Das Debütalbum von Die Kerzen wimmelt nur so von Referenzen. Musikalisch setzen sie den Sound der 80er New-Romantic Welle gekonnt in Szene, ohne dabei altbacken zu klingen. Gepaart wird das Ganze mit Texten, die liebevoll und skurril zugleich sind. Das Hauptthema der Platte ist aber natürlich schon im Titel enthalten: es geht um die „True Love“. Doch gibt es diese überhaupt?
Bereits im letzten Jahr wurden wir mit einer ersten Veröffentlichung der im Mecklenburgischen Ludwigslust beheimateten Band beglückt. Die auf der „Erotik International“ EP enthaltenen Tracks gaben einen ersten Eindruck des Sounds der Die Kerzen. Dieser war geprägt von mit Reverb gefüllten Vocals, choruslastigen Gitarren und eingängigen Synths. Musiknerds der Nation warfen entsprechend mit Referenzbands der 80er, wie Perfab Sprout oder Tears for Fears, um sich. Guckt man hinter die Kulissen, ist der Kerzen-Kosmos vermutlich ein Produkt ihrer Umwelt.
Will man sich als Millennial von der Provinz abgrenzen, geschieht dies sicherlich nicht selten durch die Identifikation mit popkulturellen Strömungen. Außerdem muss der Monotonie der Kleinstadt ja irgendwie entgangen werden. Zum Glück entschieden sich Die Katze, Fizzy Blizz, Jelly del Monaco, und Super Luci dafür, diese Ödnis mit dem Produzieren von Musik zu füllen. Dabei beziehen sie in ihrer Musik alles ein, was sie in irgendeiner Weise beeinflusst hat. Beispielsweise: japanische Pop-Kultur, Hollywoodfilme und eben ein sorgfältig aufgearbeitetes, fundiertes Wissen über 80er Popmusik. Dem Internet sei Dank! Da Die Kerzen aber eben auch nur Menschen sind, und wie wir alle ein Bedürfnis nach Nähe haben, dreht sich ihre Musik natürlich auch um Liebe. Und nicht nur um irgendeine Liebe. Sondern um die „True Love“.
Romantik und Sehnsucht
Im heutigen Sprachgebrauch bezeichnet das Wort Romantik meist einen sentimentalen Zustand des Gefühlsreichtums. Damit einher geht häufig auch eine gewisse Sehnsucht. Sprich, ein zu diesem Zeitpunkt nicht erfülltes Verlangen nach einer Sache, nach einer Person. Die Kerzen machen auf „True Love“ diesem Begriff alle Ehre. Gleich im Opener „Blue Jeans“ besingt Die Katze das Verliebtsein und die Bewunderung für sein Gegenüber. Der Track wird von einem lässigen Beat getragen und begleitet von funky Gitarren. Ein Track, der beim Engtanz mit leichtem roten Licht und Nebel unter der Discokugel laufen sollte.
Ähnlich geht es weiter im zackigeren „Saigon“, der zweiten Singleauskopplung des Albums. Viele kennen es: eine flüchtige Clubbekanntschaft, an die man sich am nächsten tag nur noch schemenhaft erinnert. Doch diese Momente bleiben. Schnell malt man sich aus, wie man sich zufällig erneut trifft und einen solchen Moment wiederholt. Vielleicht noch einmal in Berlin. Vielleicht aber auch im fernen Osten. Der Fantasie sind schließlich keine Grenzen gesetzt. Spätestens bei Jelly del Monacos verträumten Querflöteneinsatz ist es um einen selbst geschehen und man schwelgt in persönlichen Erinnerungen.
Diesen Momenten eifern Die Kerzen auch in „Mit Seide“ nach. Im Laufe einer Partynacht entsteht eine Spannung zwischen den Beiden Protagonisten. Die restliche Billo-Wodka-Mate Mische wird schnell weggeext, sodass man das Weite und die Zweisamkeit aufsuchen kann. Das Knistern zwischen den beiden ist förmlich herauszuhören: „Schwarze Jeans an deinen Lenden / Mein Herz in deinen Händen“. Wünscht sich nicht jede*r einen solchen Moment des gegenseitigen Begehrens?
Im Augenblick
Die Kerzen maßen sich auf „True Love“ nicht an, Lösungen zu präsentieren. Vielmehr geht es um eine Beschreibung des Hier und Jetzt. Sie singen darüber, was sie wahrnehmen und was ihnen in ihrer Realität auffällt. Dabei spielt es keine Rolle, ob diese Situationen fiktiv bzw. logisch sind oder nicht. Das Einfangen einer Stimmung nimmt im Endeffekt den höchsten Stellenwert ein.
Bei ihren Beschreibungen wird häufig die Absurdität der Welt deutlich. Nicht selten ertappt man sich durch die Bildhaftigkeit der Situationen bei einem Schmunzeln. Ein Paradebeispiel dafür ist zum Beispiel im Track „Zu Spät“ zu finden: „Und am Flughafen Berlin-Tegel warte ich auf dich / Der Kit-Kat schmilzt in meiner Hand“. Wie gerne imaginiert man die Tragödie, wie Die Katze mit einem Schokoriegel in der Hand am Gate vergeblich auf seine Liebe wartet. Doch davon lässt er sich nicht entmutigen und fliegt schließlich alleine nach Rio, um das Beste aus der Situation zu machen.
Ähnliche lyrische Feuerwerke werden mannigfaltig ebenfalls auf „Karamba“ gezündet, welcher bereits einen Platz auf der zuvor erschienen EP fand. Es ist fast so, als hätte man zeitgenössische Deutsche Trap Artists á la RIN oder Yung Hurn einer musikalischen Gehirnwäsche unterzogen und rauf und runter mit ihnen 80er Synth-Pop gehört: „Die Powerbank ist leer / Die Kerzen Open-Air“ oder “ Und du willst hier nicht mehr weg / Cola-Whiskey in deinem Tetrapack“ sind nur einige der Highlights.
Die Frage nach der wahren Liebe
Wie der Albumtitel „True Love“ verrät, geht es im Großteil der Tracks um Liebe. Auf dem gleichnamigen Track singt die Katze: „Ich hol dich hier raus / Baby, True Love!“ Begleitet von janglepoppigen Gitarren und klassischen 80s Synths beschreiben Die Kerzen melancholisch eine tragische Liebe. Gemeinsam ausbrechen; doch woraus? Vielleicht aus der Provinz, vielleicht aus der nicht funktionierenden Beziehung. Vermutlich wird nicht ohne Grund Joy Divisions Evergreen „Love will Tear us apart“ zitiert.
Doch wird es in der Großstadt anders sein? Im sanften Outro „Solarium“ singt Die Katze über seine Anfangszeit in Berlin; nach dem Ausbruch aus der Nord-Ostdeutschen Kleinstadt. In den Straßen Neuköllns lernte er eine Person kennen, mit der er einige Zeit verbrachte. Scheinbar jedoch, haben beide die Schattenseiten der Hauptstadt kennengelernt und sie gehen getrennter Wege. Ob er wohl immer noch an der Hermannstraße sehnsüchtig auf sie wartet?
Die Kerzen versuchen auf ihrem Debütalbum eine Antwort auf die Frage nach der „True Love“ zu finden. Oder? Vielleicht gibt es auf diese auch keine. Wir sind eben nur Menschen und daher nicht perfekt. Sondern mal sprunghaft, mal standhaft, mal verliebt, mal genervt. Und das alles darf sein. Die Kerzen halten uns und sich selbst einen Spiegel vor Augen: Dass wir so sind wie wir sind, uns nicht immer so ernst nehmen müssen und dass das alles auch mal komisch sein darf.