Es ist 2023. Seit fünf Jahren geht Ansu seinen Weg vom Geheimtipp über den Newcomer bis hin zum Szeneliebling. Und das ohne ein Album – bis jetzt. „Soul über Ego“ ist das Debütalbum eines jungen Rappers, der seine inneren Widersprüche erkennt und vereint, um zu bewegen und zu verändern. Eine Woche vor Albumrelease treffen wir den kränkelnden Hamburger, um mit ihm bei Kamillentee und Dolo-Dobendan über seine Vision zu sprechen.
Wie geht’s dir denn gerade?
Gut eigentlich, nur halt bisschen angeschlagen. Und müde. Nicht so viel geschlafen.
Du bist gerade in der Zeit zwischen Tour und Album Release. Wie nimmst du die Zeit für dich wahr?
Die Tour ist jetzt schon ein bisschen her. Die ganze Energie, die man da mitnimmt, ist ein bisschen abgeflacht inzwischen. Jetzt bin ich in der Albumvorbereitungsphase. Gerade ist eher stressig und ich kann es noch nicht so richtig genießen. Langsam fällt der Druck auch ein bisschen ab, weil das Album jetzt fertig und abgegeben ist. Aber ich glaube, so richtig runterkommen, so richtig mich darüber freuen, kann ich erst, wenn es draußen ist.
Du veröffentlichst seit fünf Jahren Musik. Warum hast du dir so viel Zeit für dein Debütalbum gelassen?
Ich weiß gar nicht, das war gar keine bewusste Entscheidung. Irgendwie ist es einfach nicht dazu gekommen, dass ich ein Konzept hatte. Es gibt „Assoziativ“, das ist offiziell als Album angeliefert wegen der Länge, weil es zwölf Tracks sind. Das habe ich aber nie als Album gesehen, weil es einfach nur zusammengewürfelte Songs sind. Es gab einfach nie die Idee, die für mich albumwürdig war. Und jetzt hat es einfach gepasst.
Kannst du den Moment definieren, als du wusstest, da wird ein Album draus?
„Soul über Ego“ sollte eigentlich „IRGENDWASMUSSICHVERÄNDERN“ heißen. Die Idee kam vor eineinhalb Jahren. Dann habe ich auch ein Album in die Richtung gemacht. Das habe ich aber komplett über Bord geworfen. Davor gab es sogar noch eine andere Idee für ein Album, das “Diversität” heißen sollte. Das habe ich aber auch komplett verworfen und wollte erstmal kein Album machen. Die Idee für „Soul > Ego“ kam so vor einem dreiviertel Jahr, gar nicht so lange her. Eigentlich habe ich nur so Tracks gemacht und dann irgendwann ist mir diese Idee gekommen, aus der sich das Album step by step entwickelt hat.
Die Idee zu „Soul über Ego“ erinnert sehr an die Polarität EP. Was ist deine Verbindung zum Polaritätsprinzip und wo findest du dich da wieder?
„Soul über Ego“ war für mich erstmal ein Appell an mich selbst, weil ich immer wieder gemerkt habe, dass ich in vielen Situationen aus Ego handele. Es gibt oft Momente, in denen das Ego übernimmt. Und ich habe mir selber gesagt, es ist viel angenehmer und gesünder, wenn man einfach so entscheidet und sich so verhält, wie man wirklich ist, egal wie das ankommt. Ich konnte das gut auf mich anwenden und deswegen wollte ich ein ganzes Projekt machen, das beide Seiten widerspiegelt. Weil man nicht frei von Ego ist, aber ich versuchen will, meinen Soul darüber zu stellen. Und so ist das Album auch angeordnet, die Soul-Seite ist oben und die Ego-Seite unten.
Das heißt, du siehst Soul und Ego als deine beiden Pole, die co-existieren?
So ein bisschen, ja. Die auch beide richtig sind, aber ich finde, Soul sollte über dem Ego stehen.
„Im Moment habe ich auch gar keinen Bock mehr, Tracks zu machen, die deep sind.“
Und trotzdem gibst du dem Ego ja auch diesen Raum auf dem Album. Was magst du an diesem Teil von dir?
Vor allem, dass ich da nicht so viel nachdenken muss. Da ist einfach ein bisschen flexen, ein bisschen über nichts reden. Das ist neben den persönlichen und politischen Sachen voll entspannt. Im Moment habe ich auch gar keinen Bock mehr, Tracks zu machen, die deep sind. Man will auch nicht immer so tief graben, um Tracks zu machen. Dieser Ego-Teil ist ein Ausgleich. Einfach drauf scheißen und über irgendwas reden und nur Spaß haben an Musik. Ich höre auch selber privat viel mehr Musik, die nicht so tiefgründig ist, sondern die einfach vom Sound her bockt. Und natürlich ist das Ego auch ein Teil von einem selbst. Sich selbst zu pushen ist auch gesund.
Auf dem Album sind die beiden Teile klar voneinander abgegrenzt. Aber was beide Seiten verbindet, ist dein Veränderungsdrang. Beide wollen Veränderung und haben verschiedene Herangehensweisen, um sie zu bewirken. Glaubst du, es braucht beide Seiten?
Ja, auf jeden Fall. Mir ist auch wichtig, nicht so wahrgenommen zu werden, als würde ich nur “politische” Sachen machen, weil das für mich auch einfach grundlegende Dinge sind, die man anspricht. Und dieser Ego Teil ist für mich selbst immer noch ein Reminder dafür, dass ich Musik mache, um Spaß zu haben. Ich glaube, es ist einfach wichtig, die Balance zu halten zwischen beiden Sounds und zwischen beiden Arten Musik zu machen.
Dein Ego trägt sicher einiges zu der Selbstsicherheit und der Kompromisslosigkeit bei, mit der du deine Werte und Prinzipien, deinen Soul, nach außen trägst. Das macht dich und deine Musik aus, finde ich. Was waren die größten Einflüsse für die Entwicklung deiner Werte und dieser Integrität?
Ich weiß gar nicht genau, wo das herkommt. Ich hasse es einfach, wenn Sachen unfair sind. Auch einfach aus logischer Sicht. Es nervt mich, wenn bestimmte Dinge einfach so bleiben, obwohl sie offensichtlich falsch sind. Und die allermeisten Personen würden sagen, dass die Dinge, die wir ansprechen, verändert werden müssten. Es ist vor allem daraus entstanden, dass ich viele Gespräche mit Leuten geführt habe. Daraus hat sich das entwickelt, dass man gemerkt hat, manche Sachen muss man einfach angehen. Das sind grundlegende Sachen, die aus meiner Sicht gar nicht politisch sind, sondern einfach gesunder Menschenverstand. Deswegen ist es mir wichtig, damit auch straight zu sein und die Dinge so zu sagen, wie ich denke. Unabhängig von meinem Image, einfach weil ich das wirklich so sehe.
Auf dem Album hört man, dass du sehr viele prägende weibliche Personen hast, die dir was mitgegeben haben.
Ja safe, also meine Mum vor allem, in erster Linie.
„Ich glaube, das Bild, das ich selber von mir zeichne, ist ein bisschen nachdenklicher, als ich eigentlich bin.“
Glaubst du, dass diese Einflüsse zu deinem Männlichkeitsbild beigetragen haben? Du wirkst wie jemand, der sich damit viel auseinandersetzt.
Ich denke da nicht so viel darüber nach, um ehrlich zu sein. Ich glaube, das Bild, das ich selber von mir zeichne, ist ein bisschen nachdenklicher, als ich eigentlich bin. Es gibt natürlich bestimmte Verhaltensmuster, die man sich angeeignet hat über die Jahre, wie man auch erzogen wurde. Das kann man nicht komplett ablegen. Da denke ich schon drüber nach und rede mit meinen Kollegen darüber. Aber es ist nichts, womit ich mich sehr viel beschäftige.
Loyle Carner hat über Identifikation und Männlichkeit ein ganzes Album geschrieben. Erzähl doch mal von deiner Verbindung zu ihm.
Das war crazy. Ich habe ihm vorher schon ein paar Mal geschrieben, einfach weil ich seine Musik krass finde, lyrisch. Deswegen umso krasser, dass die Macchiavelli Session zustande gekommen ist. Der Typ ist so korrekt, so nett, das konnte ich fast gar nicht matchen. Er ist so höflich und aufmerksam, für alles entschuldigt er sich und er sagt immer Danke, Bitte und will ausgeben und so. Es war einfach krass, jemanden kennenzulernen, der schon gut was erreicht hat, aber trotzdem so humble geblieben ist. Und dem es wichtiger ist, ehrlich zu bleiben und über die Sachen zu reden, die ihm wichtig sind, als den großen Erfolg zu jagen. Dass es auch möglich ist, damit erfolgreich zu sein, ist eine krasse Motivation für mich.
Was für dich vielleicht auch eine größere Motivation ist, als der kommerzielle Erfolg, ist deine Rolle als Vorbild. Wolltest du das sein?
Ne, eigentlich nicht. Ich will eigentlich nur die Sachen ansprechen, die mir wichtig sind und viel mehr ist es nicht. Ich habe mich natürlich selber in diese Ecke gebracht, aber ich will gar nicht zu sehr als Vorbild wahrgenommen werden. Das ist für mich auch eine Verantwortung, der ich gar nicht ganz gerecht werden kann, weil ich im Endeffekt einfach Musik mache. Ich habe manchmal das Gefühl, ich werde stellvertretend für alle politischen Sachen gelesen und es dreht sich immer darum, obwohl es auch um ganz viele andere Sachen geht, die mir wichtig sind. Und es gibt andere Leute, die befassen sich wirklich den ganzen Tag nur mit diesen Themen und kennen sich viel besser aus. Das sind eher die Leute, die dafür Vorbilder sein sollten.
Ich frage das, weil sich viele Rapper aktiv dagegen entscheiden, sich zu positionieren. Wie nimmst du das wahr?
Safe, so wie du sagst. Die Leute entscheiden sich aktiv dagegen. Vielleicht vertreten sie auch diese Meinung nicht, was ich aber eigentlich nicht glaube. Ich glaube, die Leute haben Angst, dass ihr Image darunter leidet, als stabiler Rapper wahrgenommen zu werden und dass es sie soft wirken lässt. Und ich glaube, den Leuten ist es auch einfach nicht so wichtig, weil es sie nicht betrifft.
„Filigran“ ist wahrscheinlich der erste Song, in dem ein Rapper einen Abuser exposed. „IRGENDWASMUSSICHVERÄNDERN“ macht auf Missstände für marginalisierte Personen aufmerksam. Welche Resonanz bekommst du, wenn du dich so klar positionierst?
Ich kriege schon positive Resonanz – oder halt Enthaltung. Es gibt wenig Hate, also auch, aber darauf gehe ich eh nicht ein. Von den Betroffenen bekommt man positive Rückmeldungen. Die bedanken sich, was auch nicht Sinn der Sache ist, dass Leute sich für sowas bedanken müssen, weil es normal sein sollte. Ansonsten gibt es wenig Resonanz. Es interessiert gefühlt nur Leute, die sich vorher schon damit befasst haben.
Bemerkst du schon Veränderung?
Die Veranstalter wissen oft Bescheid, dass wir ein Awareness Team vor Ort haben wollen oder selber mit dabei haben. Und man merkt schon, dass sie sich dann anders verhalten. Es hat auch positive Auswirkungen. Die Leute finden das einfach gut, dass man das macht und man kriegt Zuspruch von den Veranstaltern, aber vor allem auch von denen, die sich sowieso schon um sowas gekümmert haben. Und für die Leute ist es nicer, dass sie sicherer sind auf einem Konzert. Ansonsten habe ich aber noch nicht viel gemerkt.
Gibt es in deiner Fanbase Situationen, in denen du deinen Einfluss bemerkst?
Ich glaube schon, ja. Wenn man für Sachen steht, zieht das bestimmte Leute an. Aber auch oft Leute, die sich vorher schon darüber Gedanken gemacht haben. Mir ist es auf jeden Fall wichtig, nicht nur diese Bubbles anzusprechen. Ich glaube, dass man gerade im Bereich HipHop auch viele Zuhörer hat, die nicht so die Verbindung zu manchen Themen haben. Für mich ist auch ein Problem, dass es zu wenige Berührungspunkte zwischen diesen verschiedenen Szenen gibt. Ich habe das Gefühl, da finden Leute, die vielleicht nicht so gebildet sind, keinen Anschluss. Vielleicht kann ich ein paar Leuten über HipHop den Anschluss an diese Themen erleichtern.
Du wirkst oft so hoffnungsvoll und optimistisch, wenn es um Veränderung geht. Woher kommt dein Vertrauen in unsere und die nächsten Generationen?
Wenn man nicht daran glaubt, dass es besser wird, ist es schwer, sich zu motivieren, etwas dafür zu tun. Und ich glaube auch, so wie ich die nächste Generation wahrnehme, dass die Leute offener sind als meine Generation oder die älteren, gerade auch im Bereich HipHop. Es hat sich ja auch über die letzten zehn Jahre voll viel verändert. Zwar schleppend, aber was früher okay war, was Leute gedroppt haben, da haben Weiße N**** gesagt, das war kein Problem. Heute ist das klar und ich denke, in zehn Jahren wird es genauso klar sein, dass andere Sachen nicht okay sind.
Danke für deine Zeit und deine Vision, Ansu!
Seht hier das Video zu „Vision“:
Fotos: Pauline Pyras