Real Lies umgibt eine schwer definierbare Aura. Seit ihrem Debüt „Real Life“ aus 2015 bildete sich eine eingeschworene Fangemeinde um das Electronic-Duo. Nun folgt – sieben Jahre Später – ihr zweites Werk, das durch die Presse gelobt wird. Und dennoch bleiben Kevin Kharas und Patrick King eines: ein gutbehütetes Geheimnis aus dem Norden Londons.
Manche Gefühle sind schwer zu beschreiben. So wie jenes, das der Sound von Real Lies auslöst. Am ehesten stellt man sich eine nächtliche Taxifahrt nach einer ausgelassenen Clubnacht in einer wildfremden Stadt vor – noch Adrenalin-geladen auf dem Weg ins Hotel. Doch irgendwann im Morgengrauen lässt die Euphorie zwischen den am Auto vorbeiziehenden Lichtern langsam nach und weicht der schwermütigen Voraussicht auf den bevorstehenden Kater.
Die Gedanken des ausnüchternden Ichs wandern zur Vergänglichkeit des Lebens: Unsicherheiten nach der geballten Ladung Endorphine. Was hätte in der Vergangenheit anders laufen sollen? Real Lies, das bedeutet: melancholischer Afterhour-Schwebezustand. Bands und Fans finden in diesem Sound, der die Auf und Abs des Lebens widerspiegelt, einen gemeinsamen Nenner. Ein akustisches Grundgerüst mit 90er-Jahre Ästhetik aufgeladen mit Poesie und Pathos.
„Real Lies is about memory. It’s about friendship. It’s about knowing the most vital nights of your life are the ones others will dismiss as trivial.“
So ist das zweite Werk „Lad Ash“ (2022) durchsetzt mit diversen Auswüchsen von Abschied, Fehlern und Erinnerungen an vergangene Tage. Die Spoken-Word-Parts sind das perfekte Beispiel dafür, dass Lyrik auch im 21. Jahrhundert funktioniert. Mit ihrer emotionalen Tiefe – stark beeinflusst von ihrer Stadt London – erscheinen sie an vielen Stellen zwar schwermütig und an der Grenze zur Überdramatisierung. Doch in Kombination mit dem melodischen Dance-Sound ergibt sich ein Gesamtbild, welches eine gewisse Leichtigkeit auslöst. Und um im Bild zu bleiben: die Gedanken an den bevorstehenden Kater in den Hintergrund rücken lässt.
Real Lies wünschen sich die Vergangenheit nicht zurück. Sie wollen sie trotz diverser Schwierigkeiten auch nicht verändern. Stattdessen feiern sie sie als Teil der Gegenwart. Sie adaptieren die Vergänglichkeit des Lebens zu ihren Gunsten: „Bliss To Be Alive“ist das Leitbild der Band, welches sie auf Bannern bei Konzerten hissen und mit Fahnen durch das Publikum schwenken – das Glück und die Freude leben zu dürfen. Und es scheint, dass sie dieses Glück insbesondere in der UK-Clubkultur gefunden haben. Zwischen ausufernden Raves und sich in den Armen liegenden Menschen.
„People like to slag off hedonism and say it’s a waste of time and money, but really, I think those nights make you who you are. It’s where you find the memories and the people who most define your life“, sagte Kevin Kharas zum DAZED Magazin. Außerdem ist es das Gefühl der Zugehörigkeit, das ihn zu faszinieren scheint. “I felt like I was part of something“ singt er etwa in „Boss Trick“. So dürfte es auch den Ultras von Real Lies gehen: sie fühlen sich durch die Band abgeholt, als Teil von einer Art von Romantik, die insbesondere in der Nacht zum Vorschein kommt.
Doch wie lange hält dieses Gefühl an? Wird dieser Sound überleben? Menschen entwickeln sich weiter. Doch das ist zunächst egal. Denn wie im Club zählt für Real Lies nur dieser eine Moment. „Lad Ash is without a doubt the album of my life so far“, sagt Kevin Kharas und mit Blick auf die Zukunft: „There will be more to come. But when you’ve been working on something seven long years, taking body blow after body blow to your dreams, that thing that you’ve been dedicating every stray second you can spare to takes on a magical quality“. Er fügt einen Satz hinzu, der den Pathos rund um Real Lies gut beschreibt: „This is for you, and the magic you have breathed into our lives.“ Eine Magie, die man kaum beschreiben kann.