Das letzte Release von Razz liegt vier Jahre und eine ganze Pandemie zurück. Seitdem hat sich nicht nur das gesellschaftliche Leben verändert, sondern auch der Sound der Band aus dem Emsland. Sänger Niklas Keiser verrät uns, was er zwischen höchsten Höhen und tiefsten Tiefen in der Pandemie gelernt hat, was das für die neue EP “Might Delete Later” bedeutet und ob die Suche nach Razz 3.0 fast in einem Technoprojekt abgedriftet wäre.
Nach langem Warten erscheint eure neue EP inmitten einer Pandemie, wie geht es euch damit?
Wir machen gerade eine ganz neue Erfahrung, weil die meisten Songs dieser EP noch nie live ausprobiert wurden. Das ist mir sonst immer sehr wichtig gewesen, weil man dabei die direkten Reaktionen der Leute mitbekommt. Kommt der Song gut an? Funktioniert er im Live-Kontext? Wenn Konzerte wieder möglich sind, müssen wir auch erstmal schauen, dass wir diese Songs live als Band wieder hinbekommen (lacht).
Ihr habt in den letzten Monaten einige Streaming Konzerte gespielt, war das für euch eine zufriedenstellende Alternative?
Klar ist es schön, wenn man die Möglichkeit bekommt, noch mal auftreten zu können. Wir hatten dabei auch neue Songs am Start und waren super gespannt, was die Leute denken. Aber klar, Konzerte fehlen schon und das ist natürlich nicht das gleiche. Am Anfang habe ich mich auch etwas gegen Streaming-Shows gewehrt, weil ich dachte, dass das alles nicht so lange dauert und wir lieber warten sollten, bis richtige Konzerte wieder funktionieren. Aber mittlerweile habe ich eingesehen, dass es so ziemlich der einzige Weg war, den wir hatten, um noch mal live spielen zu können. Das war uns dann doch wichtiger, als zu warten. Trotzdem ist es ungewohnt, wenn keine Leute im Publikum stehen und man einfach nur in irgendwelche Kameras starrt. Man weiß zwar, da sitzen jetzt einige Leute und gucken zu, aber man hat kein Gesicht vor Augen, man sieht gar keine Interaktion. Da schmerzt mein Live Musiker Herz.
Viele Künstler:innen haben im Lockdown ihre Social Media Präsenz ausgeweitet. Kam das für euch auch in Frage?
Ich bin ein bisschen zwiegespalten, was Social Media angeht. Einerseits ist es ein Mittel zum Zweck und man kann dadurch natürlich seine Reichweite steigern und noch mehr Leute erreichen. Darum geht es ja auch irgendwo als Musiker:in, dass du die Leute erreichst, auch wenn letzten Endes natürlich die Musik stimmen muss. Mit der sollte man sich immer wohlfühlen und sie soll auch bei den Leuten etwas auslösen. Deswegen tue ich mich immer ein bisschen schwer den Fokus auf Instagram zu legen, weil letzten Endes ist es eher mein Job Musik zu machen. Natürlich wird man immer etwas dazu gedrängt, Social Media bedienen zu müssen. Das fällt uns schon schwer, weil wir nicht diesen Drang zu Erzählen haben. Wir haben aber immer gesagt, dass wir nur Sachen posten, wenn wir etwas zu erzählen haben. Das funktioniert natürlich in letzter Zeit, mit einem neuen Release, sehr gut. Aber eigentlich müsste man Social Media noch mehr nutzen, um banales Zeug zu posten, um die Leute einfach zu entertainen.
Euren Sound habt ihr in den letzten Jahren merklich weiterentwickelt. Was habt ihr aus diesem Prozess für euch persönlich mitgenommen?
Uns war es bei der neuen EP super wichtig, dass bei der Entstehung der Songs erstmal die Grundidee, das Herz des Songs, stehen muss. Danach kann man im Studio alles mögliche noch daran verändern. Uns war besonders wichtig, dass die Songs erstmal als pure Akustik Version funktionieren. Und das hat, glaube ich, den Songs auch geholfen, weil wir uns viel mehr auf Melodien und Harmonien fokussiert haben. Wir haben mehr darüber diskutiert, wie der Text funktioniert, wie sich dieser Text mit dieser Melodie anhört, oder ob man die Melodie noch etwas verändern kann. Auf Melodien haben wir großen Wert gelegt, denn ich finde, dass Melodien schon auf gewisse Weise etwas erzählen. Es ist doch schade, wenn Songs einen mega guten Text haben, aber dann eine Melodie, die man nach zwei weiteren Songs schon wieder vergessen hat. Uns war es wichtig, dass die Melodie der Songs schon alleine ein Gefühl vermitteln kann und dann gemeinsam mit dem Gesang eine Geschichte erzählt.
Über eure dritte Single “Game” habt ihr zuvor selbst gesagt, dass es euch ganz lange schwer fiel herauszufinden, in welche Richtung der Song gehen soll. Wie kann ich mir den Prozess, bis der Song es tatsächlich auf die EP geschafft hat, vorstellen?
Wir haben extrem lange überlegt, ob “Game” auf die EP passt und wo wir den Song platzieren sollten. Ich weiß noch genau, als ich ihn geschrieben habe und mit der Demo in den Proberaum gekommen bin, wusste ich gar nicht genau, wo ich den einordnen sollte. Das fiel mir bei dem Song schon schwer, aber die anderen drei Jungs meinten dann zu mir ey, der Song ist Killer, lass uns den mit ins Studio nehmen, lass uns den aufnehmen. Ich war bis wenige Tagen vor der Session immer noch nicht ganz überzeugt und dachte mir, okay, ich verstehe den Song einfach noch nicht. Erst am Ende der Session konnte ich den Song dann auch ins Herz schließen. Und bislang haben wir nur gutes Feedback zu “Game” bekommen. Das freut mich natürlich mega, vor allem, weil ich vorher so skeptisch war.
Wie habt ihr ansonsten die Reaktionen auf eure musikalische Weiterentwicklung wahrgenommen?
Ein paar Leute sind natürlich immer dabei, die sagen, dass das alte Zeug ihnen besser gefällt. Oder sie fragen, warum jetzt alles so anders klingt. Ich denke mir dann, na gut, ich habe nicht so Lust, die ersten beiden Alben noch mal zu schreiben. Das war nie der Anspruch bei Razz, sich nur auf eine Richtung zu fokussieren. Deswegen hat es bis zum nächsten Release auch etwas länger gedauert, weil wir vorher ganz viele Richtungen ausprobiert haben. Da war auch ganz weirdes Zeug dabei, was wahrscheinlich irgendwann mal ein Technoprojekt wird, aber nicht im Razz Kontext funktioniert hat (lacht).
War diese Experimentierfreudigkeit auch ein Grund für euch, sich vorerst nicht auf Albumlänge auf eine Richtung festzunageln?
Ja, auch. In erster Linie hatten wir nach so langer Zeit so krass den Drang wieder etwas zu veröffentlichen. Da dachten wir uns ey, bis wir jetzt erstmal diese ganzen 40 Songs, die bei uns rumliegen, verwertet haben und im Studio für ein Album zurechtgebogen haben, machen wir erstmal eine EP. Dass erstmal etwas neues kommt war für uns irgendwie cooler, und auch für die Hörerinnen und Hörer, denke ich. Es hat sich, nach so einem langen Prozess, den wir intern durchgemacht haben, diese Suche nach Razz 3.0, wie der nächste logische Schritt angefühlt. Es ist natürlich ganz nett nebenbei, dass es bei Streaming Anbietern natürlich auch besser ankommt, wenn man einfach sukzessiv peu à peu veröffentlicht. Das spielt natürlich auch mit in die Karten, wenn man ehrlich ist.
Hast du dich persönlich von der Pandemie Situation kreativ eingeschränkt gefühlt oder war das bei dir gar kein Thema?
Das läuft so in Wellen ab, oder? Manchmal hat man im Lockdown ein Hoch und denkt sich, geil, ich bin so produktiv. Aber dann kommt wieder eine Down Phase und du fragst dich, wann das alles wieder vorbei ist. Ich selbst habe zwischendurch mein ganzes Musiker Dasein hinterfragt, weil mir das letzte Jahr ein bisschen den Boden unter den Füßen weggerissen hat. Ich habe teilweise richtig meine Existenz hinterfragt und dachte mir wow, diese ganze Branche ist so schnelllebig und auch instabil, wenn ein kleines Zahnrädchen nicht eingreift, dann fällt auf einmal alles zusammen. Hinzu kommt, dass man durch Streaming sowieso kaum Geld verdient und unsere Haupteinnahmequelle immer Konzerte waren. Wenn das alles wegbricht, haben auch wir total gemerkt, dass man dann nicht nur finanziell in einem Loch ist, sondern auch psychisch, weil alles so zusammenhängt. Aber es gab auch positive Phasen.
Was haben für dich diese positiven Phasen im Lockdown ausgemacht?
Es gab Phasen, in denen ich mich viel mehr mit mir selbst auseinandergesetzt habe und viel mehr über grundlegende Sachen nachgedacht habe. Ich habe geschaut, was mir im Leben eigentlich wichtig ist. Auch schön war, dass ich meine engsten Freundinnen und Freunde auf einer ganz anderen Art und Weise kennengelernt habe, weil man sich nicht mehr in Gruppen treffen konnte. Da hatte man plötzlich ganz andere Gespräche, wenn man nur noch zu Zweit mit einem Vino rumhängt. Generell wurde die Alkoholdosis wahrscheinlich bei gefühlt jedem erhöht. Ich weiß nur nicht, ob das positiv oder negativ ist, aber da gehöre ich tatsächlich auch zu, dass es dann doch das ein oder andere Mal häufiger ein Bierchen gab.
Wenn ich mir den Titel euer EP “Might Delete Later” anschaue, dann drückt das für mich irgendwo auch ein Gefühl in dieser Zeit aus. Alles ist unsicher, fragil, temporär – und bei Bedarf kann man alles wieder zurückziehen. Wie siehst du das?
Ja genau, da hast du auf jeden Fall Recht. Alles spielt ein wenig in dieses Ganze “vorher war alles strukturiert und jetzt muss man sich in seinem neuen Alltag zurechtfinden”, aber dieses Loslassen vom Perfektionismus, das es immer das sein muss, was für immer geil ist und für immer bestehen bleibt, das ist einfach ein wahnsinniger Druck, der von außen ausgeübt wird. Den man sich aber auch selbst macht. Wir haben versucht die Songs, die wir in dem Moment gut fanden, zu denen wir eine Bindung aufgebaut haben, einfach Songs sein zu lassen. Dadurch haben wir versucht, uns von diesem Anspruch zu lösen, dass alles perfekt sein muss. Es ist viel eher eine Momentaufnahme, die sich für uns gut angefühlt hat. In der Pandemie ist es ja auch so, dass einem der Boden unter den Füßen weggerissen wurde und man sich von Planungssicherheit verabschieden musste. “Might delete later” ist der Versuch, sich vom Perfektionismus und der perfekten Struktur zu verabschieden. Loszulassen, um auch selbst freier zu sein.