lindstrøm & Prins Thomas oder Daft Punk. Diese Revivals sind zugegebenermaßen eher klein und meist nur durch eine Hand voll Bands vertreten. Sie erneuern und verändern aber meist alte Musikstile auf innovative Weise und haben dazu den schönen Nebeneffekt, dass sie ihrem jüngeren Publikum wegweisende Bands wie etwa The Velvet Underground näherbringen.
Der neueste dieser Mini-Trends, zu dem man auch Sean Nicholas Savage zählen kann, ist Synth Pop mit R&B-Touch, der irgendwie immer an fast leere Karaokeschuppen um zwei Uhr nachts denken lässt. Savages Songs sind langsam, gefühlvoll und verführerisch, mit halb geschlossenen Augen und einem verschmitzten Lächeln auf den Lippen. Der Musiker aus Montreal bedient sich auf „Bermuda Waterfall“ an billigen Elektrodrums und schmalzigem Piano und legt darüber seinen an Jamie Woon erinnernden Soulgesang. Durch seine Sinnlichkeit grenzt er sich von der Musikszene in Montreal ab, die eher für unheimlichen, unmenschlichen Electronica bekannt ist. Tatsächlich lässt sich Savage eher Woon oder Blood Orange zuordnen, mit etwas Fantasie auch Todd Terje („Some Things Never Die“).
Die Songs sind hauptsächlich langsame Balladen, deren Idee man schnell begreift: die Frauen sind schön, das Leben noch schöner, und allein die Liebe macht die Welt zu einem besseren Ort. Musikalisch ist das Ganze zum Glück abwechslungsreicher. Von „The Rat“‚s Soft Rock über träumerischen Space Disco bis zu den verspielten Piano-Balladen „Darkness“ und „Vampire“ schmachtet Savage sich durch seine sepia-getönten Erinnerungen. Der Falsett-Gesang treibt einem zwangsläufig Tränen in die Augen, sei es aus lebensbejahender Melancholie oder weil der Anteil an Kitsch so unglaublich hoch ist. Das Album beginnt mit dem beispielhaft einfühlsamen – oder unerträglich abgeschmackten – Vers „Pink sun came up and I started to cry“.
Ich begebe mich mal auf Glatteis und behaupte, Savages Idol sei Prince. Weniger wegen der eigentlichen Musik, die viel Funk und Rock enthält, sondern wegen seines Images als Verführer und der thematischen Vorliebe für Sex und andere Liebesdinge. Die Stimmung erinnert stark an Connan Mockasins „Caramel“, beide Alben orientieren sich statt an „Little Red Corvette“ eher an „How Come U Don’t Call Me Anymore“. Während der neuseeländische Musiker im letzten Jahr das Image von Prince erfolgreich mit Neo-Psychedelia und japanischer Minimalkultur verschmolzen hat, klingt „Bermuda Waterfall“ dagegen eher wie etwas, das man in Hotellobbys und -fahrstühlen hören könnte, sollte Prince mal Bürgermeister seiner Heimat Minneapolis werden.
„Bermuda Waterfall“ ist extrem cheesy, möglicherweise etwas zu sehr. Die Songs sind so intim und ehrlich, dass sie meist dennoch überzeugen. Sean Nicholas Savage vermittelt einem das Gefühl – so kitschig das wiederum klingen mag – dass man mit dem Album auch einen Teil des Musikers in den Händen hält, unabhängig davon, ob man das überhaupt will. „Bermuda Waterfall“ ist, und das ist sein größter Trumpf, ein Prince-Album ohne den Rockstar-Status. Der größte Nachteil ist, dass es gleichzeitig ein Album ohne einfache Freude an der Liebe ist. Man sich des Kitsches und der triefenden Melancholie nicht erwehren, sepia-getönte Erinnerungen eingeschlossen.
Beste Tracks: Heartless, Vampire, Some Things Never Die
Vö: 12/05 // Arbutus Records
Hier kann man sich den Song „Heartless“ in voller Länge anhören:
[youtube http://www.youtube.com/watch?v=RRgvW6MZwok&w=640&h=360]
Fichon