Eine der bemerkenswerteren Szenen in David Markeys Tourfilm 1991: The Year Punk Broke zeigt, wie Kurt Cobain während einer Live-Darbietung von „School“ seinen Kopf wie verrückt gegen einen Verstärker rammt, nur um kurz darauf mit voller Wucht gegen ebenjenen Verstärker zu rennen. Die paar Sekunden, die quasi als Intro zum Song dienen, sind eine Mischung aus Live-Ekstase und ernsthaften psychischen Problemen. Cloud Nothings brachten vor zwei Jahren diese Doppeldeutigkeit mit „Attack on Memory“ zum Ausdruck. „Here and Nowhere Else“, das vierte Album der Neo-Punks, entlädt sich ähnlich gewaltsam, legt den Fokus aber auf die Ekstase.
Vergleicht man „Here and Nowhere Else“ mit dem „braven“ zweiten Album „Cloud Nothings“, fällt einem vor allem der Gesang auf. Mit ein paar Ausnahmen klingt Sänger und Frontmann Dylan Baldi auf letzterem noch jünger als der 19-jährige College Freshman, der er damals war. Ganz anders als ein Jahr später auf dem exzellenten „Attack on Memory“ oder nun auf „Here and Nowhere Else“. Das Gefühl der Verzweiflung, das „Attack on Memory“ vermittelte, war zu einem großen Teil der leicht quäkigen, krächzenden Stimme zu verdanken, mit der der Sänger die Parolen eines von Existenzängsten geplagten Jugendlichen aus seiner Kehle herauskratzte. Diese Stimme wechselt sich auf „Here and Nowhere Else“ mit wütendem Geschrei ab. Man hört sein Potential auf „Psychic Trauma“: Baldi bedient sich anfangs der nonchalanten Intonation eines Thurston Moore, bevor er wieder in seine aggressivere Pubertätsstimme zurückrutscht. Kurz darauf nimmt der Song Fahrt auf und Baldi brüllt sich die Seele aus dem Leib – seelisches Trauma veranschaulicht.
Cloud Nothings spielen auf ihrem neuen Album wieder mehr mit Dynamik. „Psychic Trauma“ endet gefühlt dreimal schneller und kaputter als es beginnt, ebenso „Pattern Walks“. Zwischendrin sucht „Just See Fear“ die Erfüllung in paranoid rasenden Gitarren. Wo „Attack on Memory“ das Sonnige der beiden ersten Alben gegen schwere, graue No Wave-Wolken eingetauscht hat und die Apathie des Grunge mit der Energie von „Cloud Nothings“ abgewechselt hat, geht „Here and Nowhere Else“ einen anderen Weg und extrapoliert diese Energie in kathartische Wut.
„Here and Nowhere Else“ besitzt, wie die Musik von the Joy Formidable, eine überwältigende Energie, die man so sonst nur bei Live-Auftritten findet und empfindet. The Joy Formidable, ebenfalls ein Trio aus Gitarre, Bass und Drums, klingen dabei jedoch so massiv, als gebe es jeden Musiker zweimal, wohingegen Cloud Nothings ihre Gewalt aus dem rauen „live in studio“-Sound von Big Black oder den Cockney Rejects ziehen. Zur Mitte des Albums versetzt sich „Giving Into Seeing“, wie überhaupt der Großteil des Albums, selbst in Ekstase auf eine Weise, die die Pixies als Vorband für Black Flag neu erfindet. Wer am Ende nicht genauso durchgeschwitzt ist wie nach einem 90-minütigen Moshpit, der hat nicht richtig hingehört. Dem Album nach zu urteilen, dürfte ein Cloud Nothings-Konzert ein einziges Fest sein.
Wer es bis hierhin noch nicht vermutet hat, dem sei es explizit gemacht: „Here and Nowhere Else“ steht weitgehend unter dem Zeichen des Punk. Baldis Gespür für jugendliche Indie Hooks leidet allerdings nicht darunter. Während „Attack on Memory“ einen originellen Grunge-Punk-Noise Rock-Bastard erschuf, liegt der Fokus bei „Here and Nowhere Else“ anderswo. Gelegentlich findet man noch Anleihen an den experimentellen Sound von Sonic Youth, der Großteil des Albums ist allerdings der gnadenlosen Energie des Punk gewidmet.
Trotz alldem ist „Here and Nowhere Else“ kein perfektes Album. Bei einer Spielzeit von einer halben Stunde braucht es zwar keine Verschnaufpausen, jedoch wird einem klar, dass die langsameren, verzweifelten Momente auf „Attack on Memory“ nicht ohne Sinn waren. „Here and Nowhere Else“ schafft es nicht immer, eine emotionale Verbindung zum Hörer aufzubauen. Im Vergleich zu seinem Vorgänger ist das Album zwar homogener, dadurch allerdings auch weniger einfallsreich. Den Lyrics fehlt bisweilen die emotionale Tiefe des simplen aber den Nagel in den Kopf hämmernden „I thought I would be more than this“. Wenn man die Urväter von „Attack on Memory“ sucht, sind Sonic Youths „Schizophrenia“, „Teen Age Riot“ und „‚Cross the Breeze“ ein guter Ausgangspunkt. „Here and Nowhere Else“ ist eher das ungewollte Kind von Black Flag und dem Pop Punk der Marke Green Day („I’m Not Part Of Me“, „Quieter Today“), dem das Trio eine raue, dunkle Note gibt.
„Attack on Memory“, vom Refrain von „Fall In“ und dem schwachen „Cut You“ abgesehen, lud durch die frustrierten, Kurt–Cobain-rammt-Kopf-gegen-Verstärker- labilen Songs, denen jedes Mal befreiend ekstatische folgen, zu einer Reise durch die schwierige, aber wichtige Selbstfindungsphase der eigenen Jugend ein. Das kann „Here and Nowhere Else“ nicht immer von sich behaupten. Es gibt viel Wut, die acht Songs werfen einen – nicht immer, jedoch ein paar Mal zu oft – aber eher zu den vergeudeten Tagen zurück, als man aus Unlust an allem anderen MTV eingeschaltet hat und mal wieder „Teenage Dirtbag“ lief. Nichtsdestoweniger macht das Album dank Baldis Geschick und Emotionen verdammt viel Spaß – gerade, wenn man zwei Liter Kaffee intus und/oder ein Jahr lang keinen Sport gemacht hat.
Beste Tracks: Psychic Trauma, Just See Fear, Pattern Walks
VÖ: 01/04
Das Video zur Single „I’m Not Part Of Me“:
[youtube http://www.youtube.com/watch?v=74TP8QhupLU&w=640&h=360]
Fichon