Künstlerinnen wie Adrianne Lenker oder Aldous Harding zeigen mit ihrem ruhigen Singer-Songwriter-Folk, dass es in der Welt des Genres nie ruhig geworden ist. Einer, der jüngst im Folk-Kosmos auf sich aufmerksam macht, ist der Musiker doppelfinger. Mit sinnlich-schönen Gitarrenklängen und Mundharmonika fällt er zwar aus der Popkultur, doch was bleibt, ist eine zeitlose Ode an erstklassigen Folk.
Popkultur ist, mit allem was sie umfasst, immer durch wechselnde Zyklen bestimmt. Das gilt für Musik genauso wie für Mode, Literatur oder Kunst. Versucht man den aktuellen Zeitgeist zu erfassen, fällt einem schnell auf wie alles, was unter „Popkultur“ zu verstehen ist, miteinander verknüpft scheint. Was früher der Hipster war, ist heute das Hypebeast. Was früher Pop war, ist heute Hyperpop. Und so weiter. Hin und wieder fällt allerdings etwas aus der schnellen Maschinerie heraus und bleibt als etwas Zeitloses, Anachronistisches bestehen.
Die Rückkehr des Feinsinnigen
Anachronistisch ist wohl das Stichwort, das in aktuellen Musikkonversationen immer wieder fällt, wenn jemand über Folk spricht. Manche würden sogar so weit gehen, diese Szene für tot zu erklären. Doch genau, wie jene Behauptung, im Jahr 2021 hätte keiner mehr die Geduld sich durch ein Album zu hören, ist auch die Sterbeurkunde an den Folk zu kurz gedacht. Warum? Musikerinnen wie Aldous Harding, Jessica Pratt oder Adrienne Lenker zeigen mit ihrem verspielten Singer-Songwriting, dass der feinsinnige Folk nie weg war. Auch in Billie Eilishs zuletzt erschienenen Single „Your Power“ ist ein Folk-Einfluss zu hören. Und Bilderbuchs „Nahuel Huapi“ klingt definitiv mehr nach Americana und Folk als nach Art Pop.
doppelfinger und die Zukunft des Folks
Einer, der schon früh mit Folk in Berührung kam, ist der österreichische Singer-Songwriter Clemens Bäre aka doppelfinger. Auslöser für seine Faszination mit dem Genre waren – wie kann es anders sein – Bob Dylan CDs, die er mit zwölf seiner Schwester abmurkste. Das war lange bevor er sich mit Gitarre und Mundharmonika auf die Bühne wagte und sich mit wunderbaren Singles wie „a place to go“ und „trouble“ in der heimischen Szene langsam etablierte.
Mit dem neuen Song „knowingly“ zeigt doppelfinger wie schon davor eine detaillierte Soundästhetik aus Fingerpicking und Mundharmonika. Kindheitsfreundin OSKA schenkt dem Song noch ihre bittersüße Stimme. Während der Musiker in „a place to go“ einen Ort besingt, der Ruhe und Zuflucht bietet, handelt „knowingly“ von einem Ort, wo man sich fehl am Platz fühlt. Das kann das eigene Zuhause sein, wo man missverstanden wird, das menschliche Umfeld, das kein guter Einfluss ist oder etwa ein mühsamer Brotjob.
9-to-5 und Körpereinsatz
Letzteres wurde im Musikvideo visualisiert. Zwischen Excel-Tabellen und Flip-Charts scheint sich der Protagonist (Clemens Bäre selbst) gedanklich immer von seinem Umfeld abnabeln zu wollen. Die Stimmung des Büro-Alltags ist bedrückend – bedrückend echt. Erst, als die Kolleg:innen in die Kamera grinsen und doppelfinger plötzlich kopfüber vor einer spektakulären Kulisse hängt, entfaltet das Video seine skurrile Wirkung. Letztendlich ist es also nicht nur der Song, sondern auch Clemens Bäres Acting-Skills, die dem Song zu seiner Strahlkraft verhelfen. Wenn das die Zukunft des Folks ist, dann bitte mehr davon.