Weg mit deiner Angepasstheit, die deinen Wahnsinn nicht mehr verstecken kann und weg mit unseren Zusammenhängen, die uns doch nur meilenweit von einander entfremdet haben. Es gibt nichts richtiges im Wahren auf dem neuen Album der Nerven.
Max Rieger, Julian Knoth und Kevin Kuhn verkrümmen sich, krampfartig schießen die Parolen durch die Refrains ihres neuen Albums. Es wird geschrien, Gitarren explodieren, „nichts bleibt wie es ist […] glaub nicht alles, was ich sage“ heißt es in „Aufgeflogen“. Die Wut, das Unverständnis, die Verweigerung der beiden Vorgängeralben Out und Fun sind geblieben, und doch ist Fake eine umfassendere Herangehensweise an die eigene Musik. Der Starsinn des Punks weicht hin und wieder einer umfassenderen, runden Klangästhetik, die einen mitunter soften, empathischen Rahmen für die Absage an sich selbst und uns alle bietet. Die Nerven finden auf ihrem vierten Album nicht nur weiterhin zu Aggression aus gebrochener Illusion zurück, sondern vor allem zu einem erzählerischen Kontinuum, das die einzelnen Songs in eine zusammenhängende Aussage stellt. Fake macht in seiner Gebrochenheit, in der unermüdlichen Beobachtung seiner Umstände so viel Sinn, wie es vielleicht schon lang keine deutsche Band mehr vermochte.
Die Nerven, die sich in der Arbeit zum neuen Album zwischen Theaterarbeit, Livesessions und Proberaumquerelen zwischen Berlin und Leipzig laut eigener Aussage immer wieder fast getrennt hätten, bekommen in den Artikeln des deutschen Feuilletons meist den selben Namen, (welcher das ist, könnt ihr selber rausfinden) werden lapidar als Speerpitze der nationalen Punkmusik hingestellt und inhaltlich meist wohlwollend als Neinsager mit dreckigem Gitarrensound gelobt. Dass das schlicht zu kurz gedacht ist und die Band sich größtenteils nur gegen industrielle Popnormative und deren musikalische Vertreter richtet, wird auf Fake ein für alle mal aufgelöst. Die Bewegungslosigkeit, die Konformität und der Zwang so zu sein, wie es dein Discovery Feed oder deine Amazon-Kaufvorschläge vorgeben und nicht, wie es dir selbst oder deinem Umfeld tatsächlich nachhaltig gut tun würde, sind weitaus genereller, weitaus menschlicher.
Und so geht das hysterische und schäumende „Lass alles los, gib alles frei“ in „Frei“ eben gegen uns alle, gegen die Stummheit, die Langeweile und den inneren Selbsthass, der so unbesprochen und bestätigt durch Freundeskreise, Beziehungen und Drogeriemärkte fließt. Songs wie „Roter Sand“ oder „Der Einzige“ sind voll eben jenem Unverständnis gegenüber sich selbst, das in mentale Isolation, im Gedanken nicht genügend genug zu sein, seine Kreise zieht, wo es doch gerade hier nicht gelöst werden kann. Der fehlende empathische Zusammenhang zwischen dir und mir findet nicht statt, er wird unterdrückt von normativem Traditionsdenken und dem psychologischen Konservatismus der Leistungsgesellschaft. Mit der Frage „Bin ich der Einzige der weint?“ sehnt sich eine Band nach nichts Einfacherem als aufrichtiger Zuneigung, nicht für ihre Musik sondern nach einem gefühlsbetonterem Umgang im zwischenmenschlichen Alltag. Romantisches Miteinander im Gewand einer 90s Punkband quasi.
Wo es auf der einen Seite in den Texten der Nerven einerseits um die Verweigerung gegenüber konsumgesteuertem Identitätsverlust geht, scheint sich kurz darauf fast eine Antwort auf die generelle Absurdität der Existenz zu finden, sei es Abkehr und Auflösung von der veralteten Lähmung des Gesellschaftsdruck oder doch die darauffolgende Akzeptanz von Emotion und der omnipräsenten Angst vor allem, was da kommen mag. Musikalisch wirkt Fake runder als seine Vorgänger, weitreichender. Die Gitarren haben genug Platz, sich weiterhin schlagartig bahnbrechen zu können und Kuhns Schlagzeug treibt die Geschwindigkeit teilweise gewohnt atemlos voran. Es sind die ruhigen Momente in lauten Songs, die „Niemals“ oder „Dunst“ besitzen, die den Sound der Nerven größer und vielfältiger wirken lässt. Als wäre ein großer Raum geschaffen worden, in dem sich ein weites Chaos für den „war inside“ auslegt.
„Her mit euren Lügen, her mit eurem Leid“, fordern Rieger und Knoth im Titelsong gemeinsam singend, als würden sie zum Abschluss kathartisch die Arme öffnen, die Oberflächlichkeit, die Scham, die schmerzhaft versteckte Angst vor dem eigenen Versagen müssen endlich ausgesprochen werden. Die Empathie muss frei sein, gelöst von der Arroganz einer falschen Auffassung der gesellschaftlichen Bedeutung des Individuums. Alles fake, alles muss weg.
Beste Songs: Niemals, Frei, Der Einzige
VÖ: 20.04.2018 // Glitterhouse Records