Dass London nicht erst seit dem Brexit eine aufkommende Hip Hop-Szene besitzt, ist längst bekannt. Es wäre also auch falsch den 22-jährigen Coyle Larner, alias Loyle Carner, stumpf als Brexit-Rapper abzustempeln. Seine ersten musikalische Schritte machte dieser nämlich schon im Alter von 14. Anfänglich dienten seine Gedichte und Reime noch zur Selbstreflexion und spiegelten das Dilemma eines frustrierten Teenagers wieder. Mit 19 veröffentlichte der zum Musiker gereifte Carner seine erste EP, was ihm gleich zu einem Support-Slot bei Soulmates wie Kate Tempest verhalf.
Auch wenn er dem Sprechgesang natürlich sehr verbunden ist, lässt sich Loyle Carner nicht wirklich in eine Genre-Schublade stecken. Zu divers und zu experimentierfreudig ist der Sound des Londoners, der Grime mit Jazz, Blues und Poetry Slam vermischt, dabei aber nie die Eigenständigkeit seiner Musik verliert. Ähnlich verhält es sich auch bei seinem in Großbritannien sehr gehyptenen Debütalbum „Yesterday’s Gone“. Mit „The Isle Of Arran“ zeigt er gleich seine große Vorliebe für die Übersee-Musik. Der Hörer wird mit smoothen Gospel-Klängen offen empfangen, erst nach einem etwa 30-sekündigen Intro, tritt Carner an das Rednerpult und hält sein Plädoyer ab.
Yesterday’s Gone ist kein Weltverbesserer-Werk, das sensible Themen wie Brexit oder Trump mit gedroschenen Phrasen erklären möchte und doch wird in der Stimme einer Generation aus Unterdrückten und Nichtverstandenen aus der Seele gesprochen.
Carner, dem die Begeisterung für die Musik von seiner Familie eingeimpft worden ist, hat nämlich viel zu sagen. So rappt er beispielsweise über Zusammenhalt und eben auch über seine eigenen Probleme. Die Selbstreflexion, die Krise mit Gott, seine Kindheit mit ADHS, all dies versteht sich zwar in erster Linie autobiographisch und doch steht es auch sinnbildlich für das Gesicht, der geächteten Generation Y. Yesterday’s Gone ist kein Weltverbesserer-Werk, das sensible Themen wie Brexit oder Trump mit gedroschenen Phrasen erklären möchte und doch wird in der Stimme einer Generation aus Unterdrückten und Nichtverstandenen aus der Seele gesprochen. Verpackt wird dieses Storytelling in warme Beats, die mal an den guten John Legend („Damselfly“), mal sogar an James Blake („Florence“) erinnern.
Erzählt werden die Geschichten seiner Familie. Das Verhältnis zwischen Larner und seiner Familie ist ein Motiv, das immer wieder aufgegriffen wird auf „Yesterday’s Gone“. Man spürt als Zuhörer, dass die Platte ohne seine Familie so nicht entstanden wäre. Als Hommage steht am Ende der 13 Songs eine Nummer, die sich sound-technisch deutlich vom Rest der sonst eh schon sehr heterogenen Platte, abhebt. Carner bindet auf dem Closer „Yesterday’s Gone“ Samples von Gitarren-Aufnahmen seines Stiefvaters mit ein und auch die Mutter wird von ihm mit eingebaut. Wer jetzt aber denkt, dass das Debütalbum nur so von Melancholie so strotzen würde liegt falsch. Vielmehr ist die Platte als Ausblick zu sehen. Ein reflektierter Ausblick auf eine bessere Zukunft. Vernünftiger Optimismus. Mit dieser Einstellung, seinem unhaltbaren Talent und der Fähigkeit Dinge anzusprechen ohne lehrerhaft zu wirken, ist Loyle Carner einer der aufregendsten Musiker für das Jahr 2017.
Beste Songs: The Isle Of Arran, Ain’t Nothing Changed, NO CD
VÖ: 20.01 // Caroline
Der Opener „The Isle Of Arran“: