Wer im Jahr 1999 in UK zur Welt kommt und 2021 Headlineshows in den USA innerhalb von drei Minuten ausverkauft, muss irgendeinen Nerv getroffen haben. Holly Humberstone trägt mit ihrem Pop dick auf und besticht gleichzeitig durch eine unbeschwerte Leichtigkeit. Auch auf ihrer neuen EP „The Walls Are Way To Thin“.
Ganz egal ob unaufhaltsame Abenteuerlust, komplizierte Selbstfindung oder erste Liebesbeziehungen: Das Erwachsenwerden ist häufig der aufregendste Lebensabschnitt eines jeden Menschen. Das scheint auch Holly Humberstone trotz ihrer jungen 21 Jahre zu wissen. Es ist fast so, als ob sie musikalisch und lyrisch ganz bewusst den passenden Soundtrack für das „Coming Of Age“ der jungen Generation liefert. So fungiert sie als eine Art Ratgeber.
Offen geht sie mit ihren Gefühlen um. Sie lässt ihre Fans hautnah an sie heran treten. „Schreiben ist für mich eine gute Therapie, um Emotionen zu verarbeiten und festzustellen, wie ich über Dinge denke“, sagt die Britin im März 2020 zu The Postie mit Blick auf ihre hochgelobte Debüt-EP „Falling Asleep At The Wheel“.
Bis dato im Vordergrund des kreativen Outputs: ihr Elternhaus. Jenes wurde über die Zeit baufällig. Die Familie musste umziehen. Für die heute 21-Jährige verabschiedete sich dadurch ein fester Anker ihrer Kindheit und ihrer Jung-Adoleszenz. Vielmehr: ein Teil ihrer familiären Vergangenheit – ja sogar Geborgenheit.
Holly Humberstone wagt neues Kapitel
Die Familie spielt fortan auch in ihrer Musik eine wichtige Rolle. So handelt „Deep End“(erste EP) von der psychischen Gesundheit ihrer Schwester. „Das aufzuarbeiten und sich damit auseinanderzusetzen war ehrlich gesagt sehr schmerzhaft für mich“, sagt sie damals mit dem Verweis darauf, dass sie sich auf dem Song sehr verletzlich zeige. Wohl auch wegen solcher Themen verleiht sie ihrer Musik einen dunkleren Anstrich.
Und nun? Die beeindruckende Offenheit bleibt – inklusive noch mehr Herzschmerz und allen Facetten des Erwachsenenseins. Das beweist unter anderem der Titelsong der neuen EP, bei der sich langsam eine klaustrophobische Energie einschleicht.
Auch generell bleibt sie sich musikalisch im Grundsatz treu: Bis ins Detail perfektionierter 2000’s-Pop, der sich stets an einer gewissen Melancholie orientiert und zeitgleich durch unbedarfte Naivität strotzt. Doch ihre neue EP „The Walls Are Way To Thin“ ist keine einfache Blaupause ihres Debüts.
Mit brutaler Offenheit zur musikalischen Heimat
Stattdessen experimentiert sie. So erinnert „Please Don’t Leave Just Yet“ so dermaßen an Bon Iver, dass ihrer Aussage zu The Postie in 2020 über Ästhetik in der Musik ein immenser Nachdruck verliehen wird: Es sei wichtig als Musiker:in seine/ihre „eigene kleine Welt“ zu kreieren. „Es fühlt sich so an, als kenne man diese Menschen persönlich, obwohl ich sie noch nie getroffen habe“, sagt sie mit Blick auf Bon Iver, Phoebe Bridgers und Lana Del Rey. „Und genau das ist sehr wichtig“.
Das Streben nach einer eigenen Identität durch den Blick auf die Vorbilder. Dieses Gefühl, das sicherlich viele junge Menschen nachvollziehen können, manifestiert sie in ihrer Musik, oder auch: auf dem Weg zu ihrer eigenen musikalischen Heimat. Ähnlichen wie bei einem Verlassen des Elternhauses wagt Holly Humberstone mit ihrer neuen EP einen Sprung ins Unbekannte. Und startet das nächste Kapitel in ihrer Geschichte.