Bei Petite Noir verlieren Genrebezeichnungen wieder einmal ihren Sinn. Man kann zwar herausstellen, dass sich in seinen Songs Elemente aus R&B, alternativem Hip-Hop, Rock, Electronica, Soul und Post-Punk wiederfinden – zum Kern der Musik dringt man damit nicht vor. Verweise auf TV on the Radio oder die Bezeichnung Art Rock treffen schon eher zu, da sie vor allem Diversität und Unkategorisierbarkeit suggerieren.
Wer ist also dieser selbsternannte König der Ängstlichkeit? Yannick Ilunga kommt aus Kapstadt und ist dort unter anderem als Model tätig. Als Petite Noir ist er 2012 mit der Single „Till We Ghosts“ aufgefallen, nach zwei weiteren Songs kurz darauf aber erstmal wieder in der Versenkung verschwunden. Ende letzten Jahres hat er noch kurz sämtliche Musikmedien auf sich aufmerksam gemacht – durch den Ohren- wie Augenschmaus „Chess“ –, nächste Woche erscheint dann endlich seine erste EP, The King of Anxiety. Den Titel kann man hier durchaus als falsche Fährte deuten: The King of Anxiety ist zwar weit von selbstbewusstem Stadionrock/Braggadocio-Rap (au choix) entfernt, doch musikalisch vor Können und Kreativität so strotzend, dass Ilunga was Petite Noir angeht keine Angst haben muss.
„Come Inside“ fängt gemäßigt an, mit Percussion und einer Gesangslinie, die an „Dirty Harry“ von den Gorillaz erinnert. Je weiter das Lied voran kriecht, desto höher pfeifen die Synths. Am Ende nimmt man die Einladung gerne wahr – und wird direkt mit der fettesten Sahnetorte konfrontiert. „Chess“ bietet warme Gitarrentöne, Ilungas Kopfstimme sowie den an Willis Earl Beal erinnernden, einnehmenden Bariton. Darüber hinaus TV on the Radio, soften Electronica, wiederholte Rhythmuswechsel, kreischende Saiten sowie allgemeines Eskalieren. In einem Wort: Gänsehaut. Auch die restlichen dreieinhalb Songs demonstrieren Ilungas ausgeprägtes Gefühl für Rhythmus. Bei „Shadows“ glimmern die Synthesizer wie ewiges Licht, nur schöner. „The Fall“ bedient sich dann beim minimalistischen Gitarren-Pop von the xx, wobei nach dem Refrain wieder alles in Richtung neuem R&B deutet. Kopfstimme und Bariton legen sich kunstvoll übereinander, die Stimmbänder sind Ilungas größter Trumpf. Beide Songs wirken neben „Come Inside“ und „Chess“ allerdings etwas fahl, wenn auch gut gemacht.
Neben „Come Inside“ und dem Herzstück „Chess“, dessen EP-Version wunderbarerweise fast acht Minuten beträgt, sticht die Debütsingle „Till We Ghosts“ hervor. Frei nach Gustav Freytag entwickelt sich der Song von feierlich-langsam zu etwas Ekstatischem, das man als Art Rock bezeichnen kann, bevor irgendwann der Punkt erreicht ist, an dem alles auseinanderbricht und langsam wieder nach unten fällt. So schön kann Pop sein. Als Bonustrack gibt es den Song dann nochmal mit Yasiin Bey (aka Mos Def) an den Vocals. Gut für Petite Noir, aber eher unspektakulär, zumal das Original und die neue Version direkt aufeinander folgen. Letzterer Song ist allerdings die einzige echte Schwäche der guten ersten EP von einem der interessantesten Künstler, die in diesem Jahr das Musikrad neu erfinden – oder zumindest kräftig daran drehen.
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Beste Tracks: Chess, Till We Ghosts, Come Inside
VÖ: 19/01 // Bad Life
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Fichon