France With Benefits #7

„I feel like a helium balloon“: Drei Bands made in Paris, die fröhlich stimmen

Wenn es um Kultur geht, wird Paris seinem Status als Hauptstadt Frankreichs mehr als gerecht. Wie in so vielen Bereichen führen alle Wege früher oder später nach Paris. Mit unzähligen Clubs und Konzertsälen, kleinen wie großen, kann man hier jeden Abend vor die Tür gehen und irgendwo gute Musik erleben. Zwar gibt es eine große Zahl an zugezogenen Musikern – allein von denen, die wir euch bisher vorgestellt haben, stammen Requin Chagrin, AquasergeAriel Ariel, Sahara und Beastie Vee, Disco Anti Napoléon und Forever Pavot aus der französischen Provinz. Aber auch die Bands, die in Paris gegründet wurden und werden, verdienen unsere Aufmerksamkeit. Aus diesem Grund im Folgenden ein Paris Special mit Caandides, dem Newcomer Oko Ebombo und den alteingesessenen Frustration.


Caandides

Es rauscht und pulsiert, Blipps und Andeutungen von Stimmen schaffen den Eindruck, man bewege sich durch Datenströme auf ein unbestimmtes Ziel zu. Eine Gitarre schwirrt durch den musikalischen Cyberspace und plötzlich ist man drin.

Wo drin? Im Klanguniversum von Caandides, einer jungen Pariser Band, die im Februar mit 20° 30′ S 29° 20′ W ihr Debütalbum veröffentlicht hat. „Crossfade“, das geräuschvolle Instrumentalstück, das das Album einleitet, geht nämlich nahtlos in „Winter VI“ über. Entgegen seinem Namen verbreitet jener Song durch den klaren Gesang und einen Beat, den man nur als Chillwave bezeichnen kann, sofort tropische Stimmung. Washed Outs Paracosm und die Madchester Hommage von Jagwar Ma springen als Referenzpunkte hervor.

„Winter VI“ ist einer von mehreren Songs auf 20° 30′ S 29° 20′ W, die Väterchen Frost im Titel tragen. Auf einer vorher veröffentlichten Single finden sich zwei weitere, „Winter IX“ und „Winter VII“. Als Kontrast versteckt sich im Albumtitel die Insel Trindade im Atlantik, 1200 Kilometer östlich vom brasilianischen Vitória. Das passt, was das (Gefühls-)Klima angeht, deutlich besser zur Musik von Caandides.

Den größten Einfluss auf die fünf Franzosen, das kann man anhand von Songs wie „Winter XIII„, „Zero“ und „Before the Art“ mit ziemlicher Sicherheit sagen, hatte Merriweather Post Pavilion. Wie Animal Collective 2009 stehen Caandides im Jahr 2016 mit beiden Beinen fest im Kabelgewirr. „Untitled“ zum Beispiel ging von einer MIDI-Skizze aus und wurde nach und nach durch echte Instrumenten ersetzt. Das digitale Verstellen der Stimmen und die Soundeffekte, die wie Insekten durch die Songs fliegen und Chaos erzeugen, kontrastieren mit dem hellen, nicht selten an Airick Woodhead aka Doldrums erinnernden Gesang von Théo Schittuli.

Nicht alle Elemente der flippigen Kompositionen sind indes Computererzeugnisse. Die Akzente, die Schittuli und Dylan Collins mit ihren Gitarren setzen und auf den frühen Songs noch verstärkt den Folk Einfluss bezeugen, sind wichtig für das Gleichgewicht organisch–digital. Live überwiegen ebenfalls die Instrumente, wie ihr im Video unten sehen könnt.

Auch wenn man Caandides ihre Vorbilder anhört, steht die Band, die 2011 von Collins, Schittuli und Jules Négrier gegründet wurde, keinesfalls in deren Schatten. Neben dem auf dem französischen Label Cracki Records erschienenen 20° 30′ S 29° 20′ W und seiner Remix EP 70° 30′ N 151° 40′ E haben die fünf digital natives 2012 eine EP Before the Art veröffentlicht. Ein weiteres Album hätte 2013 folgen sollen, doch die im Taxi verlorene Festplatte mit den fast fertigen Songs ist nie wieder aufgetaucht. Stattdessen gab es im August desselben Jahres unter demselben Titel, Half-A-Beat Vol. 2, „die Spur eines Albums das hätte sein können und nie sein wird“.

Half-A-Beat Vol. 2 und Before the Art könnt ihr euch auf Bandcamp anhören, 20° 30′ S und 70° 30′ N findet ihr auf Spotify. Facebook und Soundcloud haben sie auch, im Oktober geben sie außerdem vier Konzerte in Paris und Troyes.



Oko Ebombo

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Im 10. Arrondissement von Paris gibt es außer den Bahnhöfen Gare du Nord und Gare de l’Est nicht viel Interessantes, vor allem nicht, was Kultur angeht. Ein paar Theater und die Médiathèque Françoise Sagan und da hört es schon auf. Und Oko Ebombo, einen Performer, Tänzer, Poeten, Model und neuerdings Musiker. Im 10. aufgewachsen und inzwischen in Portland und Paris zuhause, hat der Tausendsassa gerade seine erste EP Naked Life vorgestellt.

Auf Naked Life sind neben Ebombo die Musiker des Kollektiv 19 zu hören, die schon seit 2009 ihren von R&B, Soul und Funk inspirierten Electrojazz zur Basis von Ebombos Gesang machen. Die fünf Songs der EP bewegen sich ebenfalls in diesem Milieu, gespickt mit viel Pathos und einer gewissen Dringlichkeit in „Niggality“. Der Titeltrack nutzt etwas mehr als der Rest die schillernden Synthesizer und erzeugt die inzwischen allgegenwärtige vernebelte Stimmung von sinnlichem Slow Funk.

Mit „Black Bowie“ erweist der Künstler dem ebenfalls sehr facettenreichen Starman seine Ehre. „You want to see the stars / no matter who they are,“ singt er, während der dunkle Bassbeat einer Akustikgitarre weicht, die direkt aus „Space Oddity“ zu kommen scheint. Den Titel und das Saxofonsolo, mit dem „Black Bowie“ ausklingt, kann man ebenfalls als Referenz an dessen letztes Album verstehen.

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Die Naked Life EP kann bei LesInrocks gestreamt und auf Bandcamp käuflich erworben werden. Die Facebook-Seite von Oko Ebombo und 19 findet ihr hier.



Frustration

Wie Caandides und Oko Ebombo stammen Frustration aus Paris, doch wie ihr Name schon andeutet ist ihre Musik deutlich rauer. Schepperndes Schlagzeug, dröhnende Synths, die vorrangig als Rhythmusinstrumente dienen, wütende Gitarren. Fabrice Gilbert singt wie einst Ian Curtis voller Drangsal und industriellem Schwermut, nur heißblütiger. Logisch, dass sie zuletzt mit den Sleaford Mods auf Tour waren und mit Cheveu ein Konzert in einem Gefängnis gegeben haben.

Vor zehn Jahren waren sie die erste Band, die auf dem Label Born Bad ein Album veröffentlichen durfte. Seitdem ist Born Bad zu einer Institution geworden, besonders wenn es um Punk Rock, Post-Punk, Coldwave und sonstige kratzige Musik aus dem Hexagon angeht. Aber auch psychedelische Musik findet man dort, Forever Pavot zum Beispiel oder La Femme, die gerade ihr zweites Album Mystère auf dem Label veröffentlicht haben.

Das Quintett um Gilbert ist mitgewachsen und inzwischen beim dritten Langspieler angekommen. Von unzähligen EPs und Singles mal abgesehen, die sie seit ihrer Gründung 2002 veröffentlicht haben. Den ersten Ausschnitt aus Empire of Shame könnt ihr euch oben anhören, unter dem Titel „Cause You Ran Away“ drehen Frustration ab in Richtung, naja, nennen wir es Disco. Wobei vom Glanz der 70er kaum was zu hören ist, sondern eher die geballte Desillusion ein Jahrzehnt später.

Frustration findet ihr auf Spotify, Facebook und Bandcamp. Am 30. September spielt die Band im Triptychon in Münster. Die doppelte Releaseparty für Empire of Shame findet am 12. und 13. Oktober in der Pariser Maroquinerie statt. Empire of Shame erscheint am 14. Oktober auf Born Bad Records.

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