„EÖE“ heißt das in diesem Jahr erschienene Debütalbum der Band Erregung Öffentlicher Erregung. Anja Kasten, Laurens Bauer und Michael Hager ergeben mit Michael Schmid und Philipp Tögel die Formation mit dem wundervoll assoziativen Namen. Für ein Interview nahmen sich Philipp und Michi Schmid die Zeit mit ihrer Verbindung zum NDW aufzuräumen und über ihre Liebe aus Jugendzeiten für Ton Steine Scherben zu sprechen.
Die Band arbeitet in DIY-Manier. Michi, und auch Laurenz aus der Band, arbeiten als Graphikdesigner, und so ist Michi für die Gestaltung der Tour-Poster verantwortlich. Aber nicht nur die macht die Band selbst, sondern auch die meisten ihrer Videos. Nur für „Vermessen“ und „Bei mir zu Hause“ haben sie Rosanna Graf das Zepter überlassen.
Zu der Single „Bei mir zu Hause“ von eurem neuen Album „EÖE“ ist ein Video entstanden in Anlehnung an die Frauenforscherin Donna Haraway, die auch im Bereich Cyborgs forscht. Wie kam es zu der Idee?
Philipp: Die Idee auf Donna Haraway zurückzugreifen, kam aus Laurenz und Rosis Richtung. Donna Haraways Cyborg-Themen drehen sich darum wer man ist, welche Identität man hat und das passt zu der Art wie wir Musik machen. Es ist alles live, darf auch mal krumm oder seltsam sein. Aber fast alles nimmt seinen Ursprung aus dem Sequenzer am Computer geklickten Skizzen und Ideen. Da entsteht ein Spannungsfeld, was gut passt: bin ich Mensch oder Maschine?
Michi: Das Cyborg-Manifest war auch etwas, womit sich Anja beschäftigt hat, als sie den Text schrieb. Sie hatte auch ein Lied mit dem Namen „Cyborg Liebe“, aber das haben wir verworfen und daraus wurde dann ein anderes Lied. Aus solchen theoretischen Überlegungen entstehen bei Anja häufiger Texte.
Bei eurem Lied „Kacke in der Jacke“ von eurem Album geht es auch um eine Auseinandersetzung mit der eigenen Wahrnehmung und den Anforderungen von gesellschaftlichen Schönheitsstandards.
Philipp: Die Jacke ist Erzeugungsort, das Versprechen „Kleider machen Leute“, und wenn du die richtige Jacke hast, kannst du dich auch fühlen, wie du dich fühlen magst, aber die Rechnung geht dann doch nicht auf. Da ist so eine „Alienation“ darin. Das ist ein Move, den Anja öfter macht. Sie nimmt etwas, das nahe liegt und sie hat so eine Art es zu betrachten, dass ein neuer Aspekt dabei rausspringt bzw. etwas freigelegt wird.
Eure erste EP heißt „TNG“ als Anspielung auf „The Next Generation“ von Star Trek. Ist das ein wiederkehrendes Thema bei euch – Science Fiction?
Michi: SciFi und Fantasy sind bei uns immer mal wieder Thema, bei dem/der einen mehr bei dem/der anderen weniger, aber wir sind schon alle Trekkies. Das kommt von der Leichtigkeit, die wir haben, dass wir alles verwursten, was wir cool finden und keine Angst davor haben wie es ankommt. Ein Arbeitstitel bei uns war mal „Das Pferd von Gandalf, der Fürst aller Rösser“. Ich finde so ein bisschen Fantasy bei Gitarrenmusik immer ok.
In Anspielung auf euren Namen: Was wollt ihr erregen?
Michi: Unser Bandname war weniger konzeptionell gedacht, eher wie man mit Sprache umgeht. Also eine Leichtigkeit in der Sprache zu finden und Sachen umzudeuten. Wir kannten dieses Udo Lindenberg Lied nicht, in dem es vorkommt. Ich hatte schon länger mit dem Namen gespielt, und als wir unseren ersten Auftritt hatten, hab ich das einfach so bestimmt, dass wir so heißen.
Gerade das ist ja ein wichtiger Aspekt in eurer Musik: Das Spiel mit Sprache.
Michi: Es geht um eine direkte Ansprache. Nicht wie man schreibt, sondern wie man mit jemandem spricht. Es geht darum, Interpretationsspielraum offen zu lassen. Das ist eigentlich das Wichtigste. Auch bei Texten, die soziologisch oder politisch sind, die nicht so raus zu predigen, sondern eher was rein zu werten, wo jemand dann was reininterpretieren kann. Wahnsinnig viel müssen wir mit Anja bei den Texten gar nicht rumdiskutieren (lacht). Ich finde es schön, wenn ein Lied entsteht, das unterschiedliche Leute unterschiedlich wahrnehmen können und es zu einer Diskussion führt „wie verstehst Du das?“.
Philipp: Ich glaube, das ist etwas, dass Anja in ihrer Ausbildung als freie Künstlerin gelernt hat. Wenn du so Agitationsmusik wie die Scherben machst, hast du eine andere Agenda, aber wenn es darum geht Theorie zu erzeugen, ist ein Buch besser geeignet. Was kannst du machen in so einem künstlerischen Setup mit den Sachen, die nicht besser funktionieren als ein Buch? Diese Ungenauigkeit, wo Interpretationsspielraum bleibt, ist Ziel der Sache. Dass es als Witz funktionieren kann, bei dem man aber auch merkt, dass eine Haltung dadrin steckt. Es ist aber notwendig, dass jemand anders den Gedanken vervollständigt und er dann anders funktionieren kann. Bei uns ist alles wie Star Trek, Fantasy, Humor, Lebensalltag, das man in einen Topf werfen kann, aufkochen und schauen wie die Suppe schmeckt, weil alles dadrin vorkommt. Das kann man nur in so einer Undeutlichkeit zusammenbringen. Das ist das Projekt.
Gerade ist von euch ein Cover auf der Kompilation „Wir müssen hier raus“ von Ton Steine Scherbens „Jenseits von Eden“ erschienen. Wieso dieser Scherben-Song?
Philipp: Die Erinnerungen gehen bei mir weit zurück. Meine ersten Erfahrungen mit den Scherben waren CDs in Jugendzimmern, in denen wir mit bunten Farben die Wände angemalt haben. So ganz früh „Krass, so kann Musik sein“, der hat so eine Wut dadrin. Wir haben abwechselnd Scherben und Slime gehört.
Michi: Explizit dieser Song schwirrte schon länger bei uns als Band rum. Ich bin ganz riesengroßer Scherben-Fan und hing auch in den gleichen vollbemalten Zimmern rum, aber bei mir ist das stärker geblieben als bei Philipp.
Philipp: Jau.
Michi: Ich kannte den Song zuerst von einer ganz alten Kompilation als Coversong von Terrorgruppe und daraufhin hab ich mir dann die schwarze Platte gekauft und gemerkt, dass die Scherben ja noch andere Sachen machen. Mit Michi Hager war ich dann zufällig vor einigen Jahren auf einem Scherben-Tribute-Abend und da lief ne Live-Aufnahme von nem Konzert der Scherben mit dem Song „Jenseits von Eden“ und da fiel die Entscheidung, dass wir sowas auch mal machen wollen. Als die Anfrage kam für die Kompilation hab ich die Agenda gepusht den Song aufzunehmen. Wir wollten aber Anja entscheiden lassen, ob sie das Lied singen will, weil authentischer Gesang bei nem Scherben-Song wichtig ist.
Philipp: Ich glaub, Anja hat sich noch keinen Text und Gesang so erarbeiten müssen.
Michi: In dem Prozess haben wir dann herausgefunden, dass es nicht nur musikalisch am Besten zu uns passt, sondern auch einfach von der Art wie wir als Band arbeiten: Assoziationen raus zuballern und zu schauen, ob es passt. Produktionstechnisch haben wir es in Friesenhagen ähnlich wie das vierte Album mit einem Tarot-Ritual begangen.
Tarot-Ritual?
Michi: Das ist wahnsinnig gut (ganz aufgeregt). Das haben die Scherben selbst nicht verraten, damit die Magie nicht flöten geht. (Philipp schmunzelt). Da wurde anfangs ein Ritual gemacht, wahrscheinlich mit Kerzen an, einer hat ne Tarotkarte gelegt und die Karte sollte dann der Song werden. Der, der die Karte gesucht hat, war dann „Chef“ von dem Lied, hat getextet und den Musikern gesagt wie sie es machen sollen.
Unkonventionell!
Philipp: Eine klare Ansage!
Michi: Nach ner Zeit merkt man es der Platte auch an. Daher ist das Cover unserer EP auch das Rad des Schicksals. Ich find Mystizismus und okkulte Sachen schon interessant, auch rein visuell.
Philipp: Die Fantasybildwelt, die dich nicht loslässt.
Michi: Genau.
Eure Musik ist sehr im Krautrock und NDW zu verordnen. Musik, die für die 70er und 80er steht. Was bedeutet diese Zeit für euch?
Philipp: Für mich ist das eine Zeit, die ich zuerst immer heftig abgelehnt habe. Irgendwann sind bei mir die Lichter angegangen, was in der Zeit alles entwickelt wurde. So jugendromantische Vorstellungen hatte ich da nie. Eher als Ablehnungskontrast. Musikalisch ist in der Band ganz viel Rockreferenz, die immer gar nicht so gesehen wird, weil wir vom Klang so einen starken Bezug zu den NDW-Sachen haben. Das wird davon überdeckt, dass viel mehr Punk und Classic Rock Kram bei uns rumschwirrt.
Michi: Wir sind zum Beispiel sehr von The Monks beeinflusst, einer Band aus G.I.s., die sich als Anti-Beatles inszeniert haben. Zum Beispiel statt Topfschnitt, haben sie sich einen Mönchsschnitt rasiert. Die haben vieles gemacht, was wir auch gut finden. Noten weglassen, härter werden.
Philipp: Erst seit wir so stark mit NDW in Verbindung gebracht werden, beschäftige ich mich damit. Wie wir unsere Musik machen, ist vielleicht die eheste Referenz dahin. Für mich einen zwei Schläge langen Loop, der aus zwei Noten besteht, sechs Minuten lang zu spielen und zu entdecken, dass das Spaß machen kann. Aber wir wollten das nie von der Musik, weil das zu viel gewollt wäre.
Wir ersetzen NDW durch die Monks?
Philipp: Unbedingt. Michi hat sich auch mit der Krautrock-Geschichte viel beschäftigt. Im Zuge seiner Abschlussarbeit an der Uni hat er sich eine fiktive Band ausgedacht.
Wie eine Mockumentary?
Philipp: Ja, eine Graphikdesign-Mockumentary.
Michi: Die Idee war eine Supergroup mit vier Charakteren. Dafür habe ich vier Biographien gebaut und da war viel dabei, was jetzt bei Erregung auch dabei ist. Da war ein Krautrocker, elektronische Musik, englisch-deutsche Punkband und Glamrock. Was ich sagen muss, ist dieses NDW-Ding war nie unser Hauptaugenmerk. Englischer Wave ja, aber dieser Vergleich kommt immer, weil Anja stimmlich oft mit Annette Humpe in Verbindung gebracht wird. Es gibt vieles am NDW, was ich wahnsinnig ätzend finde und was uns auch überhaupt nicht steht. Und zwar, dass diese Personen sich immer so wahnsinnig geil finden und im Mittelpunkt stehen. Das ist etwas, was wir total ablehnen. Die Erregung Öffentlicher Erregung ist die Verneinung des menschlichen Genius. Wir glauben nicht, dass Gott oder jemand dir die Genialität ins Gehirn geschissen hat. Das ist etwas in der 80er Jahre Szene, was mich total anätzt. Die haben gesagt: „Ich bin so geil! Schaut mich an! Die Kunst ist, dass ich so geil bin“ und das ist etwas, von dem wir wahnsinnig großen Abstand nehmen. Wir fühlen uns definitiv eher dem Punk verbunden. Knapp und scharf, nicht schnadderig. Wir ziehen die Mitten raus.
Philipp: Nicht rumdaddeln.
Michi: Wenn Michi Hager ein Solo spielt, dann ist das so geschrieben, weil die Noten gut sind und nicht, weil er virtuos…
…sein Solo braucht?
Michi: Genau.
Philipp: Dazu müssen wir ihn sogar eher überreden.
Michi: Wir jammen, um ein Lied zu finden und nicht, um zu sehen wie geil wir sind.
Apropos Ego-Gewichse. Wie ist eure Meinung zu Social Media? Glaubt ihr, Rio Reiser hätte sich einen Instagram-Account zugelegt?
Philipp: Der hätte natürlich einen gehabt! Rio hat Musik gemacht für Propaganda.
Michi: Es ist nicht unser Steckenpferd, wir machen das wie alles amateurhaft-professionell. Ein bisschen Spaß macht es uns auch, aber wir sind da auch schon etwas zu alt für.
Philipp: Zum Thema Personenkult in der Musik, was wir schon besprochen haben, wurde es relevant, je mehr Publikum wir bekommen haben. Als mit einer Wucht die Anfragen nach Bildern stiegen, hatten wir erst keine und wollten auch keine. Wir hatten Collagen und sind ein wenig dilettantisch an diese Hochglanzbilder rangegangen mit der Frage „Muss ich jetzt gut aussehen, um diese Musik machen zu können oder was soll das?“. Das mussten wir besprechen, mittlerweile haben wir uns dran gewöhnt und es ist ja auch am Ende ein Kanal, auf dem man sichtbar ist und in Kontakt treten kann, was nicht schlimm ist.
Wie ist eure Beziehung zu H.P. Baxxter? Ich spiele auf seine Rolle als Juror bei „Krach & Getöse“ an, wo er sich für euch als Band stark machte.
Michi: Also wir haben den einmal getroffen, da war er ganz nett, aber reserviert. Er wollte mein Baby nicht für ein Foto halten (Philipp lacht). Mehr war da nicht. Er begleitet uns wegen dieser Aussage immer mal wieder, aber von uns findet nicht mal im Vollsuff irgendwer Scooter gut.
Philipp: In unserem Universum spielt er eigentlich keine Rolle.
Das ist das Interview der Richtigstellungen.
Michi: Ja, ist ja auch richtig so.
Wie vernetzt seid ihr denn mit anderen Bands?
Michi: Wir haben die Musik ganz lange nur für uns gemacht. Es war eher ein Kunstprojekt für uns, ganz ab von der Szene. Wir hatten den Proberaum in der Roten Flora und da hieß es dann es gibt ein Soli-Konzert und da haben wir dann mal einen Auftritt gespielt. Das ist, denke ich, unsere Qualität, dass wir das nur für uns machen. Alle Aufmerksamkeit ist wahnsinnig schön und toll und freut uns, aber wir haben nie etwas davon erwartet. Josh Homme hat mal gesagt: „If you expect anything from music you expect too much“.
Wie trifft euch denn gerade Corona, wo ihr als Band ja auch nicht live spielen könnt?
Michi: Live spielen ist schon schön, aber für die Platte haben wir ein Jahr lang nicht live gespielt, um sie fertig zu bekommen. Und zusätzlich haben wir diese Fernbeziehung Hamburg-Berlin mit einem fünfköpfigen Bandgefüge und vier Kindern, die dadrin rumspringen und Broterwerb. Wir müssen eh auf unsere Ressourcen achten.
Philipp: Ich muss aber schon sagen, dass die ganzen Absagen sehr geschmerzt haben, weil das Musikmachen zusammen ein wahnsinnig schöner Ausnahmezustand ist. Es war schon scheiße, aber es hilft uns auch kreativer zu werden.
Michi: Wir arbeiten daran an beiden Standorten noch professioneller arbeiten zu können.