France With Benefits #5: Le Best

Die besten Releases aus Frankreich

Bonne année! Neujahr ist jetzt zwar schon drei Wochen her, aber für einen Rückblick ins letzte Jahr ist es hoffentlich noch nicht zu spät. Frankreich kann man dabei wieder eine Sonderrolle zugestehen. So viel konstanten Einfallsreichtum findet man sonst nur in Island. Von den zehn Veröffentlichungen in dieser Liste ist die Hälfte schonmal bei uns aufgetaucht, der Rest ist erst im Nachhinein an unsere Ohren gedrungen. Und nun auch an die euren: Viel Spaß mit den besten französischen Alben 2015!


Bagarre: Musique de club EP

Das äthetische Konzept von Bagarre ist nicht nur auditiver Natur. Schaut man sich die Videos zu den fünf Songs ihrer zweiten EP an, fallen einem zuerst das matte Schwarz-Weiß und die ultra-langsamen, hypnotischen Kamerabewegungen auf. Dann die Trainingsanzüge und Goldketten, die mehr auf Gangstarap hinweisen, als in den Texten tatsächlich vorhanden ist. Und während man zuschaut, wie sich fünf junge Franzosen das Gesicht zukleben, den Hals verdrehen oder wie Cheerleader eine Pyramide bilden, merkt man, dass die Musik die Sogwirkung der Clips noch verstärkt.

Rap ist, wenn auch die stärkste, nur eine Facette von Bagarre. Maximalistischen Drama-Pop können sie genauso gut wie Dancehall oder House, Singen so gut wie Rappen. Zusammengefasst ergibt das eine neue, französische Spielart elektronischer Musik, oder eben Musique de club. Die stimmt schon zuhause euphorisch, dabei ist für La Bête und Loup (die Mitglieder tragen alle Pseudonyme) der Konzertsaal der Ort, wo Bagarre erst richtig zum Leben erwachen. Der Bandname ist übrigens ebenfalls perfekt gewählt: Bagarre bedeutet Krawall.


Barbagallo: Amor de Lonh

Wer hätte gedacht, dass der Drummer von Tame Impala so ein poetisches Naturell ist? Amor de lonh ist Julien Barbagallos erstes Soloalbum und die Romantik schon am Titel ablesbar –  „Fernliebe“ auf Okzitanisch, der alten Sprache Südfrankreichs. Gesungen wird dann zwar doch auf Französisch, das verleiht den mäandernden Gesangsmelodien aber umso mehr Poesie. Nach dem ausschweifendem Psych Rock seiner aktuellen Hauptband oder dem verkopften Kunstpop von Aquaserge, bei denen Barbagallo auch schon mitgewirkt hat, hält man außerdem vergeblich Ausschau.

Stattdessen beweist der Mann hinter dem Schlagzeug, sobald er andere Instrumente in die Hand nimmt, ein erstaunliches Gespür für Melodie. Die Gitarre ist akustisch, Drums und Bass geben dezent den Rhythmus vor, das Keyboard untermalt hier und da. Der Fokus liegt, ganz in der Chansontradition Frankreichs, auf dem gesungenen Erzählen. Die neun Songs handeln immer von Ihm und Ihr, ob nachts im Bett, in Ipanema oder auf Sizilien oder, wie der mit Posaune verzierte Opener „La réconciliation“, im Moment der Trennung. Der ruhige Lockenkopf hat mit Amor de lonh die schönste Kollektion von on-the-road-Liebesgeschichten seit, naja, ewig veröffentlicht. Die könnte man nun noch weiter Lied für Lied auseinandernehmen. Oder einfach mit seiner/seinem Liebsten im Arm genießen.


Beastie Vee: vee – sides EP

Isolation ist ein Kreativitätspusher. Auch wenn die vier Songs auf der vee – sides EP nur Outtakes aus dem dieses Jahr erscheinenden ersten Album sind, merkt man Beastie Vee den musikalischen Reifeprozess direkt an. Die Songs sind durchkomponierter, die EP hört sich nur noch stellenweise nach dem Soloprojekt eines Drummers an. Es werden mehr Spuren aufeinander geschichtet, was den Eindruck noch verstärkt, es handle sich hier um einen obskuren, primitiv-punkigen Ableger von A Silver Mt. Zion. Und um uns das Debüt noch schmackhafter zu machen, hat Beastie Vee im November die erste Single „Sungasm“ veröffentlicht.


Bon Voyage Organisation: XĪNGYÈ EP

Was Disco und viele aktuelle französische Bands gemeinsam haben, ist das ausgeprägte Stilbewusstsein. Sie präsentieren sich immer in bestem Gewand, verursachen Instant-Gute-Laune und haben oft genug ein selbstironisches Lächeln im Gesicht. Das gilt besonders für Bon Voyage Organisation. Mit XĪNGYÈ hat die Band um Adrien Durand eine Konzept-EP über alternative Universen, China und Afrodisco veröffentlicht, die nicht nur in Frankreich ihresgleichen sucht. Die verschiedenen ideellen Ursprünge finden sich auch in der Musik wieder, die Space Disco, Blechbläser und Bongos zu einem planetarischen Tanzfest zusammenkommen lässt.


Feu! Chatterton: Ici le jour (a tout enseveli)


Feu! Chatterton sind jung und traditionsbewusst, einfühlsam und rockig, besonders französisch und nichtsdestoweniger universell. Ici le jour (a tout enseveli) ist ein Paradebeispiel für das Anliegen dieser Kolumne: zu zeigen, wieviel unglaubliche Musik zu Unrecht auf dem nationalen Niveau stecken bleibt und diesen Fehler zu beheben. Man muss nicht frankophil sein, um das Debütalbum von Feu! Chatterton zu mögen. Allah-Las seid ihr nicht abgeneigt? Großen Erzählern wie Alex Turner und David Bowie? Dann lasst euch auf Ici le jour ein – ihr werdet’s mir danken.


iZem: Hafa


Trends kommen und gehen, aber Blasinstrumente werden immer der größte Trumpf von Chillout sein. Jérémie Moussaid Kerouanton weiß das genauso gut wie Bonobo, dem er als iZem mit seinem ersten Album Hafa nacheifert. Das Besondere an Hafa sind die afrikanischen und lateinamerikanischen Vibes, die sich durch die Songs ziehen. Kein Wunder, ist der Franzose Jahre lang durch Brasilien, Argentinien und Marokko gezogen und hat sich schließlich in Lissabon niedergelassen. Als Einflüsse nennt er außerdem Tahar Ben Jelloun und Jack Kerouac; die verschiedenen Sprachen, in denen die Gastvokalistinnen singen, tragen ihr Übriges dazu bei, dass iZem als Initiator eines neuen elektronischen World Pop gehandelt wird.


J.C. Satàn: J.C. Satàn


Eklektisch sind auch J.C. Satàn. Das Quintett aus Bordeaux gehört zur Speerspitze von Born Bad Records, einem Label, das sich auf französischen Rock’n’Roll spezialisiert, obwohl das sowohl den Noise Rock von Cheveu, Forever Pavots 60er Filmmusikpop und eine Neuauflage von Francis Bebeys psychedelischem Makossa einschließt. Da passen J.C. Satàn noch am ehesten ins Rockschema, die fünf Franzosen fuzzen sich durch die musikalischen Territorien von Iggy Pop und Ty Segall. Das selbstbetitelte Album ist nicht ihr Erstes, aber eines der besten des letzten Jahres. Wie gut das live ist, mag man sich gar nicht vorstellen…


The Marv: The Marginal, Pain & Beauty EP

Unglaublich, aber the Marv ist die einzige beatmaker française. Dabei war das alles gar nicht geplant: Eigentlich hört sie viel lieber Bands wie Nirvana oder Joy Division und hat mit Hip-Hop gar nichts am Hut. Das Handwerk hat sie von ihrem Freund gelernt, der gleichzeitig Labelboss von StillMuzik ist. Dann kamen ihre eigenen Einflüsse: Indische Filmmusik der 50er und 60er Jahre, vor allem vom „King of Tunes“ Ilaiyaraaja. Gerade einmal drei Monate später legte die Pariserin ihre erste EP Malayalam Beats vol. 1 vor.

The Marginal, Pain & Beauty ist zwei Jahre später bereits die vierte. Die Beats sind die gleichen – schwungvoller Funk, Turntablism – doch anstatt sich für die Melodien auf Samples zu stützen, macht the Marv fast alles alleine. Das Resultat ist polierter, synthlastiger und dunkler. Vergleiche mit Madlibs Beat Konducta India oder Four Tets Morning/Evening sind spätestens mit dieser EP obsolet. Und wenn sich kein Rapper findet, der über die Beats rappen will, ist das alles andere als schlimm.


Requin Chagrin: REQUINCHAGRIN

Marion Brunettos Kummerhaie geben einen Dreck auf den Is-Pop-Repeating-Itself-Diskurs. Ein Vierteljahr vor dem Debüt von Hinds hat das Debüt vom Quartett aus Ramatuelle ein großes Ausrufezeichen gesetzt: Musik muss nicht kompliziert oder experimentell sein oder das Rad neu erfinden. Wenn es Spaß macht, habt ihr es richtig gemacht. Auf REQUINCHAGRIN würde übermäßige Innovation sogar eher stören. Deshalb haben sich die vier Franzosen ihre Instrumente geschnappt und acht unschuldige Songs zwischen Garage Rock und Surf Pop eingespielt. Bei Requin Chagrin gilt: Kopf abschalten und Gliedmaßen lockern.


The Shoes: Chemicals

Es hat mal jemand gesagt, Electro sei kein Genre. Logisch, entweder bezeichnet der Begriff die Machart der Musik, dann wäre das in etwa so hilfreich, wie Oasis als Analogue oder Miles Davis als Trumpet Music zu bezeichnen. Oder „Electro“ fungiert als eine Defaultkategorie, die all das bezeichnet, was man nicht zuordnen kann. Chemicals ist demnach Electro. Das dritte Album des Duos the Shoes bedient sich bei viel von dem, was seit den 80er Jahren im Bereich der elektronischen Musik passiert ist (abgesehen vom Dubstep/EDM-Craze der letzten Jahre). Das Resultat klingt homogener, als man denkt und oft nach dem Misch aus Techno und pathetischem Pop, der in den Neunzigern angesagt war. Aber in gut!

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