Auf seiner Debüt-EP reflektiert Orinch die Schattenseiten der Großstadtexistenz. Zwischen Trap und Elektronikeinflüssen, Melancholie und Feierwut hat der Musiker eine ganz eigene Sprache gefunden.
Kreuzberg, Friedrichshain, Neukölln – lang und berühmt ist die Liste der Berliner Trendbezirke. Hier wollen alle hin, hier wird alles abgefeiert. Von nie endenden Partys bis zur unverpackten Öko-Aubergine. Ein Kult, der irgendwie gerechtfertigt, aber oft genauso nervig ist. Umso schöner, dass Orinch seine Debüt-EP nach dem Antonplatz benannt hat. Verkehrsknotenpunkt im Norden der Hauptstadt, genauer in Berlin Weißensee. Eigentlich noch mittendrin, aber gerade so weit ab vom Schuss, dass man sich eher selten zufällig dorthin verirrt.
„Meine Freunde aus dem Süden haben es nie an den Weißensee geschafft“ offenbart Orinch das Dilemma. Das dazugehörigen Video beleuchtet die eintönige Normalität in VHS-Optik. Zwischen Trinkhalle und billigem Döner, Hartz4 und BRD-GmbH-Verschwörung erstickt die traurige Banalität des Alltags jede Großstadtromantik im Keim. Ähnlich wie in „5HTP“ bleibt die Perspektive eine beobachtende. So abseitig und unspektakulär wie der Antonplatz im Verhältnis zu Berlin sind auch Orinchs Beschreibungen der Szenen. Trotz aufblitzendem Humor und ständiger Melancholie bleibt er Teilnehmer am Rand.
Die EP wurde von Orinch selbst produziert. Einflüsse von Tua und Zugezogen Maskulin sind kaum zu überhören. Er selbst verortet seine musikalische Sozialisation zwischen HipHop, UK-Bass und der Berliner Elektronikszene. So unterschiedlich diese Genres auch sein mögen, so schlüssig verschmelzen sie hier zu einem konsistenten Soundbild. Jaulende Lead-Synths durchbrechen sphärische Pads, Trap-Hihats werden von Beats abgelöst, die in jedem Berliner Gewölbekeller bestens aufgehoben wären.
„Zu zweit ist man doppelt allein/ich bin in guter Gesellschaft mit meiner Unzufriedenheit“
Apropos Berliner Gewölbekeller. Das Clubleben bleibt fast durchgehend thematischer Dreh- und Angelpunkt der EP. In „Sumpf“ verfällt Orinch in eine Selbstanklage, die an depressive Momente durch chemisch bedingten Dopaminmangel erinnert. „Ich steh allein in der Schlange, denn ich will da nicht zum Vergnügen rein/ich beneide gerade alle, die um diese Uhrzeit über Gefühle streiten.“ Auch die Erzählung in „Sommernachtstraum“ ist im Feier-Kontext zu verorten. Blicke, die sich treffen werden zum Wunsch nach einem gemeinsamen Frühstück. „Du und ich langsam Klingenschildmaterial.“ Besonders interessant ist hier ein erwähntes auswendig gelerntes Heine-Gedicht, das am Ende des Songs über ein gesampletes Cembalo vorgetragen wird. Selbstironie meets Clubromantik.
Auf die ausgiebigen Party-Reflexionen folgt „Dsdsd“ (Deutschland sucht den Superdiktator) als einziger thematischer Ausreißer. Orinch setzt sich hier mit den in „Antonplatz“ angerissenen Verschwörungsthematiken auseinander, die besonders am rechten Rand Anklang finden. Beendet wird die EP im gnadenlosen Exzess von „Extro Energie“, der gleichzeitig den Kreis zu „5HTP“ schließt.
Orinch selbst zog mit Anfang 20 in die Hauptstadt. Wie viele Zugezogene sah auch er sich zunächst mit den unendlichen Möglichkeiten der Selbstfindung konfrontiert. Er fand Anschluss an die Elektronikszene. In seinen Texten zeigt er jedoch, dass nicht alles Geborgenheit verspricht, was einen Sepia-Filter trägt. Die Glücksversprechen der Großstadt sind häufig auch nur eine Frage der Perspektive. „Antonplatz“ ist das Changieren zwischen Extremen. Lethargische Traurigkeit und Selbstanklage stehen Exzess und der Sehnsucht nach Ausbruch gegenüber. Irgendwo dazwischen ist alles halb so wild. Zwar ist die Melancholie ständiger Begleiter, aber die hohen Erwartungen wirken unwichtig angesichts der ganz normalen Banalität. Denn hier findet am Ende das meiste statt. Nicht in der Selbstaufgabe im Exzess oder in der totalen Isolation, sondern in den Grauzonen. Mittendrin, aber nicht ganz. Eben: am Antonplatz.