Nicolet, Sahara, Témé Tan
Drei Debüts aus drei Ländern. Dreimal die Vermählung von verschiedensten Stilen zu einem kohärenten Ganzen. Nicolet aus Montreal stellt Folksongs neben Synth Pop, Rockgitarren findet man genauso wie ein jazziges Saxophon. Die Band Sahara aus Paris und Bordeaux schickt sich an, Südamerika nach Frankreich und den Prog der Siebziger in die Gegenwart zu holen. Und in Brüssel lässt Tanguy Haesevoets alias Témé Tan afrikanische Rhythmen in seine elektronischen Songs einfließen. Drei Beweise dafür, dass erste Alben nicht nach vorsichtigen ersten Schritten klingen müssen.
Nicolet, Hochelaga
Nicolet ist das Soloprojekt des Multiinstrumentalisten Etienne Hamel, der zuvor bei Les Nitrates de Madame Mimieux und Les Thèmes gespielt hat. Seine Besonderheit ist die Vermählung von Einflüssen, die im ersten Moment nichts miteinander zu tun haben. Das hat der Musiker aus Montreal im August mit seinem ersten Album Hochelaga klar gemacht, dessen zehn Songs den Sophisti-pop der Achtziger wieder wachrufen.
Anfangs scheint alles normal. Der Opener und Titeltrack besteht aus sieben Minuten fröhlichem Synth Pop, bei dem sogar das obligatorische käsige Saxophonsolo gut klingt. „Ratio“ klingt im Anschluss mehr nach den Smiths, nicht zuletzt aufgrund Hamels Stimme. Es ist aber nur ein kurzer Eindruck, mit dem Refrain wächst der Song schlagartig auf Arenagröße an und endet in euphorischem Arcade Fire Gezappel.
Und dann passiert es: Das darauffolgende „La Fontaine“ wird von Akustikgitarre, zurückhaltender Perkussion und Streichern bestimmt. Nicolet schlägt ohne mit der Wimper zu zucken eine Brücke vom Urbanen zum Ländlichen, vom extrovertierten Stadionpop zum einfühlsamen Folk. Gerade Takte wechseln sich mit ungeraden ab, man gibt sich nachdenklich, sogar ein bisschen jazzy. Über die restliche halbe Stunde von Hochelaga geben sich verschiedene Stimmungen und Stile die Klinke in die Hand, ohne dass das Album an Zusammenhang verliert.
Im Plattenregal des Kanadiers steht Neil Young neben den Talking Heads, Field Music kuscheln mit Grizzly Bear. Der Stilmix auf Hochelaga ist eigenartig widerspruchslos. Hamel steht damit symbolhaft für eine der Haupteigenschaften der Musikszene Quebecs, nämlich ihre Wandelbarkeit. Aber dazu bald mehr…
Sahara, Colibris
Sahara haben vor über zwei Jahren ihren ersten Song „Délice“ veröffentlicht. Dann haben sie gearbeitet, und gearbeitet, und gearbeitet. Und außer den Konzerten nichts von sich hören lassen. Heute hat das Quartett dann endlich die Bestie aus dem Käfig gelassen: Colibris ist eines der besten Debütalben dieses Jahres, für diesen Autor sogar des Jahrzehnts.
Von der Geräuschkulisse von „Fragments“, das so klingt wie das Aufwachen im goldenen Sonnenlicht eines Sonntagmorgens, bis zum Doppelfinale „Bouleversement“/„Averses“ ist Colibris eine Reise durch die unglaublich reiche Klangwelt des Quartetts. Juana Molina und Joyce tanzen dort mit Deerhoof, Serge Gainsbourg flirtet mit Jaco Pastorius. Die Kulisse ist die von Yes‘ Tales from Topographic Oceans, aber zersetzt mit digitalen Glitches.
Im Vorfeld wurde neben „Délice“ eine weitere Single mit dem Titel „Felicidade“ veröffentlicht. Für das dazugehörige Video sind Blandine Millepied und Jeremy Lacoste – Gesang, Gitarre und Bass von Sahara und Herz und Kopf der Band – nach Marokko gereist und haben zum ersten Mal mit eigenen Augen die größte Wüste der Erde gesehen. Herausgekommen ist ein wunderbar psychedelischer Clip, der die Stimmung des Albums einfängt. Colibris ist übervoll mit Ideen, aber für das Paar aus Bordeaux sind der Kreativität keine Grenzen gesetzt: Sahara arbeiten bereits an Album Nummer Zwei.
Témé Tan, Témé Tan
Noch weiter südlich geht es mit Témé Tan. Der Belgier Tanguy Haesevoets kommt ursprünglich aus Kinshasa, die ersten sechs Jahre seines Lebens hat er im Kongo verbracht. Heute vermischt er die Musik, die er dort aufgesogen hat – Rumba, Zouk, den Blues des Maliers Ali Farka Touré – mit zeitgenössischem Electro. Der französische Paradiesvogel Mathieu Boogaerts und die Sambarhythmen, die er 2012 in Brasilien entdeckte, haben ebenfalls großen Einfluss auf seine Songs.
Der daraus resultierende Afro-Pop klingt so gut und aktuell, dass er auch auf der neuesten der immer stilsicheren FIFA-Compilations auftaucht, neben Haesevoets‘ doppeltem Landsmann Baloji. Der Mix aus detailreicher Produktion, französischen Texten und afrikanischen Rhythmen im Gewand von „europäischer“ Dance Music erinnert außerdem an Stromae, dessen ruandische Wurzeln auf dessen zweiten Album Racine carrée deutlicher zutage traten.
Haesevoets hat Anfang Oktober sein Debütalbum Témé Tan veröffentlicht, das auch die Singles „Améthys“, „Coups de griffe“ und „Ça va pas la tête ?“ enthält. Letzterer ist in Conakry entstanden, wo der Belgier den Gesang einer Gruppe von Kindern aufgenommen und phonetisch ins Französische übertragen hat. Der Song, der erste, den er geschrieben hat, ist das beste Beispiel für das Spielerische und Tanzbare, das seine Musik charakterisiert.