Geschichten aus der Gruft: Dass Mia Morgen gerade die deutsche Musikszene aufräumt und mit „Waveboy“ für tagelange Ohrwürmer sorgt muss man wohl niemandem mehr erklären. Drangsal und Kraftklub sind Fans der ersten Stunde und auch wir haben spätestens seit dem Interview mit der Kasselerin einen gewaltigen crush. Mit der EP „Gruftpop“ legt Morgan jetzt neue Songs nach und präsentiert direkt die Bandbreite des gleichnamigen und von ihr erfundenen sowie wohl perfektionierten Genres.
Dass „Waveboy“ noch nicht ihr gesamtes Pulver verschossen hat, wird hier schon beim Opener „Valentinstag“ klar: Anfängliche Orgeltöne, ein klarer Schnitt zu dynamischen Synthie-Sounds und faszinierend-affektierter Gesang umrahmen hier den gegensätzlichen Ausruf „Es ist Valentinstag und ich will dir dein Herz brechen“. „Gruftpop“ ist genau das, was es verspricht zu sein: Gut gemachter, glatter und an den richtigen Stellen kantiger Pop, der eben so gut nur durch rosarote Brillen erzählen könnte. Tut er aber nicht. Stattdessen hat Morgan richtige Geschichten zu erzählen, schlüpft in anschauliche, lyrische Rollen und bietet intime Einblicke. Toxische Zwischenmenschlichkeiten („Immer Immer Immer“) besingt sie dabei genauso passioniert und unnachahmbar wie pures Verliebtsein („Waveboy“).
Musikalische Referenzen, die sich nicht in Schubladen drücken lassen
Neue, deutsche Welle, die Ärzte oder Drangsals „Zores“: Musikalisch lauern so einige Referenzen auf der EP und gleichzeitig ist keine zu 100 Prozent zutreffend. Allein durch ihren Gesang der stetig zwischen feminin, herzzerreißend, kunstvoll und tief wechselt, öffnet Mia Morgan sich eine ganz eigenen Schublade. 80s-Synthies und Tic-Tac-Toe’scher Sprechgesang verwandelt sie fließend in melodische Stimmkunst („Immer Immer Immer“) und reiht auf ihrer Debüt-EP Ohrwurm an Ohrwurm, Hit an Hit. „Gruftpop“ ist gleichzeitig Revival-Zeitgeist und völlig aus der Zeit gefallen. Vielleicht auch, weil Morgan mit „Waveboy“ selbst schon längst Einfluss auf die aktuelle Popkultur genommen hat.
Denn es ist ein Song, der wie Mia es in unserem Interview treffend schildert „weit über „Das ist ein guter Song, den gönn ich mir gerne“ hinausgeht“. Ein Song, der einen ganzen Stereotyp, den des sensiblen und in vielerlei Hinsicht geschmackvollen Waveboys, definiert. Ein Song, der selbst Merch-meidende Hörer dazu verleitet, liebevoll gestaltete Shirts bei der Künstlerin selbst zu erwerben. Zusammen mit Produzent Max Rieger hat Morgan auch in der EP-Version den Charme bewahrt, den das von ihr allein veröffentlichte Demo mit sich brachte. Trotzdem findet auch die beliebte, erste Variante ihren Platz auf „Gruftpop“. Zwischen lyrischer Metaebene und ehrlicher, trauriger Wortschönheit bietet die EP auch nach mehrmaligen Durchgängen noch echte Schmuckstücke zu entdecken. Zumindest so lange, bis das Debütalbum folgt.