Die Kölner Band hat mit ihrer aktuellen Platte „Scham“ den Finger in die Wunde unserer Gesellschaft gelegt. Wir haben mit Fabian Mohn von Neufundland über Sexismus in der Musikzene, das Privileg der Männlichkeit und über Scham gesprochen.
Bloß nicht wie Deutschpoeten-Pop klingen. Das war den fünf Musikern aus Köln wichtig. Denn inhaltlose Texte und Phrasen widerstreben dem Naturell von Neufundland. Mit „Scham“ haben sie dieses Jahr die wahrscheinlich aussagekräftigste Platte im deutschen Indie-Rock-Business veröffentlicht. Mit Songs wie „Männlich, blass, hetero“ oder „Viva La Korrosion“ weisen sie charmant auf die Probleme in unserer Gesellschaft hin.
Und doch schauen wir doch so gerne einfach weg – vor Scham. Auch deswegen trägt das zweite Album von Neufundland den Namen „Scham“ und weist auf eine Thematik hin, die seit Social Media unseren Alltag diktiert, immer stärker wird. Wir haben uns mit Fabian Mohn (Gitarre und Vocals) über Sexismus in der Musikszene, das Privileg als Musiker wirken zu dürfen und Pop im Zusammenspiel mit Politik unterhalten.
Erste Frage: Wann habt ihr das letzte mal „Scham“ empfunden?
Ich glaube, Scham empfinden wir ständig und vor allem: unterbewusst. Es ist dieses merkwürdige Gefühl, wenn du ewig darüber nachdenkst, ob du jetzt dieses oder jenes Foto bei Instagram postest. Dann fragst du dich schon unterbewusst „genügt mein Aussehen den Maßstäben, die die Gesellschaft an mich stellt?“ Man schämt sich quasi vor der Scham: Man verschweigt möglichstlang den schlechten Job, den man hat. Man sorgt sich um zu wenige Likes und hinterfragt natürlich – so gehört sich das für eine oberflächliche Gesellschaft – das eigene Aussehen.
Ich bin mir sicher, dass euch diese Frage nicht zum ersten Mal gestellt wurde. Ist euch erst seit dem Release bewusst geworden, wie oft man sich im Alltag eigentlich unwohl fühlt – sprich sich schämt?
Ja, schon. Wobei dieser Prozess nicht mit dem Release losging, sondern seit uns die Idee kam, unser Album „Scham“ zu nennen. Die Allgegenwärtigkeit dieses gesellschaftlichen Korrektivs ist wirklich beängstigend, wenn man mal so drüber nachdenkt.
„Scham“ ist ja irgendwie auch eine Kritik an der Selbstdarstellung unserer Gesellschaft. Wie ist das für euch als Band? Auch ihr lebt ja in einer gewissen Art und Weise von Selbstinszenierung. Gab es hier einen Gewissenskonflikt?
Ein Gewissenskonflikt nicht unbedingt. Selbstdarstellung ist ja erst mal nichts negatives. Übrigens denke ich, dass auch Scham positive Aspekte hat und vielleicht braucht eine Gesellschaft sogar immer die Scham als Korrektiv. Die Frage ist ja: Wofür schämen sich Menschen in einer Gesellschaft und schämen sich wirklich die, die sich schämen sollten?
Lasst uns über eure erste Single aus dem Album „Scham“ „Männlich blass hetero“ sprechen. Zugegeben habt ihr mir hier aus der Seele gesprochen. Selbst heutzutage wird einem als Mann noch eingeredet, dass „Schwäche“ kein Zeichen von Männlichkeit ist. Habt ihr damit Menschen an den Kopf gestoßen? Wie war die Resonanz?
Ich hoffe, wir haben einigen Menschen vor den Kopf gestoßen. Ich fürchte allerdings, dass man mit solcher Musik eher in einer Blase agiert, die sich zumindest selber einredet, das man unglaublich progressiv ist und toxische Männlichkeit auch total doof findet. Der Song ist deswegen auch gegen uns selbst gerichtet und soll die eigenen männlichen Privilegien – gerade auch als weiße männliche Musiker in der Popwelt – reflektieren.
Tatsächlich wurden wir aber auch teilweise von sehr linken Menschen falsch verstanden, die dachten, wir würden mit dem Song Männlichkeit, Weißsein und Heteronormativität abfeiern. Das Gegenteil ist der Fall.
Wie würdet ihr als weiße, männliche Band das Thema Gleichberechtigung in der Musik angehen? Stört euch das starke Ungleichgewicht in eurem Dasein als Musiker?
Wir sind natürlich leider in gewisser Hinsicht Nutznießer dieser Unterdrückung weiblicher Kunst im Pop. Aber wir merken selbst, dass wir immer häufiger gelangweilt von männlicher Kunst sind und wir freuen uns, dass da da so langsam einiges in dem Bereich passiert. Beispielsweise entschließen sich immer mehr Festivals dazu, auf eine 50/50 Verteilung von weiblichen und männlichen Künstler*innen zu achten. Andererseits wird es wahrscheinlich noch Jahrzehnte dauern, bis sowas bei den Mainstream-Festivals wie Rock am Ring ankommt.
Was sind eurer Meinung nach die Gründe für dieses Ungleichgewicht?
Die Popmusik ist natürlich auch nur ein Spiegel der Gesellschaft. Auch wenn die Popmusik und die sich gerne als progressiv begreifende Kulturlandschaft es gerne anders hätte: Die patriarchalen Mechanismen greifen auch hier. Wir haben schon super häufig im Backstage Sätze gehört wie: „Naja, Frauen mögen vielleicht einfach nicht so gerne Schlagzeug- oder Gitarrespielen lernen.“ Und Freundinnen, die im Musikbusiness arbeiten, erzählen auch öfters mal von Meetings, in denen das Potential von weiblichen Künstler*innen nur anhand ihrer „Sexyness“ bewertet wird. Gerade was Rollenbilder angeht, rumpelt die Musikindustrie noch immer durchs Mittelalter.
Ihr habt bewusst in stürmischen Zeiten eine politische Platte veröffentlicht. Gab es Stimmen in eurem Umfeld, die euch davon abgeraten haben? In der deutschen Pop-Szene und auch Indie-Szene ist dies ja eher die Seltenheit…
Wir sind zum Glück so unabhängig, dass uns da niemand reinreden könnte und ich das war auch gar nicht so sehr eine bewusste Entscheidung. Man schreibt einfach Song nach Song und merkt: Ok, die Richtung in die ich gerade Texte schreibe, ist vor allem eine politische. Das kann beim nächsten Album auch wieder anders sein. Wobei man natürlich auch von seinem Umfeld geprägt wird und wir bewegen uns natürlich schon in einem „politisierten Umfeld“.
Funktioniert Pop und Politik?
Funktioniert Pop ohne Politik? Oder ist es dann Schlager?
Ist „Scham“ nicht der Beweis, dass es funktionieren kann? Oder wie ordnet ihr eure Platte genre-technisch selbst ein?
Wir sind tendenziell eher dazu übergegangen unsere Musik als Indie-Rock zu bezeichnen. Nicht, weil wir selber ein Problem mit dem Label „Pop“ haben, sondern weil dann oft erstmal so Deutschpoeten-Pop assoziiert wird. Wenn man sagt „Indie-Rock mit sehr lauten Gitarren“ wissen die meistens dann direkt: „Ach, das ist nichts für mich!“
Wie würdet ihr „Scham“ musikalisch beschreiben?
Wir haben versucht, uns eher an angloamerikanischen Rockproduktionen zu orientieren wie zum Beispiel an der letzten Queens of the Stone Age Platte. Da haben wir uns viel für die Gitarrensounds abgeguckt. Grundsätzlich ist es ja auch so, das deutsche Musik in den meisten Fällen nicht extrem schlecht geschrieben, sondern auch extrem schlecht und visionslos produziert ist.
Wir hatten mit Tilmann Ostendarp von der Schweizer Band Faber zum Glück einen Produzenten, der nichts mit diesem Wohlfühlpop zu tun hat. „So undeutsch wie möglich“ sollte der Sound sein – was bei deutschen Texten natürlich nicht so einfach ist.
Ist die Musik Träger der Texte oder habt ihr hier unabhängig voneinander gedacht? Kam euch jemals der Gedanke einer Konzeptplatte in den Sinn?
Ich denke, wir sind schon eine Band die recht textlastig ist und textfokussiert arbeitet. Aber man merkt im Schreibprozess recht schnell, wenn die Musik hinter einem Songtext abfällt.
Und auch bei „Scham“ war es nicht so, dass es einen einzigen roten Faden für die Texte gab, sodass man hätte sagen können: Das ist jetzt das textliche Konzept der Platte. Ich finde Konzeptplatten grundsätzlich spannend, aber bis jetzt ist uns das noch nicht wirklich in den Sinn gekommen. Wahrscheinlich weil wir schon viel persönliches in die Texte reinpacken und da in so einem eineinhalbjährigem Schreibprozess recht viel durcheinander geht.
Denkt ihr manchmal, dass das Leben als Musiker in Zeiten in denen Menschen in unseren Meeren ertrinken, Trump das Weltbild politisch aufheizt und der Klimawandel Realität ist, vielleicht doch ein zu großes Privileg ist?
Es ist auf jeden Fall ein riesiges Privileg. Durch die Gegend fahren und vor Leuten Musik machen zu dürfen oder im Studio ewig an Songs schrauben – da kann es einen härter treffen. Andererseits sind wir jetzt auch nicht die Künstler, die pausenlos den Arsch gepudert bekommen und jeden Abend in vollen Arenen spielen. Wenn man halbwegs professionell eine Band aufbauen will, ist das erstmal ziemlich viel Arbeit und häufig sehr frustrierend. Aber klar: Musikmachen zu können, ist ein sehr großes Privileg für das wir sehr dankbar sind.
Ein Wort zur AfD?
Blauhelme rein nach Thüringen.
Um dieses Interview doch mit einer positiven Grundstimmung zu beenden: wie geht es weiter bei euch? Auf was freut ihr euch als Band?
Nach unserer Tour zum Album, die ja bald endet, wollen wir eigentlich so schnell wie möglich mit neuen Songs starten. Aber ob unsere nächste Platte dann wirklich wieder nur eineinhalb Jahre nach der letzten kommt, wird man sehen. Nochmal die gleiche Platte machen, kommt nämlich für uns nicht in Frage. Wir wollen neue Sounds ausprobieren und Neufundland in eine neue Richtung denken. Ich verspreche jetzt schon mal: Wenn es bald neue Musik von Neufundland gibt, wird sie wieder ganz anders klingen als Album 1 und 2.
The Postie präsentiert: Neufundland auf „Scham“-Tour:
11.10.19 – Halle, Objekt 5
22.10.19 – Dresden, Ostpol
23.10.19 – Leipzig, Naumanns
24.10.19 – Berlin, Badehaus
25.10.19 – Hamburg, Molotow
26.10.19 – Osnabrück, Kleine Freiheit
29.10.19 – Zürich (CH), Werk 21
30.10.19 – München, Ampere
01.11.19 – Wien (AT), Rhiz
02.11.19 – Passau, Zauberberg
13.11.19 – Wiesbaden, Schlachthof
14.11.19 – Erfurt, Engelsburg
15.11.19 – Göttingen, Nörgelbuff
16.11.19 – Köln, Gebäude 9
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