Der Februar treibt die Launen nach unten, den Frühling vor sich her und mit uns einen schlechten Scherz. Wer bereits auf Frühling hoffte, sieht sich bitterkalt enttäuscht. Für die Wut gegen etwas, das sich so gar nicht ändern lässt, gibt es in unserer Liste der besten Songs des Monats dieses mal endlich wieder Punk.
Iceage – Catch It
Nach ihrem 2014er Album Plowing Into the Field of Love wurde die Band aus Kopenhagen für den originellen Genremix aus Americana und Post-Punk gelobt, als erfrischend ideenreich beschrieben Kritikerinnen von Rolling Stone bis Pitchfork das dritte Album der Dänen. Nach vier Jahren erscheint neben der Ankündigung einer Tournee durch Europa und die USA auch ein neuer Song, der sich im Vergleich zur ironischen Auseinandersetzung mit amerikanischer Gitarrenmusik des Vorgängeralbums weitaus düsterer und ernster ausgibt, inklusive schrubbend-chaotischem Finale. Elias Bender Rønnenfelt zieht seine Worte in die Länge, aufgewühlt und nachdenklich sinnt er vor sich hin, bis er zur Frage gelangt: „You want it, you want it again. Why don’t you come and ask me? I adore you my friend.“ Ob es Abneigung oder Verachtung sind, die in seiner Stimme durchdringen, bleibt unerklärt. Iceage lassen sich auf „Catch It“ in einen Strom aus kalter Wut fallen und finden im neuen Jahr zum Punk zurück. In stoisch dänischer Coolness, versteht sich.
Beach House – Lemon Glow
Nach der doppelten Albumveröffentlichung 2015 mit Depression Cherry und Thank Your Lucky Stars waren Fans des melancholischen Synthie Duos aus Baltimore für längere Zeit versorgt, was den Output der Band anging. Es stellte sich aber auch eine gewisse Festgefahrenheit im musikalischen Eindruck ein. Sphärische und irgendwie immer gleich anmutende Verzerrungen aus Hall und Synthies wurden zu einem Markenzeichen, das die Band nun 2018 mit ihrer ersten Single seit drei Jahren, die gleichzeitig die erste Veröffentlichung zum neuen Album, das noch im Frühling erscheinen soll, darstellt, zur Seite legt. „Lemon Glow“ ist weniger nachdenklich und wird von einer sich konsequent wiederholenden Synthie Line schier unaufhaltsam nach vorne geschoben. Victoria Legrand und Alex Scally zeigen, wie progressiv man sich vom immer noch um Themen wie Intimität und Zurückgezogenheit strukturierten lyrischen Grundgerüst entfernen kann, um seinen Stil perspektivisch zu erweitern. An Originalität verlieren Beach House dennoch nicht.
Die Nerven – Niemals
Was passiert, nachdem man den zweiten Vorboten zum neuen Album der Nerven gehört hat, fasst die Band aus Stuttgart ganz hervorragend in einem ihrer Instagram Posts zusammen. „Niemals“ ist weniger destruktiv als die erste Single „Frei“, lyrisch aber genauso spannend. „Finde niemals zu dir selbst“ ruft Sänger Max Rieger fast proklamierend und wiederholt seinen laut gedachten Gedanken im Refrain. Nagende Unklarheit ob des eigenen Selbst und das kontinuierliche Thema der individuellen Auflösung setzen sich fort in Riegers Lyrik, auch auf dem am 20. April erscheinenden Album Fake werden erleuchtende Selbstfindung oder die berühmt-berüchtigte eigene Mitte höchstwahrscheinlich und glücklicherweise eher seltener Thema sein. Das „Nein“ des Punks, den ja jeder ganz frech und fesch schon tausend Mal begraben hat, hat sein Sprachrohr in den sich abkehrenden und verweigernden Texten Riegers sicher.
Twin Shadow – Saturdays (feat. HAIM)
Nachdem George Lewis Jr. bereits zwei Songs mit den HAIM Schwestern auf ihren letzten Alben Days Are Gone und Something To Tell You aufgenommen hat, dreht sich die Kombination der Musiker nun um 180 Grad und HAIM werden mit ihrem Feature für „Saturdays“ auf Twin Shadows nächster LP Caer zu hören sein. Dabei herausgekommen ist ein Synthie-Gitarren-Radio -Popsong, der so auch gut und gerne auf einer Kassette der eigenen Eltern zu finden sein könnte. Wie Lewis Jr. über die Gitarrenlicks hinwegsingt, wie Danielle Haim ihren ein wenig zu schmal geratenen Gesangspart enthusiastisch steigert, das erinnert dann doch an 80er Größen wie Prince, dessen „Little Red Corvette“ Twin Shadow und HAIM live bereits auch gemeinsam gecovert haben. Wer einen Song braucht, der erklärt, warum es Samstags doch viel schöner ist, zu zweit schmusend und mit vor Schmetterlingen überquellenden Schädeln zuhaus zu bleiben, der oder die höre hier mal genauer hin.
Isolation Berlin – Serotonin
Wo man sich selbst die Nächste ist, ist man sich selbst auch wahnsinnig egal. Wo es nichts mehr gibt, was einen noch aus dem beißenden Frost des Selbsthasses holt, da gibt es keinen Menschen mehr, der sich nach dir sehnt und kein warmes Bett hält deine Einsamkeit vor der Tür. Dem lyrischen Ich geht es nach wie vor dreckig, in den Texten Tobias Bamborschkes. Der Rausch, die schale Übelkeit, das Selbstmitleid fließen durch die Straßen Berlins, wie grauer Schneematsch, der sich kalt und grau durch die Schuhsohlen drängt. Wo auf Und aus den Wolken tropft die Zeit noch versucht wurde, Verlust und Herzbruch zu ertragen, stellt sich auf Vergifte Dich fast gleichgültige Akzeptanz von Sinnlosigkeit und existenzieller Absurdität ein. „Sei doch nicht traurig, nein! Vergifte Dich!“ heißt es im Titelsong. Bamborschkes Figuren kämpfen sich weiterhin durch sich selbst, ohne Auflösung, ohne Ansatz einer Chance sich aus dem Sumpf des eigenen Charakters zu ziehen, es bleibt nur das Rauschgift. Mal im Chanson, mal im krachenden Punk.
Beach Fossils – Agony (Yung Lean Cover)
Als schlichtes Youtube Cover veröffentlicht, überzeugt die „Agony“ Version der Beach Fossils mit rudimentärem DIY Stil. Für das Video werden Handy- und Laptop-Aufnahmen zusammengebastelt und unter einen violetten Filter gelegt. Die Musik selbst besteht aus minimalistischen Drums, Piano-Synthies und dem ruhigen Gesang Dustin Payseurs. Melancholisch ist Yung Leans Original, melancholischer das Beach Fossils Cover. Der Song, der auf Stranger als Piano Ballade von der Angst in der Einsamkeit den Verstand zu verlieren erzählt, erfährt im Cover nahezu keine strukturelle Veränderung, es ist viel mehr Payseurs Stimme und der dezente Gitarreneinsatz, die „Agony“ zu einem ruhigen, sehr sphärischen Beach Fossils Stück machen.
Superorganism – Reflections On The Screen
Es wächst und wächst die Begeisterung für das achtköpfige Popkollektiv Superorganism aus London. Nach den Singles „Something For Your M.I.N.D.“ und „Everybody Wants To Be Famous“ macht sich auch „Reflections On The Screen“ weiterhin gut als Spannungsaufbauer für das am 02. März erscheinende Debütalbum. Tourstopps in London, Glasgow, Oslo oder Brighton sind bereits ausverkauft und auch die weit mehr über eine Million Klicks auf Youtube für „Everybody Wants To Be Famous“ lesen sich für die Band sicher ganz annehmbar. Wer mit dem Internet Pop der Band noch gar nichts anfangen kann, sollte sich unbedingt mal durch die wunderbare Homepage der Band klicken (Wer einen Weltraumwahl nicht gut findet, sollte vielleicht nochmal ins Bett gehen) oder kann sich hier ein bisschen genauer über Band und Musik informieren.
Car Seat Headrest – Beach Life-In-Death
2011 nimmt der damals 19 Jahre alte Will Toledo die LP Twin Fantasy auf, sein angeblich sechstes Album unter dem Namen Car Seat Headrest. Fast durchgängig erzählt dieses Konzeptalbum von der gerade zu Ende gegangenen Beziehung zu einem Mann aus Toledos direktem Umfeld, manisch und getrieben von der Angst, an der Trennung kaputt zu gehen, verrückt und aufgelöst. „Beach Life-In-Death“ ist 13 Minuten Low-Fi-Punk und noch nicht einmal der längste Song des Albums. Toledos Gitarre wird wie ihr Besitzer durch die sich verändernden Schichten des Songs gejagt, rastlos und kurz vor dem Durchdrehen torkelt er durch die 19 Strophen, ohne dabei einen einzigen sich wiederholenden Chorus aufzufinden. Twin Fantasy, das für die Neuveröffentlichung nochmals neu aufgenommen wurde, zeigt Toledo als sensiblen Songwriter, dessen Figuren weit davon entfernt sind, sich im Strudel aus Zerbrechlichkeit und emotionaler Überforderung zurecht finden zu können.
Girlpool – Picturesong
„Picturesong is a word invented to explore what we create in each other when we want to feel deep love because of loneliness or otherwise, and brings into question the reality and delusion of the things we feel“. So beschreiben Girlpool ihren zum ersten des Monats veröffentlichten Song, der in Zusammenarbeit mit Dev Hynes, seines Zeichens Mastermind hinter Blood Orange, entstanden ist. Die ruhigen Melodien des Duos und das eindringliche Songwriting verbinden sich auf „Picturesong“ mit einem kurzen aber spannenden Gitarrenfinale. Hynes, der diesen Monat unter anderem die beiden Songs „Black History“ und „Christopher & 6“ veröffentlicht hat und davor in produzierender Funktion am Porches Album The House tätig war sagt über seine Zusammenarbeit mit Cleo Tucker und Harmony Tividad „I’m such a fan of Girlpool, and loved working with them. Their harmonies are some of my favourites that are out there“. Recht hat er, Besucherinnen der kommenden USA Tour des Duos freuen sich zurecht auf eine der interessantesten Bands des Jahres.
Wolf Alice – Boys (Charlie XCX & The Cure Cover)
Ja, das ist ein schlichtes „Like A Version“ Cover & per sé keine Neuveröffentlichung, aber hört euch diesen Mischmasch aus „Boys“ von Charlie XCX und dem Cure Klassiker „Boys Don’t Cry“ einfach mal an. Für einen kurzen Moment fällt es ganz leicht zu vergessen, warum es doch wunderbar ist, dass diese Band eben nicht immer so süßlich wie hier unterwegs ist.
Drangsal – Turmbau zu Babel
Über die Drangsal, ihre erste Single zum im April erscheinenden Album Zores haben wir im letzten Monat eigentlich genug geschrieben. Deswegen gibt’s Näheres zum Song hier und ein kunsthistorisches Schmankerl zum Video hier. Das Album erscheint am 27. April, bis dahin wird sich Max Gruber in Interviews wahrscheinlich noch ein wenig öfter damit herumschlagen müssen, eher als Remineszenz an Vergangenes, als als selbständiger Individualist wahrgenommen zu werden. Schade, hätte eigentlich nach den ewigen und ermüdenden Cure Vergleichen während der Begeisterung um Harieschaim auch mal genug sein können.