„Glaubt’s ihr der Papst sauft keinen Softdrink?“ Eine Momentaufnahme zum aktuellen Status der Fan- und Feuilletonlieblinge Bilderbuch.
Maurice Ernst greift nach der Blume, die ihm ein Fan aus den vorderen Reihen soeben zugeworfen hat. Eine Narzisse. Passend findet er das, dieser Wiener Blondschopf, der mit seiner neologischen Lyrik auf den letzten zwei Alben sowohl Kritiker wie Fans ins Staunen brachte und gemeinsam mit seinen drei Bandkollegen zwei der interessantesten Alben des deutschsprachigen Pop der letzten zehn Jahre veröffentlicht hat. Das große Breakoutalbum „Schick Schock“, das sich 2015 vor so viel überschwänglichem Lob gar nicht mehr retten konnte, schwebt in den Kritiken zum dieses Jahr veröffentlichten Nachfolger „Magic Life“ wie ein Damoklesschwert und die Musikpresse lässt sich nicht lumpen, die Klinge des Vergleichs unaufhörlich herabsausen zu lassen. Bilderbuch hätten dem Druck gar nicht standhalten können, zu gut wäre das 2015er Album gewesen. Man verliere sich in der Kompliziertheit, Dinge, die auf „Schick Schock“ noch easy und unbeschwert klangen, würden auf „Magic Life“ in die Absurdität getrieben, wie zum Beispiel die Belanglosigkeit der Texte. Und, wie auf dem 2017er Album eigentlich zu erkennen ist, wenn man sich vom Ruhm und Glanz, den übrigens die erschaffen, die ihn dann wieder verteufeln, frei macht, lassen Bilderbuch auf ihrem Konzert im Münchener Zenith dann doch klar durchblicken, dass sie mittlerweile so viel mehr können, als „Maschin“, „Spliff“ und „OM“.
Bevor die Wiener allerdings die Bühne in München betreten, springt auf dieser die nicht minder talentierte Mavi Phoenix, die im letzten Jahr vor allem mit ihrem kleinen Popwunder „Quiet“ auf sich aufmerksam machen konnte, umeinander und lässt erahnen: Da könnte bald was richtig frisches auf die Popszene zukommen. Natürlich, möchte man derzeit fast sagen, kommt auch Mavi Phoenix aus Österreich. Bilderbuch erscheinen dann kurz nach 21.00 Uhr und präsentieren insgesamt einen guten Mix aus „Schick Schock“ und „Magic Life“, bei dem die Songs des letzten Albums prozentual wahrscheinlich leicht überwiegen. Das Publikum lässt sich, vielleicht angesteckt vom Münchener Frühling, umgehend begeistern, es wird getanzt. Ernst und seine Bandkollegen geben sich alle Mühe, sich so wenig Mühe wie möglich zu geben, um trotzdem alles zu geben. Locker und trotzdem glamourös soll es wirken, wenn Songs wie der Opener „I<3 Stress“ oder das vor Selbstbewusstsein schäumende „Erzähl Deinen Mädels Ich Bin Wieder In Der Stadt“ mit den Backgroundsängerinnen gospelartig umgesetzt wird. Ernsts Bewegungen auf der Bühne und die Worte, die er ans Publikum im Zenith richtet sind gewählt, er weiß wie er wirken will und ist sich dessen bewusst, was er da vor dem klatschenden Publikum bietet. Der 28jährige ist originell, charmant und dennoch hat man das Gefühl, er würde, wie der Sound der Band, noch nicht am künstlerischen Höhepunkt angekommen sein. Da geht mehr Glamour, mehr Show und auf jeden Fall mehr von Sätzen wie „Wir sind ja ned Wanda“, wenn er der Menge den Funk erklärt. Natürlich müssen sich die Texte und die Attitüde, die Bilderbuch in ihren Songs entwickeln und die sie auch live bewusst so präsentieren mit der österreichischen Überfigur des Pop Falco auseinandersetzen. Ohne aber damit die Musik in eine durch Nationalität erzeuge Genreschublade zu stecken, ist es wunderbar zu sehen, dass sich wieder junge Musiker trauen, genau diese affektierte Übertriebenheit, den Hang zur überbordenden Arroganz und die aus der eigenen Kreativität stammende Verweigerung gegenüber aufgezwungenem Understatement in ihrer Kunst umzusetzen. Und da geht bei Bilderbuch, wie sie bereits auf „Magic Life“ bewiesen und vielleicht doch nur angedeutet haben, noch so einiges mehr. Wir sagen, hauts raus den Vibe!
Bilderbuch schaffen es also, auf ihrer Tour zum dritten Studioalbum umzusetzen, was das Album im Februar versprochen hatte, liefern eine schillerndes Party der Popmusik und halten sich durch Songs wie „Barry Manilow“ und „Willkommen im Jungle“, die als Zugabe gespielt werden, doch ein wenig auf. Sie sind 2017 eigentlich weiter, als es die Songs von „Schick Schock“ dieses Jahr noch zeigen können. Gerade deswegen empfehlen wir jedem, der sich mal wieder zu richtig fescher Musik bewegen will, zum Beispiel heute Abend im schönen Leipzig zu „Baba“ die Bodys in Schwung zu bringen. Tickets gibt’s sogar noch zu kaufen, für die restlichen Shows in Österreich sieht’s da gelinde gesagt, schlecht aus. Sind halt was besonderes, diese Wiener.