Knapp drei Jahre haben Mia Morgan Fans auf ihr Debütalbum „Fleisch“ gewartet. Nach dem Release Ende April ist Mia nun auf ihrer ersten eigenen Tour, die zu einem großen Teil ausverkauft ist. Im Interview erzählt Mia von ihrer Begeisterung für Horrorfilme, warum sie keine feministische Wappenfigur sein möchte und davon, dass man auch auf Deutsch über Sex reden darf.
Hey Mia, wie läuft deine Tour?
Wir haben bisher drei Shows gespielt und jede war besser als die vorherige. Wir leben natürlich in Angst wegen Corona. Es ist natürlich nie ausgeschlossen, dass etwas passiert, wenn man jeden Abend mit vielen Leuten in einem Raum ist. Das ist schon ein bisschen komisch. Ich kann das dann nicht so hundertprozentig ausleben, weil ich eigentlich nach der Show gerne an den Merchstand gehe um mit den Leuten Fotos zu machen. Das ist halt gerade nicht drin. Aber es war die letzten Tage eine richtige Klassenfahrt-Experience, wir haben so viel Spaß und man wird irgendwann auch richtig albern. Es ist fast ein bisschen schade, dass wir jetzt ein paar off-days haben. Am liebsten wäre ich gerade am Stück unterwegs.
Gibt es Songs, die dich auf Tour überrascht haben?
Ich hatte ja Angst, dass Teenager live nicht so geil wird, weil der so soft ist mit Akustikgitarre und wir sehr stark sind im rockigen Spielen. Anfangs hatten wir eine ganz schreckliche Akustikgitarre, deshalb war Teenager unser Sorgenkind, an dem wir uns im Proberaum den Kopf zerbrochen haben. Jetzt ist Der Song aber doch super geil live, nachdem wir ein bisschen was verändert haben. Dann zu merken, dass die Leute alle mitsingen und Spaß und Freude daran haben und wir geschafft haben, diese Hürde zu überkommen, ist eine unglaubliche Genugtuung.
Du hast ja jetzt auch recht lange an deinem neuen Album „Fleisch“ gearbeitet. Es muss ein verrücktes Gefühl sein, das endlich live spielen zu können.
Ich war zwischenzeitlich schon drüber hinweg. In der Zeit von „Album ist fertig“ – was es vor einem Jahr schon war – bis hin zur Tour habe ich die Songs nicht mehr gehört, weil ich keinen Bock mehr hatte. Natürlich finde ich sie immer noch gut, aber es ging einfach nicht mehr, weil ich sie teilweise vor fünf Jahren geschrieben habe. Die Themen sind also besprochen und abgehakt. Durch die Proben und die Tour habe ich sie aber wieder lieben gelernt.
Dein Album befasst sich stark mit dem Thema Frausein und Weiblichkeit und wie es ist, als Frau einen Platz in der Gesellschaft und auch zu sich zu finden. Ich kann mir vorstellen, dass man sich da schnell in einer Art feministischer Vorbildfunktion wiederfindet. Nimmst du das selbst so wahr?
Ich wollte das früher ganz dolle auch sein, aber die Schuhe, die verschiedene Frauen dieser Welt tragen haben unterschiedliche Größen und Formen und es gibt andere Gehweisen und Tempi. Ich kann mir nicht all diese Schuhe anziehen. Ich habe mich ein bisschen davon verabschiedet, self proclaimed feminist icon zu sein und möchte meine eigenen Standpunkte mir selbst gerecht vertreten und denen, die mir am Herzen liegen, ein Forum geben und sie supporten.
Zwar möchte ich etwas repräsentieren, weiß aber gleichzeitig, dass ich in meiner Position als weiße, able-bodied Frau, die skinny-passing und einigermaßen privilegiert ist, keine Spokesperson sein kann für POC oder disabled people oder Menschen, deren Körperformen oder Eigenschaften in dieser Gesellschaft als nicht attraktiv empfunden werden und die dadurch benachteiligt werden. Feminismus muss all das sein. Das kann aber nicht von einer Person kommen. Mein Feminismus ist inklusiv, queer und sexpositiv, aber es kann nur meiner sein und ich kann ihn nicht für alle machen. Ich fühle mich geehrt, wenn Leute sich ein Beispiel an dem nehmen, was ich politisch vertrete, aber ich möchte zu keiner Wappenfigur gemacht werden. Das kann ich gar nicht sein.
„Ich fühle mich geehrt, wenn Leute sich ein Beispiel an dem nehmen, was ich politisch vertrete, aber ich möchte zu keiner Wappenfigur gemacht werden. Das kann ich gar nicht sein.“
Deine Texte sind expliziter und „frecher“ als man es vielleicht aus der aktuellen deutschen Indie-Szene gewöhnt ist. Ab und zu fällt auch die eine oder andere sexuelle Anspielung wie z.B. bei „Haustier im Hotel“. Hat dir das in der deutschsprachigen Musik gefehlt?
Total! Ich habe das Gefühl, wenn das in Deutschland gemacht wird, dann ironisch. Im Rap funktioniert das dann, aber im Pop nicht. Im Pop soll es dann plötzlich auf Teufel komm raus provozieren. Ich habe „Haustier im Hotel“ nicht geschrieben, damit Leute oh! und ah! Machen, sondern weil ich einen Song über Sex schreiben wollte, so wie er einem gefallen würde. Da wird kein Blümchensex beschrieben, aber ich bin ja nicht die einzige Person, der das, worüber ich da singe, gefällt. Ich finde schade, dass man glaubt, dass es nicht möglich ist, das auf Deutsch zu machen. Wir hören ja auch englische Musik, in der explizite Dinge beschrieben werden und Englisch ist auch für viele Leute Muttersprache. Warum sollte man das in Deutschland nicht auch ernst meinen. Mir wird sowieso oft unterstellt, dass ich das ganze ironisch meine, nur weil meine Musik auch etwas nach Schlager klingt. Weil sie anders klingt als anderer deutscher Pop, deswegen könne ich das ja nicht ernst meinen. Ich meine das vollkommen ernst!
Ich glaube viele Leute haben einen anderen Bezug dazu, sobald sexuelle Themen auf Deutsch angesprochen werden, weil zur Muttersprache keine emotionale Barriere existiert. Auf Deutsch ist es plötzlich cringe.
Ich hatte früher Dates, auf denen Typen beim Sex plötzlich angefangen haben Englisch zu reden, weil es ihnen zu cringe war sich auf Deutsch auszudrücken. Natürlich will ich keinen My dirty Hobby Dirty Talk auf Deutsch haben, weil das schon unsexy ist. Aber es ist auch seltsam, plötzlich ins Englische zu wechseln. Ich finde es ist möglich, auf Deutsch über Sex zu schreiben, zu singen und zu sprechen, ohne dass es cringe ist. In der Literatur wird das ja auch gemacht.
Warum heißt dein Album „Fleisch“?
Für mich war klar, dass „Fleisch“ der Titeltrack ist. Fleisch als Wort ist sehr stark. Das ist ein Wort, an dem das Auge hängenbleibt, wenn man es in einem Fließtext ließt. So wie „Sex“ oder „Terror“. Auf dem Album sind viele Songs, die sich mit Körperlichkeiten auseinandersetzen, mit Lust, mit Ekel, mit Weiblichkeit oder mit Schönheitsidealen. Das alles kann man unter „Fleisch“ zusammenfassen. Ich wurde mal gefragt, was der erste Begriff ist, den ich mit meinem Albumtitel assoziiere und ich habe meine eigenen Oberschenkel genannt. Es geht ja auch um mich. Es kann ja nur im mich gehen. Auf dem Cover ist außerdem eine Kuh. Ich wollte dass das sektenartig, cottagecoremäßig aussieht. Das hat total Sinn ergeben, weil Kühe weiblich assoziierte Tiere sind, die für ihr Fleisch ausgebeutet werden. Das schafft Raum für Interpretationen.
Meine Assoziationen zum Titel waren auch Körperlichkeit und Morbidität, was total zu dir als Horrorfilm-Fan passt. Was fasziniert dich so an Horror?
Ich war ein sehr ängstliches Kind. Ich musste immer tausend Mal unter meinem Bett schauen, dass da nichts ist. Ich hatte sau Angst vor Chucky. Wenn in der Fernsehzeitung ein Bild von Chucky war, musste meine Mama das rausschneiden. Irgendwann, so mit 16, habe ich beschlossen, mich zu forcieren, Horrorfilme zu gucken. Da ist dann direkt was geswitcht und ich habe das, was mir Angst gemacht hat, lieben gelernt. Das ist bis heute das Genre, das mich am meisten entertaint. Horror ist auf die selbe Art stimulierend wie Reality TV oder Pornos, weil das was ganz niederes menschliches anspricht. Es ist auch das einzige Genre, was sich noch nicht komplett angemaßt hat, unbedingt artsy zu sein oder sich zum tausendsten Mal neu zu erfinden, weil Angst im Mensch immer auf eine ähnliche Art und Weise funktioniert. Popkulturelle und mediale Interessen ändern sich, das heißt Romanzen werden anders, weil unsere Vorstellungen von Beziehungen sich verändert haben, Komödien werden anders weil wir, Gott sei Dank, mittlerweile einen anderen Humor haben als vor 20 Jahren. Aber Horror bleibt gleich. Natürlich sind die Stories ein bisschen anders aber die Effekte, mit denen gearbeitet wird, sind immer die gleichen – Ekel, Schock, Morbidität.
Du hast ja auch die Tumblr-Ära mitgemacht. Hattest du auf deinem Tumblr-Blog auch schon einen Hang zum Morbiden? Ich hatte das nämlich.
Mhm! Da waren wir aber auch nicht alleine. Ich hatte so Bilder von süßen dünnen Mädchen in rosa Unterwäsche und das nächste Bild war dann ein aufgeplatztes Reh am Straßenrand oder jemand der sich die Pulsadern in der Badewanne aufschneidet. Das war irgendwie so ein Kokettieren mit Schock, wovon ich noch nicht ganz losgelöst bin. Sowas spricht mich ja immer noch total an.
Dein Song „Jennifer Check“ zeigt ja auch Referenzen zum Horrorfilm „Jennifer’s Body“ und auch das Musikvideo greift die Horrorästhetik auf. Hast du das Konzept selbst ausgearbeitet?
Ja, generell schreibe ich die Drehbücher aller Videos und Shot-Lists selbst, weil ich das nicht abgeben möchte. Die schwarze Kotze im Musikvideo ist eine Referenz zu „Jennifer’s Body“ selbst, aber auch der Horrorfilm „Suspiria“ war Inspiration für das Video mit dem Fokus auf Weiblichkeit in einer Tanzschule, wo nur Frauen sind. Oder auch der 80er Jahre Tanzklassiker Flashdance, bei dem es um ein Vortanzen geht. Das war mein go-to Film als Kind, wenn meine Eltern abends essen waren. Die Pastellfarben im Video und die „Euphoria“-ähnlichen Makeup Looks haben natürlich eine gewisse nostalgische Tumblr Ästhetik.
Du hast dich mal als „Künstlerin, die auch Musik macht“ bezeichnet. Hast du durch den Entstehungsprozess des Albums das Gefühl bekommen, näher an das Musikerinne-Dasein zu rücken und dich mehr als Musikerin als in erster Linie als Künstlerin zu sehen?
Wenn man es auf die Tätigkeiten reduziert ist es Musikerin als Beruf. Ich würde mich aber niemals darauf festsetzen. Musik ist für mich das natürlichste Ventil, auszudrücken, was ich sagen will, und das, was mir am meisten Spaß macht. Touren, Konzerte, Studio – das ist das, wovon ich mein Leben lang geträumt habe. Aber es ist eben auch ein Job, auf den man manchmal keinen Bock hat oder der mal so anstrengend ist, dass man sich dabei nicht gut fühlt. Ich möchte mich nicht nur darauf beschränken, weil ich viele andere Sachen kann und machen möchte. Es ist, denke ich, etwas natürliches für viele künstlerischen Leute, dass man multiversiert sein möchte.
Es macht ja auch durchaus Sinn, sich als Künstlerin als Gesamtkonzept zu verkaufen.
Es gibt aber auch Musiker*innen, bei denen sich niemand drum kümmert, was für Leute das eigentlich sind. Ava Max beispielsweise chartet seit Jahren mit einem Hit nach dem anderen, aber – no offence – wer interessiert sich für sie als Person? Da steckt kein Konzept dahinter und jeder Song klingt anders. Das ist vollkommen okay! Vielleicht will sie genau das. Katy Perry war auch immer so jemand. Dann gibt es aber wiederum Leute, die so viel an den Tisch bringen, dass man auch mehr über sie wissen will. Miley Cyrus zum Beispiel kommt vom Schauspiel, ist eine unglaublich gute Live-Künstlerin und gleichzeitig entertaining in Interviews. Ich hoffe, dass ich das auch auf Leute ausstrahle.
Die Aufmerksamkeitsspanne für Musik wird durch Plattformen wie Tiktok immer kleiner. Ist dir wichtig, dass man dein Album trotzdem als Gesamtwerk wahrnimmt und auch von Anfang bis Ende in der richtigen Reihenfolge durchhört?
Ja! Die Reihenfolge ist super wichtig. Natürlich kennt man irgendwann seine Favoriten. Trotzdem wünsche ich mir, das Leute sich Fleisch mindestens ein Mal am Stück anhören.
„Ich spiele lieber für immer kleine ausverkaufte Venues voll mit Leuten, die alle meine Songs mitsingen, statt ein Mal ein Jahr lang Festivals zu spielen, bei denen Leute auf den einen Hit warten und sich nicht für die anderen Songs interessieren.“
Wie fändest du die Vorstellung, wenn Leute deine Musik tiktokmäßig konsumieren würden, also nur bestimmte Parts eines Songs rauf- und runterhören?
Das wäre natürlich stark davon abhängig, wie sich das auf meinen Kontostand auswirken würde. (lacht)
Wäre es also ein gutes Gefühl, einen Tiktok Hit zu landen?
Naja, es wäre auch ein bisschen scheiße! Klar sieht man, dass Leute durch Tiktok viral gehen. Wenn man sich dann die Profile dieser Leute anschaut, sieht man, dass andere Songs kaum Streams haben. Irgendwann ist man so übersättigt an diesen Tiktok Sounds, dass man sie nicht mehr hören möchte und das ist eine gruselige Vorstellung. One-Hit-Wonder gab es natürlich schon immer, aber ich wünsche mir, organisch zu wachsen, anstatt ein Mal durch die Decke zu gehen und dann nur noch fallen zu können. Ich spiele lieber für immer kleine ausverkaufte Venues voll mit Leuten, die alle meine Songs mitsingen, statt ein Mal ein Jahr lang Festivals zu spielen, bei denen Leute auf den einen Hit warten und sich nicht für die anderen Songs interessieren. Das ist ein Alptraum.
Man merkt auch, dass es für viele Künstler:innen Auswirkungen auf das Songwriting hat und man darauf abzielt, Tiktok Hits zu landen.
Es gibt dafür ja auch bestimmte Formeln. Ich saß mit meinem Produzenten Max Rieger auch im Studio und wir haben überlegt, ob man irgendwo Parts einbauen könnte, die Leute dazu motivieren, irgendwas zu machen. Letztendlich kann man das aber nicht vorausahnen. Oft ist das ja Zufall und man vermutet bei vielen viralen Tiktok Sounds vorher nicht, dass die funktionieren.
Mit Max Rieger (Die Nerven, All diese Gewalt), der unter anderem auch Alben von Casper und Drangsal produziert hat, hast du 2019 schon für deine EP „Gruftpop“ zusammengearbeitet. Im Vergleich zu deiner EP ist dein Sound auf „Fleisch“ zwar immer noch typisch Mia Morgan, aber auch viel rockiger. Wie kam es dazu?
Ich höre am liebsten Rockmusik. Rock macht mir auch am meisten Spaß. Wahrscheinlich wird es nur noch rockiger. Mein Songwriting hat sich verändert, seit ich mit Band spiele. Gerade auch, weil das live für uns am besten so funktioniert. Das beziehe ich mittlerweile viel stärker in den Songwriting-Prozess ein. Ich habe eh das Gefühl, dass man sich im Mainstream auch wieder mehr Richtung Rock bewegt.
Das gibt es ja auch immer mehr im Pop. Rina Sawayama zum Beispiel hattest du auch schon als Inspiration genannt.
Alter, ja! Rina Sawayama war auch eine der top references für mein Album. Bei ihr sind so viele Genres mit drin, da platzt einem echt fast der Kopf.
Du bist recht frisch von Kassel nach Berlin gezogen. Glaubst du, deine Musik würde anders klingen, wenn du früher nach Berlin umgezogen wärst?
Voll! Ich wäre auch ein anderer Mensch. Ich bin zwar nicht so esoterisch unterwegs, aber ich hatte in den letzten acht Monaten einen riesen Struggle, eine Wohnung zu finden und habe auch immer noch keine und bin jetzt vorübergehend wieder in Kassel. Berlin ist eine Stadt für Leute mit meinem Job, aber nicht unbedingt meine Stadt. Es macht nur Sinn, hier zu wohnen. Ich bin trotzdem froh, dass ich nicht jemand bin, die das Gefühl hat, dass mein Leben erst losgeht, wenn ich nach Berlin ziehe. Auf den klassischen Berlin-Lifestyle habe ich gar keinen Bock. Ich bin froh, dass ich die Phase, in der ich feiern, konsumieren und daten wollte, in Kassel mitgemacht habe, wo es nicht den Freiraum für komplettes Abdrehen gab. Das wäre nach hinten losgegangen.
„Fleisch“ von Mia Morgan gibt’s hier:
Fotos: Max Sand