La pop hybride: Chanson auf neuen Wegen
Was haben Zouk Grunge, frankokanadische Baroque Pop Chansons und eine polyglotte neue Nico gemeinsam? Richtig, es handelt sich um Musik, die über den Tellerrand seines eigenen Genres hinausblickt. Wenn euch das anspricht, dann seid ein weiteres Mal bienvenue à France With Benefits. In dieser neuen Serie werden wir euch einmal im Monat die Musikwelt Frankreichs näherbringen, mit seinen unterschätzten Bands, coolen Labels und interessanten Initiativen. Diesmal stellen wir euch Bands vor, die die ausgetretenen Wege scheuen und herkömmliche Spielarten mit Ungewohntem und Einflüssen der Heimat verflechten: eine Art transkulturelle pop hybride.
Zuerst wollen wir aber auf eine nette Initiative von Microcultures hinweisen. Das Indie-Label, das gleichzeitig eine Crowdfunding-Plattform darstellt, bietet als Gegenentwurf zu Spotify, Deezer und Konsorten ein abenteuerliches Abonnement für Entdecker an. Anstatt für ein paar Euro pro Monat unbegrenzt die Musik hören zu können, die man sich sonst anderswo im Internet anhören würde, bietet Microcultures für 12 Euro ein monatliches Abonnement an, bei dem man eine exklusive CD zugeschickt bekommt. Hauptanliegen von Jean-Charles Dufeu, dem Gründer von Microcultures, ist das Entdecken neuer Musik von wenig bekannten Künstlern. Es handelt sich bei den CDs um Alben, die in Frankreich (noch) nicht erschienen und im normalen Plattenladen nicht erhältlich sind. Das Abonnement gibt es offiziell seit Juni, bisher stehen also noch wenige Namen auf der Liste: Songs for Walter, Laure Brisa, Mousa, Dream Version und the Granite Shore. Dabei handelt es sich mit Ausnahme von Laure Brisa nicht um französische Bands, sondern überwiegend englische oder amerikanische.
Falls ihr euch fragt, schön und gut, aber wir lesen das ja hier in Deutschland: Der Versand ist international, ihr könnt also ohne Probleme auch außerhalb Frankreichs vom Abo profitieren. Voraussetzung ist allerdings ein PayPal-Konto und eine Mastercard oder eine andere Kreditkarte. Neben der CD-Version gibt es das Abonnement auch als digitale Variante für 8 Euro. Falls ihr doch einmal ein Album schon besitzen solltet, bemüht sich das Microcultures-Team, euch dafür ein anderes zu schicken. Und wenn ihr irgendwann keine Lust mehr habt, könnt ihr euch ganz einfach abmelden und das Geld wieder für Streamingservices, Schallplatten oder Merchandise ausgeben. Ich melde mich jetzt mal an und erzähle euch dann in ein paar Monaten, was mir Schönes in den Briefkasten geflattert ist.
Zum Abo geht es hier entlang: Microcultures – L’abonnement musical.
Klô Pelgag
Klô Pelgag, das ist eigentlich Chloé Pelletier-Gagnon aus Quebec. Die gerade mal 25 Jahre junge Musikerin hat schon eine EP und ein Album in ihrem Resümee, letzteres wurde im April mit fünf zusätzlichen Songs wiederveröffentlicht. Für ihre Popchansons, die oft „un peu fofolle“ sind, wurde sie letztes Jahr von der Musik- und Video-Vereinigung ADISQ sogar als Entdeckung des Jahres ausgezeichnet. Die Kanadierin passt mit chaotischem Dutt und einer Vorliebe für bedeutungslose Aktionen und bunte Outfits gut in das Schema der „belle atypique“, wie sie Voir.ca bezeichnet. Dass Klô Pelgag aber mehr ist als nur eine weitere, irgendwie-nett-aber-naja-Indiepop Künstlerin ist, wird beim Hören ihrer Musik offensichtlich.
Indie, oder zumindest das typische Bild von „Indie“ als Genre, ist in den Songs von Klô Pelgag tatsächlich stark vertreten. Kindlich-surrealistisches mischt sich mit einer eigenen Folklore aus Raben und Rotkehlchen, die Coverillustration von L’alchimie des monstres lässt einen zuerst an ein Kinderbuch oder einen Animationsfilm denken. Klassische Instrumente, darunter ihr eigenes Klavier, liebäugeln mit leichten Popmelodien, es darf aber auch mal andächtiger oder theatralisch werden. Der daraus resultierende Baroque Pop ruft manchmal („Nicaragua“, „Taxidermie“) Reminiszenzen an Yann Tiersens Amélie-Soundtrack wach – würde nicht Pelgags expressiver, erzählender Gesang ständig dazwischenfunken.
Hinter dem Kindlichen wird nämlich, wenn man auf die Texte achtet, die harte Realität des Erwachsenenlebens sichtbar. Wie auf „Les mariages d’oiseaux“ („Die Vogelhochzeiten“), wo sich bei der Hochzeit die Scheidung schon mitandeutet und der Vogel (sprich: die Liebe) tot in der Küche liegt, in der er (sprich: sie) vor Ewigkeiten zum ersten Mal auftauchte. Oder wie auf „La fièvre des fleurs“, einem Song über die letzten Tage einer Leukämie-Kranken. Am Ende singt Pelgag, wie ein Kind, das nicht versteht, warum die Mutter nicht mehr da ist: „Elle est partie en voyage. / […] / Elle est partie vivre / À Chimiothérapie, à Chimiothérapie. / C’est un nouveau pays.“ – „Sie lebt jetzt in einem Land namens Chemotherapien.“ Wenn man kein Französisch kann, fällt einem nicht auf, dass der beinahe heitere Refrain übersetzt bedeutet: „Sie ist fort.“ Die Frage, ob diese Heiterkeit erfolgreiches Verarbeiten eines Traumas, Erlösung von der Last der Krankheit (aus Sicht der Kranken, die sagt: „Ich will fliehen“, aber dann doch ans Bett gefesselt ist) oder schlicht kindliches Unverständnis bedeutet, bleibt unbeantwortet.
Freilich sind nicht alle Texte so harte Kost wie „La fièvre des fleurs“, und nicht jede Chanson so poppig. Besonders die Bonustracks der Deluxe Edition von L’alchimie des monstres, von denen zwei noch von der ersten EP stammen, machen ausgiebig von Streichern und klagendem Gesang Gebrauch. „Rayon X“ beginnt wie eine mit Beatpoesie überlagerte Etüde und steigert sich zum Ende hin in ein orchestrales Finale, das wieder etwas Filmisches hat. Ob wie dort mit wortlosem Gesang oder mit poetischen Lyrics: Die Musik von Klô Pelgag ist ein be- und verzauberndes Bouquet aus Chanson, Folk, Klassik und Pop. Und keine Sorge, wenn sie singt, hört man ihr fast nicht an, was für einen starken Akzent sie hat.
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Sable Noir
Sable Noir sind wieder so eine Band mit einem Namen, der ideal zur Musik passt. „Schwarzer Sand“ – so stellt man sich vielleicht La Réunion vor, wenn man noch nie dagewesen ist und als einzigen Anhaltspunkt CHEW ! hat. Das erste Album von Niki Noir und Beastie Vee, zwei jungen Musikern von der Insel neben Mauritius, mischt Zouk mit der erdrückenden Ästhetik von Grunge.
Hier muss man differenzieren: Der Zouk ist eine Tanzmusik von den französischen Antillen, also in Wahrheit nicht die Musik, die man mit der Heimat der beiden Musiker assoziieren muss. Das Genre des Zouk ist zwar im französischsprachigen Raum sehr bekannt, die Compilation Fruit de la passion von Francky Vincent, dem bekanntesten und erfolgreichsten Sänger aus Guadeloupe, erreichte 1995 sogar Platinstatus. Bei einem Gespräch über Sable Noir mit einer Freundin aus Mayotte, einer Nachbarinsel von La Réunion, erfahre ich aber, dass die typische Musik dort Maloya heißt und entfernt mit dem Séga verwandt ist, dem anderen wichtigen Genre auf La Réunion sowie auf den Maskarenen und den Seychellen. Danyèl Waro ist der bekannteste Vertreter des Genres und hat dem von der Kolonialverwaltung verbotenen Genre Mitte der Siebziger wieder zu Ansehen verholfen. Zu den verschiedenen Genres werdet ihr aber nächstes Jahr sehr viel lesen können, für den Moment wollen wir uns deshalb Sable Noir und ihrer Musik widmen.
Das Debütalbum des Duos haben wir euch Ende letzten Jahres schon einmal ans Herz gelegt und auch mit ein bisschen Abstand hält sich der Vergleich mit Suicide noch. Noir und Vee haben mit ihrer eigenartigen, leicht unheimlichen Mischung – ein Franzose würde dazu mit neunzigprozentiger Sicherheit „chelou“ sagen – einen weißen Fleck auf der Musiklandkarte schwarz gefärbt. Die Songs hören sich oft so an, als würde der Plattenspieler langsam seinen Geist aufgeben, nicht ganz so langsam wie die „800% Slower“-Videos, aber ähnlich berauschend. Wie Suicide ist auch CHEW ! eine einzigartige Erscheinung, ein Werk, dessen Beschreibung ein neues Vokabular erfordert und das es so sicherlich nicht noch einmal geben wird.
Neben Gitarre, Schlagzeug und Gesang ist als Instrument der Flanger angegeben, ein wabernder Effekt, den jeder schonmal gehört hat, der sich mal mit psychedelischer Musik beschäftigt hat. Daraus entstehen unwirkliche Klänge wie das an Filme von David Lynch erinnernde Piano-Outro von „Chew!“ oder die Gitarre auf „Sea, Salt & Vinegar“, die wie das Innere einer dunklen, feuchten Höhle klingt. Darunter liegt der für Zouk typische Clave Beat, durch den die verstörenden Sounds mit einem Tanzrhythmus verbunden werden. Beastie Vees Drums sind so massiv wie der Piton de Neige, sein Gesang so gefährlich anmutend wie der Piton de la Fournaise. Selbst, wenn nichts passiert, passiert was: Das statische DIY-Rauschen am Anfang eines Liedes kündigt immer schon den nächsten Ausbruch an. Vee und Noir bezeichnen sich selbst als „Yin Yang dudes“, die „Zouk love songs“ als Grunge-Versionen spielen. Den Versuch, zu „Tamarin“ zu tanzen, sollte jeder mal unternommen haben!
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