Vier Tage Reeperbahn Festival: das sind vier Tage Konzerte, Begegnungen und Eindrücke und die wollen verarbeitet werden. Viel war es – schön war es! Unser Wunsch vom letzten Jahr hat sich erfüllt, und das eng an eng in der ersten Reihe war wieder möglich. Ein paar unserer Eindrücke, die wir vom Spielbudenplatz übers Festival Village bis zum Molotow gesammelt haben, haben wir zusammengefasst.
Im Vergleich zum Vorjahr schien die Stimmung beim Reeperbahn Festival in diesem Jahr entspannter zu sein. Die Situationen vor, während und nach den Konzerten war entspannt und ausgelassen. Vor allem aber gab es wieder viele Künstler:innen zu entdecken aber auch große Wiedersehen, die nicht nur für Gänsehaut sondern auch gesperrte Straßen gesorgt haben.
Der erste Tag wurde direkt durch ein Highlight eingeleitet, das weit über das Festival hinaus ging. Kraftklub hatten es sich zu Aufgabe gemacht, ein spontanes Konzert zu spielen. Natürlich nirgendwo anders als auf der Reeperbahn. Das hieß im Umkehrschluss: Die ganze Straße musste mal eben gesperrt werden, um die Massen von Fans vor der Bühne unterzubringen. Diese wurde kurz vorher auf Rollen aus einer Seitenstraße raus an seinen Platz gefahren. Kraftklub holten sich zusätzlich auch noch Casper und Bill Kaulitz mit auf die Bühne. Auf jeden Fall gleich ein großer Knall zum Anfang vom Reeperbahn Festival.
Donnerstagabend zog es viele in den Bunker ins Uebel & Gefährlich zum Konzert von Paula Hartmann. Gerade hat sie ihren Track „Babyblau“ veröffentlicht. Und auch mit ihren restlichen Songs beweist Paula ihren Hang zu Liedern über Trennungsschmerz und Erwachsenwerden. Der Club war gut gefüllt und das Publikum definitiv textsicher, die ersten Reihen dabei teilweise lauter als Paula Hartmann auf der Bühne. Die junge Künstlerin gehört definitiv zu den wichtigsten Artists der Stunde.
Gleich zweimal gehen wir zu Gigs einer Band, die unserer bescheidenen Meinung nach einer der spannendsten und aufstrebendsten im Post-Punk ist: HighSchool. Die Australier sind in London ansässig geworden. Kein Wunder, ist in UK auch das legendäre Speedy Wunderground-Label beheimatet, das – wie auf so viele andere Bands des Genres – auch auf HighSchool aufmerksam geworden ist. So sehen wir die Band sowohl im Molotow Backyard, als auch im Resonanzraum für eine TV-Produktion: Zwei ausgelassene und tanzbare Konzerte zwischen Post-Punk und Goth-Pop. Große Empfehlung!
Samstagabend. Ein Konzert, das berührt, aber nicht aufgrund sentimentaler Inhalte, sondern seiner Lautstärke und vor allem wegen der gewinnenden Freundlichkeit der Band. Als Heave Blood & Die auf die Bühne kommen, begrüßt Marie Sofie Mikkelsen lautstark mit Bier im ausgestrecktem Arm das Publikum und es dauert nur einen Augenblick bis die Band mit ihrem Sound das gesamte Indra einnimmt. Immer wieder wird Mikkelsen dem Publikum zuprosten und sich für sein Kommen bedanken. Knapp eine Stunde spielen die fünf Norweger und präsentieren Songs wie „Harakiri“ von ihrem 2018 erschienenen Album „Volume II“, das Heave Blood & Die als hypnotisch-einnehmende mit Raffinesse und Probierfreude ausgestattete junge Metalband kennzeichnet. Den krönenden Abschluss des Auftritts leitet Eivind André Imingen am Bass ein, als er nach Kicks auf der Bühne diese verlässt, um sein Spiel im Publikum fortzusetzen. Mittlerweile vollkommen verschwitzt wie der Rest der Band sind alle, einschließlich das Publikum, vom Sound eingenommen. Wie schade, als es vorbei ist – es hätte ewig weitergehen können.
Nach dem Auftritt beim Haldern Pop Festival war die Vorfreude auf ein erneutes Konzerterlebnis mit der Irin Sinead O’Brien groß. Sehr groß sogar. Und sie wurde nicht enttäuscht! Die filigrane Person, die im Molotow Club auftritt, drückt sich durch abgehakte Bewegungen und Sprechgesang aus, voll Alltagspoesie zum harten Klang der E-Gitarre. Zu den wechselnden Bühnenoutfits der ehemaligen Modedesignerin gehören fest die schwarzen kniehohen Lederstiefel, ihre Bandkollegen tragen Sonnenbrille und Pullunder auf der Bühne. Das Spiel mit den Kontrasten macht die Künstlerin so spannend. Sie wirkt konzentriert, kontrolliert und dabei gleichzeitig leichtfüssig. Wenn sie sich ruckartig von der einen Seite der Bühne zur anderen bewegt, mag man seine Augen nicht von ihr lösen in der Angst etwas zu verpassen, so dicht ist ihre Sprache, so eindringlich ihr Blick. Sinead O’Brien bringt frischen Wind in die Rockmusik-Landschaft.
Unser Festival endet mit einer Premiere. Das Electronic-Duo Real Lies aus dem Norden Londons spielt seinen allerersten Gig in Deutschland – und zwar in der Nachtwache um kurz vor Mitternacht: Sphärischer Afterhour-Schwebezustand trifft auf ausgelassenen, ekstatischen Rave und melancholische Poesie. Das Publikum lässt sich davon mitreißen und alles, was uns nach diesem Konzert im Kopf rumgeistert ist folgender, kurzer Satz: „Bliss to be alive!“
Unsere Empfehlungen zum Reeperbahn Festival könnt ihr hier nochmal nachlesen.