Mine – Klebstoff

Mit „Klebstoff“ erschien am 12. April das dritte Album von Mine. Sie zählt zu den Künstlerinnen, die sich durch Intelligenz, Virtuosität und einer riesigen Portion an Können einen Namen gemacht haben.

Wenn man Jasmin Stocker alias Mine beschreiben möchte, dann funktioniert das mit den Bezeichnungen Songwriterin, Sängerin, Pianistin und Produzentin ganz gut. Denn so lautet auch die Beschreibung, wenn man beim Googlen über sie auf die Seite der Johannes Gutenberg-Universität und Hochschule für Musik Mainz stößt. Mine besitzt insofern eine universitäre Ausbildung in Jazzgesang, sowie in Producing/Composing. „Klebstoff“ ist beispielgebend für eine universitär übergreifende Fähigkeit – nämlich stark selbstreflektiert zu sein.

Über den Titel des Albums sagt die Künstlerin: „Ich bin ja ein großer Fan der deutschen Sprache und mag gerne, dass sie so kryptisch in den Betonungen ist. ‚Klebstoff‘ klingt hart, aber gleichzeitig trotzdem weich und passt genau zu seiner Bedeutung. Ich finde das Bild interessant, dass jeder von uns mit Klebstoff umhüllt durch das Leben geht und alle Dinge, mit denen man in Kontakt kommt – positiv oder negativ – bleiben an einem kleben. Auch, wenn man das gar nicht will. Auch, wenn man schon längst woanders ist.“

Dieser Klebstoff gilt nicht nur als Verbindung zu Dingen, sondern ist ebenso als eine Connection mit anderen Menschen zu interpretieren. In künstlerischer Hinsicht vernetzt sich Mine nämlich mit diversen anderen Musikern. Als ein Ergebnis davon ist das Kollabo-Album mit Fatoni zu sehen, das „Alle Liebe nachträglich“ heißt und 2017 erschien. Und so lässt sich die Feature-Liste auf ihrer aktuellen Platte durchaus sehen.  Die vielfältige Auswahl ihrer Gäste beweisen, dass der Sound auf „Klebstoff“ kaum in eine Genre-Schublade passt. Pop findet Bezüge zum Hip-hop aber auch musikalische Referenzen zum Orchestralen und Portionen von Experimentierfreude.

Andere Blickwinkel und synästhetische Eindrücke

Diese Mischung aus verschiedenen Musikrichtungen gipfeln in 11 Songs und die bleiben definitiv hängen. Gleich zu Beginn wird ganz nach Hip-Hop-Manier mit einem Skit namens „Zukunfts-Ich“ eingeleitet, welcher dann in „90 Grad“ übergeht. Der Track thematisiert andere Blickwinkel und synästhetische Eindrücke. Im dazugehörigen Clip erscheint Mine als eine Art Cyborg, schwebt im Universum oder taucht aus einer nicht bestimmbaren Masse vermehrfacht hervor. Der Refrain in „90 Grad“ kommt wuchtig daher und wird von einem eingespielten Hall getragen, der mit seinem Sound nahezu als ein weiteres Instrument fungiert.

Nachdenklich und ruhig

„Alles muss raus, was keine Miete zahlt. Ich habe nie gesagt, dass ich alles an mir mag“, lautet ein Teil des Refrains vom titelgebenden Track „Klebstoff“.. Der Titeltrack reiht sich gleich nach dem ersten Feature-Song „Spiegelbild“ ein. Nachdenklich und ruhig – und vor allem persönlich –  schieben sich die Zeilen über einen ebenso ruhigen und zurückgehaltenen Beat. Der strenge Blick richtet sich nicht auf andere Leute, sondern auf die Künstlerin selbst. Diese ist ihr größter eigener Kritiker, im Zusammenhang mit dem ganzen Album erscheint dies weniger in Form von Selbsthass, sondern durch viel Ehrgeiz. Diese Art der Selbstfindung greift sie auch spielerisch-künstlerisch in dem Musikvideo zu „Klebstoff“ auf. 

Die Halbzeit der Platte macht der Track „Vater“, welche zugleich der persönlichste und emotionalste Song des Longplayers darstellt. Der Song ist das, was sonst eher negativ gemeint und in diesem Fall aber absolut nicht ironisch zu verstehen ist: Ein Stück super ehrliche Popmusik. 

Mine ist eine weibliche Künstlerin, die ihrer Rolle in einer immer noch männerdominierten Domäne bewusst ist. Möglicherweise ist es unterschwellig auch daher zu einer Zusammenarbeit mit Giulia Becker gekommen. Dass diese nicht nur Autorin beim Neo Magazin Royale ist, sondern auch singen kann, beweist sie in dem poppigen „Einfach so“ eindrucksvoll. Im Rahmen der Satire-Sendung entstanden Songs wie feministisch motivierte Tracks wie „Verdammte Scheide“. „Einfach so“ bildete sich aus gegenseitiger Bewunderung heraus. Mine mag Giulia Becker und Giulia Becker mag Mine, daher entstand der Song wahrscheinlich exakt so, wie er heißt.

Tanz zwischen verschiedenen Musikrichtungen

Das Leitthema der Platte „Klebstoff“ stellt die Perspektive auf sich selbst und andere dar und wie diese Komponenten zusammenpassen oder angepasst werden.  Diese Leitthemen werden beim Song „Nichts“, der nahezu hymnenartig erscheint und „Du kommst nicht vorbei“ deutlich und lassen den Charakter eines Konzeptalbums erahnen. „Du kommst nicht vorbei“ überrascht zudem instrumental mit Elementen eines Dudelsacks. „S/W“ ist trotz dem eher trüben Grundton aller Tracks eine Dance-Nummer, die keine Scheu vor dem Einsatz von Synthie zeigt.

Das Ende des Albums wird mit Feature-Power bestritten. Mit Grossstadtgeflüster und dem Song „Guter Gegner“, orientiert sich Mine an der Unterschrift der Gäste: schmissig, Ohrwurmcharakter und rotzig. Der vermeintliche Zweikampf entpuppt sich als eine weitere Thematisierung eines Dualismus, der nicht zwingend zwischen zwei Personen besteht, sondern auch persönliche Teile in einem selbst bezeichnen kann.

Was im Fußball einen erfolgreichen Hattrick in Form von drei aufeinanderfolgenden Treffern ins Tor darstellt, ist bei Mine der letzte Song ihres Albums. Der erscheint trotz der Masse an Gästen gar nicht so überladen, wie man zunächst vermuten mag: Bartek von den Orsons, Haller und DISSY. Der genannt trübe Unterton der Platte wird durch fast schon (zu) popige Züge gegen Ende abgelöst, schließt jedoch dann mit „Schwer bekömmlich“ wieder gediegen, deeper und nachdenklicher ab.

Zusammengefasst ist „Klebstoff“ ein Album, das voll mit Songs ist, die im Ohr bleiben können, ohne direkt überdrüssig zu werden. Musikalisch fließen immer wieder Spuren von Hip-Hop mit ein, die aber nie durch klare Linien mit anderen Genres getrennt sind.  Die spannenden Features steuern dem ohnehin vorhandenen Abwechslungsreichtum noch mehr Präsenz zu, der sich auch durch experimentelle und mutige musikalische Arrangements auszeichnet. Zudem merkt man jedem Song die Handgemachtheit an was dem Fleiß und auch dem Ehrgeiz der Sängerin zuzuschreiben ist. Kunst wird zwar in dem Sinn nicht neu erfunden aber  auf Mines Art und Weise wiederbelebt. 

VÖ: 12.04.2019 // Caroline International // Universal Music
Beste Songs: „90 Grad“, „Einfach so“ und „Schwer bekömmlich“

Seht hier das Video zu „90 Grad“ von Mine:

Foto: Simon Hegenberg
Design: Yannick Philippe

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