Dass ein solcher Hype um eine Band entsteht, die nicht nur Gitarrenmusik macht, sondern dabei auch noch dermaßen herausfordert, konnte man sich in 2019 kaum noch vorstellen. Mit ihrer unbedarften Herangehensweise und Kreativität schaffen black midi es, einem ganzen Genre wieder Leben einzuhauchen. Am 21. Juni erscheint ihr Debütalbum „Schlagenheim“ via Rough Trade. Auf diesem zeigen black midi, was sie am Besten können: immer in Bewegung bleiben.
Würde man den Sound von black midi als Gefühl wiedergeben wollen, käme einem relativ schnell Rastlosigkeit in den Sinn. Zum einen dadurch, dass ihre Songs gespickt sind mit Rhythmen- und Tempiwechseln. Zum anderen, weil alles, was black midi machen, irgendwie weird und überraschend zugleich ist. Sei es ein abrupt beginnendes, sanftes Jazzinterlude zwischen zwei krachenden Gitarrenparts oder ein Frontmann, der bei Liveauftritten tanzt, als würde er in einer Crabcore Band spielen. Irgendwo zwischen Swans, Death Grips, Miles Davis und Talking Heads. Oder auch eben nicht.
Ohne einen einzigen Track veröffentlicht zu haben, schafften es black midi Anfang des letzten Jahres, einen Hype zu generieren, der sogar über die Grenzen Großbritanniens hinaus ging. Durch eine Reihe an Auftritten im The Windmill, eine Venue im Londonder Stadteil Brixton, als auch durch Supportshows für die Kollegen von Shame, wurde relativ schnell klar, dass da etwas Besonderes im Anmarsch ist. Ende Mai 2018 erschien dann ihre langerwartete Debütsingle „bmbmbm“. Diese führte bei Musikliebhabern und der internationalen Musikpresse gleichermaßen zu erhöhtem Speichelfluss und dem Verlangen nach weiterem Material. Singles folgten, zuletzt zum Beispiel „Crow´s Perch“ und „Talking Heads“. Schließlich steht nun ihr Debütalbum „Schlagenheim“ für den 21. Juni in den Startlöchern.
BRIT School und Improvisation
Frontmann Geordie Greep und Gitarrist Matt Kelvin lernten sich während ihrer Zeit in der renommierten BRIT School kennen (eine weiterführende Schule für darstellende Künste in London, aus der bereits Weltstars wie Adele oder Amy Winehouse hervorgingen). Um ihren manchmal bis zu zwei Stunden andauernden Jams die entsprechende Portion Rhythmik beizufügen, holten sie Drummer Morgan Simpson mit ins Boot. Ähnlich wie Greep spielte dieser, bedingt durch sein familiäres Umfeld, bereits in jungen Jahren in verschiedenen Kirchenbands. Diese Prägung nahm das Trio mit in ihre eigene Musik, wodurch vor Allem die Improvisation einen besonderen Stellenwert einnahm.
Kurz vor ihrem Abschluss an der BRIT School nahmen sie sich dann im Rahmen eines Assignments zum Thema Weltmusik dem Stück „Hero“ der Düsseldorfer Krautrock-Urgesteine NEU! an. Dieser von Improvisation dominierte Auftritt war in gewisser Weise die Geburtsstunde von black midi und ihrem Sound.
The Brixton Windmill und Dan Carey
Danach ging alles relativ schnell. Auf der Suche nach Gigs versendete Greep E-Mails an alle möglichen Venues in London, um letztendlich eine positive Rückmeldung vom The Windmill in Brixton zu bekommen. Im selben Atemzug wurde dem Trio dann bewusst, dass ihnen eigentlich ja noch eine Person am Bass fehlte. Kurzerhand stieß also Bassist Cameron Picton dazu, sie probten den gesamten Tag vor der Show und spielten sie dann. Die Livequalitäten von black midi verbreiteten sich wie ein Lauffeuer. Schnell hatten sie weitere Gigs im The Windmill in der Tasche und spielten als Supportband für Shame. Spätestens, als diese dann aufriefen, man solle pünktlich zur Vorband erscheinen und black midi als „the best band in London“ betitelten, war es dann um sie geschehen. Merke: Das alles vor einer einzigen Veröffentlichung.
Bei einer ihrer Shows im The Windwill war dann Dan Carey zu Gast, seines Zeichens Produzent von Indie-Größen wie Franz Ferdinand, Hot Chip oder Bat for Lashes. Nach dem Konzert kam er auf die Band zu und sagte, er wolle den „boom boom boom“ Track aufnehmen. Kurz darauf begaben sie sich gemeinsam ins Studio und die Studioversion zu „bmbmbm“ entstand.
Schlagenheim
Ende letzten Jahres ging das Quartett mit Dan Carey erneut ins Studio, um weitere Tracks aufzunehmen. Aus diesen Sessions entstand nun das Material für „Schlagenheim“, dem Debütalbum der vier Londoner, welches am 21. Juni erscheint. Beim erstmaligen Hören des Albums fühlt man sich zuerst einmal erschlagen. Der Opener „953“ beginnt in hohem Tempo, mit einem nicht gerade harmonischen Gitarrenriff, dazu setzen komplexe Drums ein und alles wirkt extrem hastig. Nach und nach findet der Track seine Ruhe und ein gezupftes Gitarreninterlude entspringt dem Chaos, begleitet von Greeps eindringlichem Gesang. Ähnlich wie auch „bmbmbm“ gipfelt der Track in einem nahezu wahnsinnigen Instrumentalpart: das Tempo wird angezogen, die Strukturen sind repititiv, die Intensität nimmt weiter zu. Erreicht man als Hörer*in diesen Part, kann man das Konpfnicken kaum inhibieren. Diese Stellen erinnern teilweise eher an einen progressiven Technotrack, als an eine Gitarrenband. Und genau das ist das Spannende.
Ähnliche Phänomene ziehen sich durch das gesamte Album. So auch im kurzen, aber prägnanten Herzstück des Albums, „Near DT,MI“. Wie auf dem Großteil ihrer Songs verpacken black midi auch hier gesellschaftskritische Lyrics in ein Gewand aus Krach und Ruhe. Rastlosigkeit und Hast überfordern zuerst, doch ergeben nach mehrfachem Hören letztendlich Sinn. Das größte Kunststück von black midi ist es, ein scheinbar undurchdringliches Album als ein Popalbum erscheinen zu lassen. Zuerst wirkt alles unaufgeräumt, disharmonisch, wirr. Doch nach einiger Zeit bleiben eben diese Elemente kleben. Das Chaos geht auf, hat Wiedererkennungswert und bleibt gleichzeitig überraschend.
Bloß kein Stillstand
Wenn man über black midi also eine Sache sagen kann, ist es, dass sie eines nicht mögen: Stillstand. Sie betrachten alles aus einem anderen Blickwinkel, passen sich nicht an und versuchen, aus Allem einen eigenen, neuen Wert zu ziehen. So auch bei ihren Liveshows. Bisher spielte die Band lediglich eine Handvoll Shows in Deutschland. Eine davon vor kurzer Zeit auf dem Immergut Festival in Neustrelitz.
So wie viele andere Besucher betrat auch der Autor dieses Artikels das Zelt auf dem Immergut Festival, in dem die Band im Begriff war, ihren Gig zu spielen. Ebenso wie viele andere Besucher verließ er, sich mit den Händen an den Kopf fassend und diesen schüttelnd, das Zelt nach dem Auftritt auch wieder. Die Intensität und technische Raffinesse der Band, besonders des Drummers Morgan Simpson, ist beinahe nicht zu fassen. Gleichzeitig bemerkt man, dass viel Improvisation mit im Spiel ist. Zwar sind Strukturen grob vorgegeben, doch versucht die Band aus ihren Songs jedes Mal etwas Neues zu machen. Und trotz der Komplexität schaffen sie es, tanzbare Musik zu machen und die Menge zum toben zu bringen.
Der Hype, der um black midi entstand, ist absolut gerechtfertigt. Das beweisen sie nicht nur auf ihrer Debüt-LP „Schlagenheim“, sondern auch durch ihre Liveauftritte. Wer in 2019 dafür sorgt, dass sich Menschen um eine Gitarrenband, die auch noch dermaßen komplexe Musik macht, scheren, muss Einiges richtig gemacht haben.
Wer den gewalten Liveauftritt von black midi dieses Jahr noch sehen möchte kann das an diesen Terminen tun:
08.08.19 -10.08.19 – Haldern, Haldern Pop Festival
07.10.19 – Berlin, Lido
08.10.19 – Hamburg, Kampnagel
09.10.19 – Köln, Bumann & Sohn