Haiyti mit „Speed Date“ in Höchstgeschwindigkeit

Haiyti legt mal wieder nach. Kein Jahr Ruhe hat sich die Musikerin seit ihrem letzten Album „Mieses Leben“ gegönnt, um am Jahresende den Nachfolger „Speed Date“ zu präsentieren.

Apropos Ruhe. Vor der bewahrt uns Haiyti auf „Speed Date“ ziemlich konsequent. Anstatt zum Release den eingängigsten Hit als Single auszukoppeln, wählt sie mit „Gabba“ einen brutalen Party-Banger. Während dessen eingängige Eurodance-Synthies noch an den 90er Hit „Barbie Girl“ erinnern, scheppern die Drums gnadenlos durch. Gegen Ende steigert sich der Song zur versprochenen Gabba-Eskalation mit völlig überdrehten Happy Hardcore-Vocal-Spielerein. Willkommen auf „Speed Date“.

Zum erwähnten Output von Haiyti müssen eigentlich keine Worte mehr verloren werden. Haiyti weiß was sie tut, wovon sie spricht und wo ihre Stärken liegen. Dass eine dieser Stärken eine an Wahnsinn grenzende Performance ist, beweist sie direkt mit den ersten Songs. Im Opener „Boo“ besingt sie die Monster unter ihrem Bett und die Dämonen, die ihr auf den Fersen sind. In eine ähnliche Kerbe schlagen die darauf folgenden Songs „Hyperspeed“ und „Lois Lane“. Es werden 90er Eurodance-Eskapaden angedeutet und von brutalen Basslines im Keim erstickt. Die Adlips flirren hin und her und lassen Hyperpop-Einflüsse vermuten, die spätestens bei „Philipp Plein“ überdeutlich werden.

Die Synthies sind catchy und verstörend zugleich, die Vocals bis ins Unkenntliche verfremdete. Melodien und Akkordfolgen wie in „XTRA Dry“ oder „No Front“ könnten in gewöhnlichen Radio-Produktion öde und berechnend wirken, hier sind sie Teil eines überschäumenden Gesamtwerkes, in dem Haiytis abwechslungsreiches Auftreten mit den ausufernden Produktionen Hand in Hand geht.

Dass Haiyti nicht nur irritieren, sondern feinste Dancefloor-Banger liefern kann, zeigt sie auf „Speed Date“ spätestens mit „Zahl es Bar“. Jetzt wird die 4-to-the-floor Kick ausgepackt, mit Dancehall-Grooves garniert und mit einer ohrwurmtauglichen Hook überzogen. Wie wir es von ihr erwarten, widmet sie sich in Songs wie „Entertainment“ den Vorzügen und Schattenseiten des Lifestyle-Konsums und dass auf „Speed Date“ nicht nur gefeiert, sondern auch scharf geschossen wird, zeigt ein Song wie „Hundertzehn“ auf dem Caney zu Gast ist.

„Warum fühlt es sich so an, als würde ich sterben?“

Auf „Zahl es Bar“ folgt mit „Sterben“ einer ihrer wohl stärksten Songs überhaupt. Die tragische Ausgangssituation über eine bedingungslose Liebe, die sie nicht erwidern kann, wird bei Haiyti zur vielleicht eingängigsten Pop-Nummer des Albums. „Du sagst ich würde sterben für dich/ich will nicht, dass du es tust/will nur, dass du weißt, ich hab es versucht.“ Was bei anderen Künstler:innen eher nach unangenehmen Pathos klingen würde, ist bei Haiyti Ausdruck einer in sich zerrissenen Ehrlichkeit. Als würden die Momente der Zärtlichkeit durch die eigene Kaputtheit legitimiert. Ähnlich funktioniert auch „Breakdance“ mit Zeilen wie: „Ich breche mir alle meine Knochen und mein Herz brennt/ich hoff, es ist ein Scherz jetzt/warum fühlt es sich so an, als würde ich sterben?“ Diese Dramatik ist so überzeugend intim und zugleich überlebensgroß, dass einem beim Hören kurz die Luft wegbleibt.

Erwähnenswert ist auch die Wahl der Feature-Gäste auf „Speed Date“. Haiyti ist dafür bekannt tendenziell „nach unten zu featuren“, also bevorzugt Acts einzuladen, die in der Regel unbekannter sind, als sie selbst. Wovon selbsternannte Marketing-Gurus abraten würden, ist bei Haiyti Teil des Konzepts. Anstatt sich an die bekanntesten Musiker:innen der Szene zu hängen, läd sie in einem Song wie „Burberry Money Clip All Starz“ ihre Besties in die Cypher ein.

In „Stupido“ wirkt der langjähriger Weggefährte Money Boy neben Haiyti zwar etwas steif, macht mit seinen charakteristischen Vergleichen und seiner Attitude aber trotzdem Spaß. Im folgenden Song „Nur Medizin“ präsentiert sich Doktor Sterben wie der Thugger persönlich. Auto-Tune vom Feinsten, Verständlichkeit hat er lange hinter sich gelassen. Vielleicht liegt der Trick darin, dass keiner ihrer Gäste Haiyti überbieten kann. So viel berechnendes Kalkül möchte man ihr aber nicht unterstellen. Wahrscheinlich läd sie lieber die Leute ein, mit denen sie sowieso die ganze Zeit rumhängt.

„Ich mache mich kaputt, jag alles in die Luft, warum bin ich nur wie ich bin? Drama.“

Gegen Ende des Albums verdeutlicht „Wunder“ erneut die Ambivalenz der Musikerin. Der Song beginnt mit einer Sprachnachricht von einer Frau, die ihr vom Tod eines gemeinsamen Freundes berichtet. Nach dem fast hoffnungsvollen Refrain beschreibt Haiyti, wie sie Rosen in allen Farben kauft, bis sie plötzlich von ihren Goldketten und gezogenen AKs berichtet. Das könnte deplatziert wirken, ist bei Haiyti aber logische Konsequenz. Der Tod ist omnipräsent und auf dem Weg dahin wird die Goldkette umgelegt und in den Lauf der Waffe gelacht. Die besten sterben jung, Haiyti macht weiter. Mit ihrer einmaligen Melange aus Wahnsinn, Glamour und brutaler Verletzlichkeit.

Über allem steht dabei ihr Hang zur Selbstzerstörung. Im Überhit „Drama“ beantwortet sich Haiyti die Frage nach dessen Ursache selbst: „Warum bin ich nur, wie ich bin?/dafür habe ich einen Award verdient/ich mache mich kaputt, jag alles in die Luft, warum bin ich nur wie ich bin? Drama.“ Haiyti ist Drama, überlebensgroß, ausschweifend und gleichzeitig am Rande der Erschöpfung. „Trapstar ein Leben lang, denn ab jetzt ist eh egal“, rappt sie in „Breakdance“ und bringt damit auf den Punkt, was sie mit drei Albenveröffentlichungen in zwölf Monaten bewiesen hat. Es gibt kein Zurück mehr. Haiyti ist in voller Fahrt und anstatt uns freundlich zu fragen, ob wir sie begleiten dürfen, saugt sie alles in ihren Kosmos auf.

Ihr neues Album ist dafür das beste Beispiel. Die Songs kratzen oft kaum an der 2-Minuten-Marke. „Speed Date“ ist ein intensiver Rausch, der kaum Zeit zum Runterkommen lässt. Ein endloser Endorphinschub, in dem sich die Hochs überlagern und die Tiefs darauf verzichten, analysiert und ausbuchstabiert zu werden. Die Ups and Downs kommen nicht phasenweise, sondern fallen sich emotionsgeladen in die Arme.

In Wohlfühl-Momenten wird um die beendete Beziehungen getrauert und im selben Augenblick tränenüberströmt die nächste Nase vom Spülkasten der Club-Toilette gezogen. Haiyti ist kompromisslose Höchstgeschwindigkeit durch einen glamourös finsteren Tunnel, aus dem es kein Entkommen gibt. Wohin der führt? Wenn es jemand weiß, bestenfalls sie selbst.

„Speed Date“ von Haiyti gibt’s hier:

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