Interview mit Tobias Siebert (And the Golden Choir)

Für mich war es eher Bilder malen.

Tobias Siebert sieht gedankenverloren aus, als er die nächste Schallplatte auf den Plattenteller legt. Der Gitarrist von Klez.e, Produzent von Me and My Drummer und Mitgründer von Loob Musik steht heute alleine auf der Bühne, unter dem Namen And the Golden Choir. Siebert ist nach dem Release von Another Half Life auf Konzerttour. Mit einer Gitarre, Marimba und Harmonium und eben seinem Plattenspieler füllt er die Bühne wie eine komplette Band aus. Während hinter uns Get Well Soon spielt und von der Fackelbühne Motorama herüberschallen, unterhalten wir uns über Persönlichkeitsspaltungen, And the Golden Choir und seine Aufgabe als Produzent.


Hallo Tobias, vielen Dank, dass du dir die Zeit für ein Interview nimmst. Wie würdest du deine Musik in eigenen Worten beschreiben?

Ähm… Phono-Pop.

Was bedeutet der Name And the Golden Choir?

Zuerst war die Musik da. Dann habe ich überlegt, wie könnte der Name sein, wenn die Musik so ist, wie sie ist. Ich habe viele Stimmen übereinander gesungen in den Aufnahmen, Chor war also wichtig. Diese vielen Chöre, das hatte für mich so ein goldenes Gefühl. Wenn man über Farben nachdenkt, dann war Gold die Farbe, die damit am ehesten in Verbindung kam. Deswegen the Golden Choir. Und mit dem „And“ habe ich mir Sachen offen gelassen für die Zukunft, um was davorzuschreiben. Für das Album hat es ja auch zum ersten Mal einen Punkt getroffen, an dem es heißt Another Half Life and the Golden Choir.

Ich hab mir das Album vorhin nochmal angehört. Was einem da auffällt, ist der Titeltrack, der an erster Stelle steht, nur aus Gesang besteht und kaum eine Minute lang ist. Kannst du uns etwas zu dem Song erzählen?

Den hab ich ganz zum Schluss geschrieben. Ich hatte letztes Jahr, kurz bevor die Platte fertig war, nochmal eine Reise gemacht – also eine wirkliche Reise. Ich habe grundsätzlich eine Reise gemacht, für mich, durch diese alleinigen Aufnahmetage – es gibt ja keine Band, ich habe alles alleine gemacht – und somit hatte ich sehr viel Zeit mit mir verbracht und habe tatsächlich irgendwann erfahren, dass ich mich auf eine Reise in mich begebe. Dann habe ich aber abschließend eine wirkliche Reise gemacht. Ich bin für zwei Wochen nach Frankreich gefahren, mit dem Auto durch die Gegend, und habe für mich festgestellt, wie unwichtig plötzlich der Standort, also der Wohnort oder die Heimat, wird, wenn man 1500 Kilometer von zu Hause weg ist. Dann habe ich darüber nachgedacht, wie viel Zeit man mit der Arbeit verbringt, die man zu tun hat, und wie wenig Zeit man für sich nimmt. Zeit, darüber nachzudenken, was es noch gibt, Zeit, ein Buch zu lesen. Und dann ist dieses Stück entstanden, das dir sagt: „Nimm dir Zeit.“

Es geht eigentlich um eine Liebesbeziehung, in der einer das für sich feststellt und der andere nicht. Der Eine ist ein Workaholic, der viel zu tun hat. Der Andere ist jemand, der merkt: „Ich will mich daraus lösen. Ich hab keinen Bock, ständig mit diesen medialen Sachen unterwegs zu sein. Ich will mich eigentlich mal besinnen und beruhigen.“ Dann gibt es diese Textzeilen: „Wenn du merkst, dass sich in dir etwas bewegt, dann komme ich zurück.“ Also er wird sich wahrscheinlich trennen. Ansonsten schaust du auf deine Bilder, die du all die Jahre gemacht hast, und denkst wahrscheinlich: „Oh, wie viel Zeit hab ich verloren, weil ich einfach zu viel getan habe, was eigentlich gar nicht so wichtig war!“ Die letzte Zeile ist dann: „Dann ist es zu spät.“ Dann kannst du es nicht mehr ändern, „dann ist es vorbei.“

Deine beiden Solo-EPs heißen My Transformation und It’s Not My Life, und jetzt das Album mit dem Titel Another Half Life – steckt da mehr als eine rein musikalische Neuerfindung hinter ?

Klar. Bei Texten denkst du immer darüber nach, „was willst du jetzt sagen? Worum geht’s da?“ Viel passiert auch dann in mir selbst, das ist auch für mich erstmal wichtig. Transformation war dieser Zusammenfall von vielen Musikern, von vielen Bandprojekten, mit denen ich vorher gespielt habe. Eine Transformation, sodass es möglich ist, dass ein Typ alleine auf der Bühne steht und ein Konzert spielt und die Musik trotzdem klingt wie von sechs oder sieben Leuten gespielt. Also diese Transformation eines Ichs in viele Ichs. Die man ja auch in sich hat, man fühlt sich mal so, mal so. Du hast andere Klamotten an und denkst: „Oh, heute fühle ich mich ganz anders.“ All diese Ichs, die man ja dann doch auch in sich hat, die mal aufzudröseln und herauszustellen, das war so ein Punkt [bei Transformation].

It’s Not My Life hat mit dem Text des Liedes zu tun, das die Single von dieser EP war, wo es um zwei Brüder geht. Bei dem einen ging immer alles glatt. Bei dem hat es immer funktioniert, der war in der Schule schon geliebt von den Mädchen und gut im Sport. All diese Dinge, wo man aus der Sicht des Anderen früh schon denkt: „Oh Gott, ich bin so ein Loser.“ So gibt es eine Diskrepanz zwischen den beiden. Der eine denkt, er ist das schwarze Schaf und bringt nichts auf die Reihe und denkt über den anderen „der ist so gut, immer hat der alles, und ich hab nichts.“ Und dann stellt sich am Ende der Geschichte raus, dass es eigentlich gar keinen Bruder gibt: Er fühlt sich mal schlecht und mal erhaben, also ein psychischer Zwiespalt in der Person. Letztendlich ersticht er seinen Bruder, sein Gegenüber und erfährt dann, dass er sich das Messer gerade selbst ins Herz sticht. Die Moral von der Geschicht‘: „Hey, es ist alles gar nicht so schlecht. Natürlich gibt es schlechte Sachen, aber schau auf die guten Sachen, die du auch erfährst, denn die gibt es auch.“

Das klingt ja wie der Plot von Black Swan: Die Ballettänzerin, die den schwarzen und den weißen Schwan gleichzeitig spielen muss, dadurch selbst eine Persönlichkeitsspaltung erfährt und sich am Ende umbringt. Hat sich bei dir inzwischen auch ein Zwiespalt entwickelt?

Ich glaube, wir kennen das alle, dass wir uns mal so, mal so fühlen. Es kann mir auch keiner erzählen, dass er jeden Tag selbstbewusst ist und immer alles hinhaut. Aus diesen kleinen Momenten, in denen ich mich in Frage stelle, entstehen dann solche Texte. Ich würde das nicht als gefährlich beurteilen.

Natalie Portman in Black Swan // Screenshot by themoviebanter.com.
Natalie Portman in Black Swan // Screenshot by themoviebanter.com.

Du hast Alben von Me and My Drummer, Phillip Boa und Slut produziert und bist mit deiner Band Klez.e recht aktiv gewesen. Die Musik auf deinem Solo-Debüt entfaltet sich im Vergleich dazu eher langsam. War Another Half Life eine Gegenreaktion auf Klez.e und deine Arbeit als Produzent, nach dem Motto „Ne, ich mach jetzt mal was ganz anderes“?

Das hat sicher damit zu tun, aber es ist eigentlich Musik, die ich schon immer mal für mich alleine machen wollte. So habe ich vor fünf Jahren mit dem Projekt angefangen. Sicher spielt das eine Rolle, dass sich das irgendwie davon abtrennt, was ich sonst so mache. Aber für mich ist das eine ganz normale Form Musik. Ich würde auch nicht sagen, dass es produzierte Musik, sondern eher so, da kommt ein Teil und dann noch ein Teil und noch eins. Da würde jeder Produzent, der auf Verkauf drängt, sagen: „Mach mal nicht so viele Teile. Mach das mal alles ein bisschen einfacher, so dass die Leute das verstehen.“ Genau darauf hatte ich keine Lust. Für mich war es eher Bilder malen, hier noch ein bisschen Grün, da noch ein bisschen Gelb und vielleicht noch einen roten Strich durch. Aber das ist meine Art, Musik zu machen. Wenn ich als Produzent mit den Bands arbeite, dann habe ich das natürlich auch in mir, aber gehe auch auf die Bands ein, was die für Lieder geschrieben haben. Dann wird das natürlich nicht kaputt gemacht.

Braucht man als Produzent andere skill sets oder haben Produzieren und Komponieren einen gemeinsamen Nenner?

Ich glaube, dass das schon sehr nah beieinander liegt. Das hat sehr viel mit Geschmack zu tun beim Schreiben. Wie entscheide ich mich, welche Harmonien zu bilden, um daraus ein Lied zu machen? Beim Produzieren ist es das Gleiche: Was kommt von der Band, was bringen die mit, und an welcher Stelle sage ich „Wollen wir nicht nochmal drüber nachdenken, da was anderes zu machen?“ Weil es sich in meinem Geschmack verlebt. Ich muss dann meinen Geschmack in dem Fall als Nullpunkt nehmen. Das weiß auch die Band, deshalb kommt sie auch zu mir. Ich bin auch noch nicht ganz dahinter gekommen, wie das funktioniert, ich bin da ein bisschen reingerutscht. Aber dann liegt das schon nah beieinander. Dann überträgt sich das in die Musik und man stresst sich vielleicht ein bisschen.

Die Band wird auch gepikst, dann sagst du: „Das finde ich jetzt nicht gut.“ Dann sagen die: „Wir finden das aber super.“ Dann können die mich entweder überzeugen, oder einer sagt: „Ja, ich verstehe das. Lass uns nochmal verwerfen und an der Stelle nochmal ansetzen.“ Und wenn man dann etwas Neues erfährt, wo alle sagen, darauf wären wir zusammen als Band nicht gekommen, sondern das passiert, weil wir hier in der neuen Konstellation sind – dann ist alles erreicht, worum es eigentlich geht. Es gibt immer Stellen, wo eine Band nicht weiter weiß. Das ist mir bei meiner Platte auch passiert, wo ich mir dann auch jemanden gewünscht hätte, der mir einen Tipp gibt. Dafür ist eigentlich der Produzent zuständig, der von außen betrachtet mit frischen Ohren die Sachen hört.

Du spielst live selbst Gitarre, Marimba und Harmonium und trittst in Begleitung eines Plattenspielers auf. Warum nicht mit Band?

Weil ich das alleine aufgenommen und dann überlegt habe, dass ich diese Reise, von der ich vorhin sprach, gerne weiterführen will, indem ich alleine unterwegs bin. Und eigentlich auch konsequent zeige, dass ich das alleine gemacht habe. Die Vervielfältigung von mir geht halt nur über die Rille. Ob es das irgendwann mit Band gibt, will ich nicht ausschließen, aber vorerst ist das das Konzept.

Was kannst du uns zu deinen Hörgewohnheiten erzählen ?

Das ist total breit gefächert. Ich höre total viel Jazz und Klassik, aber auch alles andere. Eine Top Five vielleicht: Ich würde wahrscheinlich immer die 12 von the Notwist dazuzählen, eine ziemlich schraddelig laute Gitarrenplatte von ’93; ich würde immer Let England Shake von PJ Harvey dazuzählen, obwohl die noch gar nicht so alt ist; ich bin ein großer Fan von Antony & the Johnsons und Jeff Buckley. [überlegt lange] Ach natürlich, meine absolute Lieblingsband hätte ich jetzt fast vergessen! The Cure natürlich! Denen habe ich so viel zu verdanken, die liebe ich schon seit Jahren. Das wird nie aufhören, diese Liebe. Dead Can Dance könnte man noch nennen, eine Band, die auch mit sehr vielen Instrumenten arbeitet, die jetzt nicht so sehr im Pop vorkommen. Mittelalterliche Instrumente, alte Saiteninstrumente. Daher habe ich glaube ich diese Lust am Sammeln von komischen Instrumenten.

The Cures Robert Smith // © Nancy J Price.
The Cures Robert Smith // © Nancy J Price.

Auch Gospel? Das wird dir in Pressetexten ja immer angedichtet.

Gar nicht soviel. Ich mag alte Bluesplatten aus den ’30er, ’40er Jahren total gern. Die sind aber meistens eher roh, da wird nur Gitarre gespielt und vielleicht hört man mal eine Geige, ansonsten wird gesungen. Aber das mit dem Gospel ist natürlich durch die Chor-Geschichte ganz klar. Ich bin auch nicht so religiös. Ich würde mich schon als sehr spirituellen Menschen bezeichnen, aber ich bin kein Anhänger der bekannten Religionen. Das finde ich eher sehr zweifelhaft.

Wie geht es jetzt weiter? Das zweite Album von And the Golden Choir oder doch lieber Tobias Siebert, der Produzent?

Wir werden wieder mit Klez.e was machen, der Band, die ich auch habe. Ich bin aber jetzt auch schon dabei, neue Stücke zu schreiben für die nächste ATGC-Platte. Wir versuchen gerade, das Ausland zu bespielen, übermorgen spiele ich in Liverpool – das erste Mal England. Es ist noch viel zu tun, mit dieser ersten Platte. Aber ich glaube, es wird jetzt nicht wieder fünf Jahre dauern, bis die nächste Platte fertig ist. Ich tippe auf ein Jahr, so hätte ich das gerne. Ansonsten würde ich total gerne mal Film- oder Theatermusik machen. Ich strecke gerade ein bisschen meine Fühler aus, wo da vielleicht was passieren könnte. Wenn jemand eine Idee hat, soll er sich gerne melden bei mir.

Vielen Dank für das Interview, eine letzte Frage habe ich noch: Was ist für dich ein perfekter Freitagabend?

Früher als Kind war Freitag schon mein Lieblingstag. Freitags lief Hallo Spencer, so ’ne Knetfigurenshow in den Achtzigern. Ich hab mich immer total auf Hallo Spencer gefreut, das war total lustig und besonders. Sesamstraße und die Sendung mit der Maus haben total abgestunken dagegen. Und natürlich: Schule ist aus, Wochenende. Ein perfekter Freitagabend für mich ist nichts machen müssen, was man nicht machen will. Füße hochlegen, eine gute Platte auflegen, einen guten Wein aufmachen und was kochen. Selber kochen, denn man kocht viel zu selten.

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„Dead End Street“:


Fichon

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