In den letzten vier Jahren ist nicht nur wahnsinnig viel in der Welt passiert, sondern auch bei Der Ringer. Mit ihrem neuen Album namens „XP“ wollen sie diesen Prozess mit uns teilen. Wir haben mit der Band über den Schaffensprozess, die Brücke zum Gaming und ihre lange Pause geredet.
„XP“ steht in der Gaming-Sprache für Experience Points, also für Erfahrungspunkte, die man über die Zeit sammelt. Mit diesen Punkten wird man immer stärker und erlebt neue Missionen und Quests. So ähnlich hat es sich auch in den vergangenen Jahren bei den Musikern von Der Ringer verhalten. Sie haben eine Label-Trennung hinter sich, hatten mit persönlichen Herausforderungen zu kämpfen – zusätzlich zu den Themen, die uns in den vergangenen Jahren alle belastet haben.
Jakob Hersch und Jannik Schneider haben mit uns über ihre persönliche Findungsphase gesprochen aber auch über die lange Pause, das neue Entdecken von Musik und über Endbosse, die man auf ihrem Album „XP“ aber eben auch im echten Leben bekämpfen muss.
Welches Videospiel zockt ihr aktuell?
Jannik: Ich zock „Elden Ring“, was gerade rausgekommen ist. Das Spiel gehört quasi zu der Reihe der Souls-Serie. Vielleicht sagt dir „Dark Souls“ was? Ist schon etwas älter. Und da ist jetzt ein Neues erschienen, was aber zum ersten Mal Open World ist. Es gibt also keine klare Story Line oder Abläufe von Levels oder Wegen. Du kannst quasi selber entscheiden, was du tust und wo du hingehst.
Jakob: Bei mir aktuell auf der Kaufliste ist „Sable“ glaub ich. Das ist so ein Open World Game. Super meditativ. Die Musik zu dem Bild hat Japanese Breakfast gemacht, die ich auch mega gut finde. Und ich bin tatsächlich selber gerade involviert an einem kleinen Computerspiel und mache das Musik und Sound-FX. Das ist aber noch so ganz in den Kinderschuhen.
Dann war der Weg zu dem Titel eures Albums „XP“ ja nicht so abwegig?
Jannik: Das war tatsächlich schon sehr lange Arbeitstitel. Wir haben 2018 angefangen an dem Album zu schreiben und der Name war eigentlich relativ früh da. Ich mochte die Kombination aus den beiden Buchstaben und die Assoziation mit Windows-XP, was ja für unsere Computer-Generation steht und die Assoziation mit Video Games ist auf jeden Fall schon immer da gewesen. Auf dem letzten Album war das Thema auch schon präsent. Für „Apparat“ haben wir ein ganzes Musikvideo mit einem Computerspiel gemacht. Das musste Jacob dann komplett durchspielen.
Jakob: Ja das hat echt lange gedauert. (lacht) Das Computerspiel hieß „The Movies“ und war quasi ein Simulator, wo du dir ein Filmstudio aufbauen musstest. Das hat mit Schwarz-Weiß-Filmen angefangen. Man musste sich um seine Schauspieler:innen kümmern, wenn die ein Drogen- oder Alkoholproblem hatten. Bis man zu dem für unser Video relevanten Punkt gekommen ist, musste ich echt sehr viele Stunden spielen. Alle Sets freischalten, alle Kostüme freischalten und dann konnte man so Regie-Anweisungen geben und die Szenen so als Film runterladen. Wahrscheinlich hätte ich in der Zeit auch animieren lernen können. (lacht)
„Es gibt auf „XP“ mehrere Kapitel mit einer Dramaturgie von Anfang bis Ende – mit einem Hang zum Endgame.“
In Videospielen geht es viel um den Prozess und oft weniger um das Endergebnis. Ist euer Album eher so ein Zwischenlevel oder ein Abschluss. Eher Prozess oder neues Kapitel?
Jannik: Es gibt auf jeden Fall mehrere Kapitel mit einer Dramaturgie von Anfang bis Ende – mit einem Hang zum Endgame. Es wird zwischendrin sehr groß und dramatisch. Ähnlich wie beim Schluss eines Videospiels, wo alles Schwere irgendwie zusammenkommt. Gleichzeitig gibt es Pausen und ruhige Momente, die wir bei der Platte vorher jetzt nicht hatten.
In klassischen Games gibt es immer einen Endgegner. Was oder wer wäre das in eurem Fall?
Jannik: Wenn „XP“ ein Spiel wäre, gäbe es verschiedene Gegner. Es ist ein Kampf mit sich selbst, mit der eigenen Veränderung. Ein Kampf mit Veränderungen von außen, die man gar nicht in der Hand hat. Ich glaube, in manchen Songs, wie in „1st Person“ beispielsweise ist es ein großes Monster, was einem am Ende begegnet.
Jakob: Es gibt auf jeden Fall mehrere Bosskämpfe. Im Video und dem Song zu „No Fear“ geht es um eine Manifestation von Angst im erweiterten Sinne. Eine Angst, die einen hindert Dinge zu machen, auf die man eigentlich Lust hat. Angst, die man manchmal einfach nicht besiegt bekommt. Sie ist in einem selbst ist, wie so ein Schattenbild. Natürlich wird diese Angst von äußeren Einflüssen bestimmt ist. Es ist ja nicht immer alles nur aus einem selbst herausgewachsen.
Und ist das Album also eher ein Single-Player oder ein Multiplayer?
Jannik: Ich glaub es ist schon eher ein Single-Player, wo der Charakter eine Reise durchlebt.
Jakob: Auf jeden Fall, würde ich auch sagen!
Trotzdem geht der:die Krieger:in ja schon in einen Dialog und in einen Austausch mit anderen Charakteren?
Jannik: Auf jeden Fall. Bei „Oktopus“ ist der Oktopus, der den Charakter umschlingt und in die Tiefsee runterzieht, eigentlich auch mehr als ein Gegner. In „Kintsugi“, was auch ein richtiger Endgame-Song ist, wenn auch ein hoffnungsvoller, geht die Sonne auf am Ende. Da geht es um eine ganze Gruppe. Es gibt also nicht nur den einen Solo-Player und dazu die Gegner, sondern auch Interaktion und Fremdwahrnehmung.
Jakob: Das stimmt. Trotzdem begleitet man einen Charakter durch alle Kapitel durch. Dieser ist schon irgendwie immer im Mittelpunkt, auch wenn er zwischendurch mal super einsam und super allein ist.
Jannik: Es schwankt immer zwischen Selbstgespräch und Dialog teilweise – ohne, dass dies so leicht zu identifizieren ist. Bei „Make Up“ ist es ein Gespräch aber gleichzeitig auch ein Selbstgespräch mit dem eigenen Bewusstsein.
Jakob: Die verschiedenen Selbsts können verschiedene Charaktere darstellen. Das ist ja auch das Schöne an der Vorstellung, dass es nicht nur das eine Selbst gibt, sondern irgendwie mehrere Versionen von sich selbst.
Diese verschiedenen Versionen vom Selbst erkennt man auch auf „XP“. Passt sich der Charakter seinen Gegnern an?
Jannik: Ich bin mit dieser Boomer-Logik aufgewachsen, dass man sich irgendwie „selbst findet“. Ab einem bestimmten Alter findet man Dinge für sich heraus und dann bleibt man und funktioniert. Nach diesem Prinzip habe ich sehr lange gelebt. Ich dachte, ich muss nur herausfinden, was meine Interessen, mein Geschmack, meine Ideologie sind und dann ist gut. Das hat sich über die Jahre natürlich als kompletter Quatsch rausgestellt. Man ist immer wieder Veränderungen oder Umständen von außen ausgeliefert. Unkontrollierbare Veränderungen, die man selbst durchlebt, wie der eigene Geschmack, oder die eigenen Wahrnehmungen, die sich verändern. Es ist nicht wie in dieser klassischen Hero-Gaming-Story, in der du die ausgewählte Person bist und der Pfad für dich schon vorgegeben ist. Das Leben hat eher die Schwierigkeiten von einem Open World Game.
Jakob: Diese Veränderungsprozesse von einem selbst hören auch nie auf. Es ist nicht nur ein Weg nach vorne, sondern eine ständige Reflexion der Veränderungen, die man schon durchlebt hat. Man nimmt auf „XP“ seine alten Ichs auch mit auf die Reise und führt Zwiegespräche.
… wie in Open World-Games. Es gibt eigentlich kein richtiges Ende und auch auf „XP“ ist der ständige Weg der Selbstfindung beschrieben?
Jannik: Da hat sich in der Gaming-Welt super viel getan. Man denke nur an „Red Dead Redemption 2“. Ich habe mich zwischenzeitlich unheimlich hineinversetzt in den Charakter, den ich gespielt hab. Dann wird Arthur (Anmerkung: Hauptcharakter) plötzlich unglaublich depressiv, was einem erst auffällt, wenn er gefragt wird: „Hey Arthur, warum guckst du so traurig?“ und er sagt „I dunno I’m a lil depressed“.
Dabei ist das idealisierte Bild eines Cowboys so gar nicht depressed…
Jannik: Ja und am Ende ist man auf einmal so total distanziert von dem Charakter, den man die ganze Zeit gespielt hat. Man stellt fest, dass man sich nicht genug damit auseinandergesetzt hat. Ähnlich fühlt es sich eben auch mit sich selbst an. Man kann sich an manchen Punkten ja auch selber belügen an bestimmten Punkten.
„XP“ könnte aufgrund der Gaming-Assoziation erst einmal sehr steril und abgespaced wirken. Trotzdem wirkt das Album irgendwie organischer?
Jakob: Ja, finden wir auch. Wir hatten große Lust auf Musik, die doch weniger kühl und distanziert wirkt, sondern direkt hittet. Dies passiert durch bestimmte Moves, wie dem Nichtmehrverstecken hinter Auto-Tune. Es ist in vielerlei Hinsicht konsequenter. Wenn man einen ruhigen Moment haben möchte, dann baut man eine Klavierballade ein und wenn man es herausschreien möchte, dann baut man New-Metal-Passagen ein.
Jannik: Im Schreibprozess habe ich angefangen viele Pop-Diva Klavierballaden, wie von Christina Aguilera, zu hören. Die sind meistens relativ dramatisch und auch bisschen traurig. Es schwingt aber immer auch eine melancholische Hoffnung mit, dass sich etwas ändern kann. Diese Balladen haben immer den Unterton, dass man sich befreien kann und man stark genug ist. Das hat erstaunlich gut gepasst zu den Situationen in denen wir auch waren als Gruppe.
Jakob: Und jeder für sich.
Jannik: … und jeder für sich. Deswegen war die Grundidee von „XP“ natürlich auf dieser Gaming-Ebene von Experience. Wir haben gemerkt, dass in den 4 Jahren an denen wir daran gearbeitet haben, der Prozess des Schreibens und der Veränderung viel wichtiger geworden ist. Musikalisch hat sich in der Zeit wahnsinnig viel verändert und so auch die Songs. Auch war dieser Arbeitstitel, der aus Bock auf Gaming entstanden ist, Thema des Albums: Der Prozess. Es war auch eine Auseinandersetzung, ein Akzeptieren und ein Nachdenken mit Texten und Gedanken, die man Monate vorher geschrieben hat.
„Es war für uns schon immer Teil des Songwritings es auf eine fantastische Ebene zu heben. Der Text steht für sich aber jede:r kann seine eigene Bedeutung darin finden.“
Wie hat sich diese Methode für euch angefühlt? Man macht sich damit ja selbst viel angreifbarer und verlässt die Comfort Zone, die ihr vielleicht auf „Soft Kill“ noch hattet?
Jannik: Definitiv. Es gibt trotzdem immer eine virtuelle Welt, oder eine Fiktion dazwischen, die das noch von uns trennt.
Jakob: Wir geben den Hörer:innen sozusagen die Möglichkeit die Texte mit ihrer eigenen Bedeutung aufzuladen. Es war für uns schon immer Teil des Songwritings, es auf eine fantastische Ebene zu heben. Der Text steht für sich, aber jede:r kann seine eigene Bedeutung darin finden.
Jannik: Ja, irgendwie so ’ne gemeinsame Fiktion schaffen, in der man sich selber weniger angreifbar macht, weil es nicht um die eigene Befindlichkeit geht, sondern die eben transformiert ist in irgendeine Situation, wie in „Oktopus“ zum Beispiel.
Das eigene Album als Safe Space sozusagen?
Jannik: Ja, obwohl es eigentlich nie so war, dass wir uns nicht getraut haben uns zu zeigen, um noch einmal das Auto-Tune-Thema aufzugreifen. Wir haben uns in der Vergangenheit über unsere Musik öfter mal angehört, dass man nicht wisse, wie man uns platzieren soll und dass es „weird“ ist. Bei „Soft Kill“ war das dann das erste Mal so: Okay, fuck you! Wir machen jetzt einfach alles worauf wir Bock haben und denken nicht mehr darüber nach, wem gefallen könnte. Bei „XP“ gab es aber schon das Verlangen, sich wieder anzunähern und wärmer zu werden, weil uns aufgefallen ist, dass dadurch vielleicht der Zugang ein bisschen verloren gegangen ist. Zu „Soft Kill“-Zeiten wurden wir öfter in die ironische Ecke gestellt, obwohl unsere Bildsprache ernst gemeint war.
Wurdet ihr als unnahbar wahrgenommen?
Jakob: Ich glaube, es hat viel damit zu tun, wo wir rausgekommen sind und welche Erwartungen dieser Dunstkreis erzeugt. Man wurde schnell mit der Hamburger Schule assoziiert. Es hatte immer diesen Unterton: Das ist irgendwie intelligente, bisschen ironische Musik. Und so richtig ironisch waren wir eigentlich noch nie. Intelligent weiß ich nicht. (lacht)
Wart ihr auf der Suche nach einem neuen Label?
Jannik: Ich glaube, wir haben irgendwann aufgehört nach Labels zu suchen und auf Bestätigung zu hoffen, die man sich von einem Label erhofft. Wir hatten viele Gespräche und wurden immer wieder mit der Frage nach der passenden Zielgruppe konfrontiert. Da ist viel gescheitert. Dabei war für uns die Antwort auf die Antwort gar nicht so kompliziert.
Jakob: … und die Risikobereitschaft hat ganz schön abgenommen in den vergangenen zwei Jahren, würde ich behaupten.
Wie hat es sich denn für euch angefühlt nach so einer langen Pause wieder zurück zu sein, als ihr 2019 „Heart of Darkness“ veröffentlicht habt?
Jakob: Es hat sich auf jeden Fall irgendwie befreiend angefühlt, was musikalisch komplett Neues auszuprobieren. In eine Richtung zu gehen auf die wir viel mehr Bock haben. Diese Mischung aus so metalligen Rock mit schon sehr großer Pop-Approach.
..und einer Prise Stadion-Elemente.
Jakob: Genau, es war total befreiend, dass es nichts mehr mit Post-Punk zu tun hatte. 2019 waren wir aber noch komplett auf uns allein gestellt. Zu der Zeit haben wir uns von unserem Management und vom Label getrennt und waren ein bisschen allein. „Heart of Darkness“ und das Live-Video waren für uns der Schritt raus aus dieser Nische, ein neues Kapitel. Dadurch sind neue Kontakte erschienen und wir haben neue Leute gefunden, mit denen wir auch zusammen arbeiten. Dann gabs eine unglaublich lange Pause, aber wir zählen „Heart of Darkness“ trotzdem als eine Album-Single dazu, weil sie der Beginn dieses neuen Kapitels war.
Jannik: Mit „Heart of Darkness“ war es so bisschen wie eigentlich bei Soft Kill war das noch „Ohnmacht“, das so bisschen in diese Richtung geht von so relativ brachialer, rockiger Popmusik irgendwie. Das hat sich jetzt viel mehr als unsers rausgestellt als der typische Post-Punk-Type-Beat und so bisschen Sprechgesang drüber – No Front!
Manchmal denkt man: nur weil es nicht in der Nische ist, ist es nirgends. Alles was sich irgendwie in so Zwischensphären bewegt hat keine Daseinsberechtigung.
Jakob: Ja das Gefühl hat man tatsächlich häufig.
Jannik: Ja das ist auch schlimmer geworden durch die Streaming-Situation und das Fehlen von Live-Musik.
Jakob: Das Album ist nicht so richtig nur eine Mood. Deswegen passt es vielleicht nicht in Mood-Playlists.
Jannik: Es sind echt viele Moods, Mixed Feelings mit vielen Vibe-Shifts.
Auf Spotify wird es doch bestimmt eine „Mixed Feelings“-Playlist geben, meint ihr nicht?
Jakob: Mixed Feelings klingt so, als ob man es nicht mag. (lacht)
Thema Moods: Sind noch weitere Musikvideos geplant?
Jannik: Gerade noch nicht. Ich würde eigentlich gerne für jede Single ein Video machen, was aber finanziell gerade nicht drin ist. Es sei denn, man macht es halt sehr diy-ig und denkt sich für alles ’ne Kleinigkeit aus, aber ich persönlich hab einfach mehr Lust so arbeiten, wie wir es jetzt auch für „No Fear“ gemacht haben und es größer aufzufahren. Für „Soft Kill“ haben wir sehr viel rumgetrickst, Dinge ausprobiert und hier No-Budget-Videos gedreht. Ein Problem, das wir schon beim Dreh für „No Fear“ hatten, ist dass man auf die Art der Musik nur schwer klein denken kann. Ich finde aber gar nicht so blöd, dass man vielleicht gar kein Bildmaterial bekommt, sondern seine eigene Fantasie mit eigenen Assoziationen aufleben lassen muss.