Am Wochenende, als der Juli endete und der August begann, hatten Monate des Ausharrens und Bangens kurz Pause, weil mit dem Watt en Schlick endlich wieder ein Festival stattfand. Ein echtes Festival, mit Zelten und Dixis und Handbrot und Moshpits. In der Gewissheit eines negativen Testergebnisses, das das ausgetüftelte Hygienekonzept für den Zutritt zum Gelände voraussetzte. Es war ein Wochenende des Aufatmens, zwischen Euphorie und Eskalation. Ein besonderes und ein wichtiges Wochenende für die Veranstaltungsbranche, für die Freunde von Live-Musik und nicht zuletzt auch für 01099. Mit einer Einwegkamera haben die Newcomer ihren Tag für uns festgehalten.
01099, das sind Gustav, Paul, Zach und manchmal Daniel, der sich gerade aber auf sein Studium konzentriert. Die vier Jungs verbindet die Liebe zur Musik, die Vision, Rap neu zu interpretieren und die Dresdner Neustadt, deren Postleitzahl der Gruppe ihren Namen verleiht. 2019 gab es die ersten musikalischen Lebenszeichen. Damals noch ironische, fast parodistische Songs, die eventuell gar nicht so ernst gemeint waren. Mit ihrem Debütalbum „Morgensonne“ zeigen sie sich 2020 nicht nur seriöser, sie bieten auch eine vielversprechende Neuinterpretation von deutschem Rap, stilsicher, vielseitig und mit einem besonderen Gespür für Melodien.
Dann erscheint „Frisch“ und 01099 katapultieren sich über Dresdens Grenzen hinaus in die Playlisten des Landes. Als wäre dieser Song nicht Hit genug, liefern sie ein paar Monate später mit „Durstlöscher“ den nächsten Ohrwurm, gefolgt von der „Dachfenster“-EP inklusive BHZ Feature. Gemeinsam verzeichnen die beiden Songs mittlerweile 55 Millionen Streams auf Spotify. Hätte es dieses Jahr ein Splash! Camp gegeben, seine Hymne wäre vielleicht einer der Songs gewesen. Ganz sicher waren sie aber für viele die Hymnen des Sommers.
Da war ihnen niemand böse, als 01099 die Songs gleich mehrmals auf dem Watt en Schlick Fest zum Besten gaben. Es ist die erste Festivalsaison der Jungs, der erste Sommer, in dem sie sich auf der Bühne ausprobieren und beweisen können. Aufregend muss das sein, sicher auch ein bisschen seltsam, zu wissen, dass da nun plötzlich Menschen vor der Bühne stehen, die mit der vollen Absicht gekommen sind, diese Jungs aus Dresden zu sehen, die aus Spaß während ihrer Schulzeit anfingen, zu rappen.
01099 spielen am Abend des ersten Tages auf dem Floß, die Flut bringt die Bühne leicht zum Schwanken, der Himmel sieht bedrohlich aus. Betrachtet man die Menschenansammlung vor der Bühne, erkennt man genau, für wen sie gekommen ist. Das Publikum ist jung und wirkt noch etwas unbeholfen nach all den konzertlosen Monaten. Für manche ist es vielleicht die erste Live Show überhaupt. Ihre aufgeregte, freudige Erwartung ist spürbar. Als Gustav, Paul und Zach dann die Bühne betreten, wirken sie ähnlich verlegen wie ihr Publikum. Vielleicht sind sie überrascht von der Menge, die nicht mehr aus Streamingzahlen, sondern echten und vielen Menschen besteht, die sie erwartungsvoll bejubeln.
Nach wenigen Songs beginnt der Regen. Mit jedem Tropfen, der fällt, scheint auch die Unsicherheit und Anspannung zu fallen. Die Jungs lassen los, springen barfuß über die Bühne, laufen über den Steg zu ihren Fans und teilen immer wieder ihre Mikros mit ihnen, um gemeinsam zu singen. Auch das Publikum ist jetzt vollkommen gelöst, tanzt durchnässt im Regen, mit schlammigen Füßen im Schlick. Immer wieder schieben Securities die Fans vom Steg, der ständig von ihnen eigenommen wird. Auch als Gustav „Frisch“ zum dritten Mal anstimmt, nimmt die Euphorie nicht ab. Mittlerweile hat der Regen die Bühne nahezu überschwemmt, immer wieder setzt der Ton aus, dafür werden die Stimmen vor der Bühne immer lauter. Sie alle kennen diese Songs, haben sie über Monate gehört. Und sie alle haben Monate darauf gewartet, sie endlich live zu erleben. Es sind Momente der absoluten Euphorie, die sich mit jedem Song vervielfacht.
Es ist dieses vollkommene Glück, dass an diesem Wochenende überall und jederzeit spürbar ist. Man sieht es in den strahlenden Augen der Besucher:innen und in den manchmal glasigen Augen der Musiker:innen. Man spürt es im Gedränge der Moshpits und hört es in den Chören der Menge. Es ist die Art von Glück, die nur auf Festivals entstehen kann, wenn tausende Menschen es miteinander teilen, tanzend, singend, feiernd.
Das Watt en Schlick Fest war einer der wenigen Orte diesen Sommer, an dem es möglich war, Musik in seiner stärksten, unmittelbarsten Form wahrzunehmen. Es hat uns alle daran erinnert, wie es sich anfühlt, Musik kollektiv, live und direkt zu erleben. Sich in der Musik und der Menge zu verlieren, loszulassen, freizudrehen. Das Festival macht Mut für die Zukunft der Veranstaltungsbranche, denn heute besteht die Gewissheit: Das Hygienekonzept ging auf, es gab am gesamten Wochenende und auch danach nicht einen positiven Test im Zusammenhang mit dem Festival. Das Fest war ein Modellprojekt, das Grund zur Hoffnung gibt. Hoffnung, keinen Sommer mehr ohne Festivals verbringen zu müssen.
Im November geht es für die Band weiter auf Tour:
18.11.21 München, Strom
19.11.21 Frankfurt a.M., Zoom
20.11.21 Köln, Helios 37
22.11.21 Hamburg, Hebebühne
24.11.21 Berlin, Lido
25.11.21 Chemnitz, Weltecho
27.11.21 Dresden, Puschkin