Früher war mehr Dadaismus – Lord Folter im Interview

Lord Folter ist Texter, Musiker, Künstler und Teil der Kölner Nyati-Familie. Das Künstler:innen-Kollektiv vereint Beatmaker, Rapper und Gleichgesinnte. Bevor Julian Wachendorf, wie er eigentlich heißt, sich ihnen anschließt, veröffentlicht der damalige Kunststudent sein erstes Release als HipHop-Künstler mit der „Brach“ LP und ist seitdem Kennern der deutschen Underground-HipHop-Szene ein Begriff. Mit seinen zahlreichen Kollaborationspartnern angefangen bei Joe Space über Malte Huck, ehemals Bassist bei AnnenMayKantereit und Punkband-Kollege aus Jugendzeiten, sowie Flitz & Suppe oder AzudemSK entwickelt sich Lord Folter stets weiter. Im vergangenen Jahr erscheint sein Album „1992day“. Zwischen BoomBap und Indie verarbeitet er düstere Selbstkritik und eine Bandbreite an Emotionen, die referenziell sind. Im Interview geht es um fragmentarisches Texten, die Liebe (zum Wald) und die letzte Debatte um #deutschrapmetoo mit LGoony.

Wie würdest Du dich definieren? Als Künstler und Texter mit HipHop-Hintergrund?

Ja auf jeden Fall. Das ist recht zutreffend. Ich hab eigentlich selber keine Ahnung wie ich das definieren soll und möchte niemandem eine Bedienungsanleitung geben, die ich selber nicht verstehe. Künstler, Musiker, Texter. Künstler als Identität, mit der ich mich begreife und Musiker, weil ich das die letzten Jahre gemacht habe und vermutlich weiterhin. Texter mit HipHop-Hintergrund passt auf jeden Fall, da ich rhythmisch mit Beatkultur arbeite.
Bei mir wächst aber auch gerade etwas in die Indie-Richtung, was man gerade auf dem letzten Album durch die Gitarren gut hören kann und auf den neuen unveröffentlichten Sachen ist das noch klarer geworden. Da sind zwei drei Sachen, die einen 80er Post-Rock-Flavour haben. Es ist aber immer noch HipHop.

Ist dein Name Programm?

Die Story dahinter ist gar nicht so spannend. Ein Kommilitone, der aus dem Graffiti-Bereich kommt, hat damals mit Airbrush so Wörter oder Quatsch gezeichnet. Einmal stand da Lord Folter und als ich so ein Jahr später das erste Mal einen Song recorded habe bei einem Bekannten, da brauchte man halt einen Namen und ich habe an diese Zeichnung gedacht. Lord Folter fand ich geil, weil es nicht so offensichtlich ist bzw. man etwas anderes damit assoziiert. Man denkt vielleicht an Splatter Goth und nicht an einen kleinen verlorenen Romantiker, den Twist mag ich. Es war zuerst ein Gag, aber der Name ist geblieben. Sonst hätte ich mich vielleicht The Wizzy Wizard genannt.

Auch der Aufbau deiner Texte ist gespickt mit Widersprüchlichkeiten, die eine innere Zerrissenheit spiegeln. Du textest sehr lyrisch. Beim „Rouge“ Album von 2017, auf dem Du u.A. mit Philanthrope und AzudemSK „Liebe/Zeit“ produziert hast, gibt es Zeilen wie: „Die Vögel fliegen Richtung Wunderland. Wir gehen in den Untergang. Aus lauter Überzeugung keinen Grund gekannt. Alles beginnt im Unverstand. Wenn es Einsichten hagelt, haben wir keinen Unterstand“.

Bam! (grinst) Ich find das nach wie vor geil. Das war ein glücklicher Zufall, als ich diese Zeilen geschrieben habe, da war ich in einer guten Stimmung. Manchmal braucht es einen bestimmten Moment, in dem man sich wieder begreift. Aber das kommt ja nicht ständig vor. Diese Paradoxien oder Widersprüchlichkeiten tauchen immer wieder auf, weil sie eine Verarbeitung von Erlebnissen sind.

„Ich muss Emotionen Raum geben und da ist viel Zerrissenheit dabei.“

Neben dem Lyrischen, ist dein Schreibstil fragmentarisch aufgebaut. In einem Interview hast Du mal gesagt, dass bei dir jede Zeile für sich steht. Bei dem Track „Heisser Schnee“ von deinem aktuellen Album „1992day“ heißt es: „Bereut wird hier nichts. Alles führt hier her, auf getrenntem Weg. Du fehlst mir so sehr, will dich nie wieder sehn. Mir geht es besser denn je. So schlimm wie noch nie.“

Ich wüsste gar nicht wie man zusammenhängende Texte schreibt. Rein technisch. Ich kann nur fragmentarisch Texte schreiben, das passiert einfach so. Das ist mehr Laientum als kontrolliert. Ich muss Emotionen Raum geben und da ist viel Zerrissenheit dabei. Es geht um Dinge, die mit mir zu tun haben und die ich ausschleife und ausleide. Man könnte es runter brechen auf Lord Folter, der Künstler-Musiker, der abstrakte Texte schreibt, die poetisch sind. Aber das ist mir zu wenig erzählt, über die Sachen, die ich mache, die Zerrissenheit und das Zerwürfnis, das man mitbekommt und die Düsterheit, die das an manchen Stellen hat. „Heisser Schnee“ ist relativ ersichtlich, finde ich. Und versöhnlicher als andere Songs.

Was bedeutet Liebe für dich?

Das habe ich mich lange nicht mehr gefragt. Liebe bedeutet für mich absolutes Temperament. In Bildern gesprochen: Wenn man ein Feuer in sich hat, oder einen flow. Alles, was sich gut und richtig anfühlt. Liebe ist für mich Zuhause.

Bedeutet Zuhause bestimmte Menschen für dich?

Auch. Aber auch eine räumliche Vorstellung. Ich hab den Wald oder etwas Wildes im Kopf, wo ich eigentlich nicht hingehöre. Ich hab gerade ein Buch gelesen, von einem britischen Naturschriftsteller, der auf dem Berg Ben Hope nördlich von Schottland übernachtet hat und merkte, dass das Abenteuer, das er gesucht hat nicht gut war. Er hatte eine erdende existentielle Erfahrung: ‚Ich gehöre hier nicht hin, obwohl ich die Wildnis gesucht habe mit einer romantischen Vorstellung. ‘Liebe hat davon auch etwas.

Das Motiv Wald taucht bei dir ja häufiger auf. Schon in Studentenzeiten hast Du dort Videos gedreht.

Ja, das war eine zeitlang mein Ding. Ich konnte mich an der Akademie nicht mit den Räumlichkeiten zurecht finden und den anderen Studenten arrangieren. Da war zu viel los für mich zum Denken und Fallenlassen, um konzentriert zu arbeiten. Da bin ich in den Wald gegangen und habe ein Baumlager gefunden, von Bäumen, die gerodet wurden. Die Stämme habe ich angefangen zu stapeln wie ein Totem, auch um mir zu beweisen, dass ich arbeiten kann. Danach war ich fast jeden Tag im Wald. Davon habe ich Videos gemacht und nach und nach Dinge aus dem Wald in einen Ausstellungsraum mitgebracht. Ich habe mich in einen Tümpel fallen lassen, in Wildschweinsuhle gewälzt, hab in einer Schneelandschaft auch Gedichte von Hofmannstahl aufgesagt, so ganz viel komischen Kram. Das hat eine zeitlang alles dominiert und war irgendwie auch meine Liebe, auf mich zurückgeworfen zu sein. Das Bild, das ich von mir sehe, ist in einem Häuschen im Wald.

Du hast nebenbei in einer Buchhandlung gearbeitet. Hat Literatur einen Einfluss auf deine Art zu texten?

Auf jeden Fall. Weil ich viel gelesen habe, würde ich schon sagen, dass eine gewisse Rhythmik bei meinen Texten daher kommt. Ich bin kein Weltliteratur- oder Literaturwissenschafts-Nerd und es gibt einiges, was ich noch lesen möchte. Eine zeitlang hab ich mich mit Lyrik aus verschiedenen Epochen intensiv beschäftigt und viel Botho Strauß gelesen. Lyrik soll ja etwas transzendentales auslösen, sodass der Leser nicht mehr weiß, wo er steht. Als ich z.B. damals ausgestellt habe, war es geil, die Leute zu beobachten wie sie auf einen Typen reagieren, der mit dem Gesicht voran in einen Tümpel fällt. Da war alles dabei: mache haben geweint, andere hatten einen Lachflash. Es ist schön, wenn man mit seiner künstlerischen Arbeit Leute weiterbringt, Dinge hinterfragen lässt oder Erkenntnisse bringt, die sie vom Hocker fegen. Oder einfach, dass das Leben voller Wunder ist. Das ist das größte Gefühl, dass man als Künstler haben kann.

Wie wichtig ist es für dich als Musiker Feedback zu bekommen z.B. bei einem Konzert?

Live bin ich zu unsicher und froh, wenn ich von der Bühne bin. Ich glaube, ich bin da eine Primadonna: Ich liebe Aufmerksamkeit und dass Leute meine Musik wertschätzen, aber ich kann das nicht so richtig annehmen. Wenn Leute mir schreiben, dass ein Song ihnen beispielsweise bei einer Trennung geholfen hat, dann gibt mir das schon viel.

Du hast scheinbar immer schon Musik gemacht – wann hast Du dich konkret dafür entschieden, dass das nicht nur ein Hobby bleibt?

Als ich das erste Mal Geld dafür bekommen habe (grinst). HHV hat mir damals angeboten, die „Brach“ EP auf Vinyl zu drucken und das war für mich ein großes Ding. Wenn HHV ´nem Underground-Künstler einen Deal angeboten hat, war das fett. Da haben ja auch AzudemSK, Audio88, Morlockk usw. veröffentlicht. Ich konnte endlich meine Studentenwohnung selbst bezahlen und meine Mutter musste mir nicht mehr aushelfen, das war super befreiend. Danke Mama! Ab dem Zeitpunkt hab ich das ernst genommen, da ich wusste, dass da etwas für mich zu holen ist, und nicht mit den Kunstsachen, die keine einfach zu veräußernden Gallerie-Arbeiten sind.

Wie bist Du mit Audio88 für dein aktuelles Album „1992day“ zusammen gekommen?

Das ist übers Internet passiert. Er hat mal ein Bild von der „Rouge“ gepostet als „Platte des Tages“ und das war für mich wie ein Ritterschlag. Audio fand ich immer super, weil er das anders gemacht hat als seine Kollegen. Er hat mich gefragt, ob ich auf seinen „Apfel“-Song mit rauf möchte und das habe ich jetzt Tischtennis-Raptechnisch zurück gespielt und gefragt, ob er bei meinem Album mit dabei sein möchte.

Du arbeitest mit vielen Künstler:innen zusammen. Was machen ideale Kollaborationspartner für dich aus?

Menschliches Verstehen, aus dem Freundschaft wird. Man muss sich einfach gerne und häufig sehen. Ich mach natürlich auch mit Leuten, die ich kaum kenne, übers Internet Musik. Dann schickt mir einer einen Beat und manchmal passiert dann etwas mit mir, wenn ich es superschön finde. Aber das passiert eher selten. Ich hab so Leute wie Flitz & Suppe oder Leavv – der auch viel auf dem letzten Album produziert hat – das sind alles Leute, mit denen ich gerne Zeit verbringe und rede.
Die Szene hat sich einfach sehr verändert. Als wir damals angefangen haben, hatten wir ganz andere Ansätze, dadaistisch inhaltlich sich auflösende textlich poetische Ansätze, heute geht es viel um Weed rauchen, saufen, die geilsten Klamotten tragen, sich politisch immer mega klug zu verhalten und es allen Recht machen zu wollen. Als hätten die Leute keine eigenen Identitäten mehr, als wären sie Roboter des Internets. Das geht mir manchmal echt auf den Zeiger. Deswegen gibt es auch gar nicht so viele, mit denen ich kollaborieren könnte, auch wenn in den nächsten Jahren da sicherlich noch welche dazu kommen werden. Ich bin einfach nicht so interessiert an dem ganzen szene-internen Gossip. Wir haben uns immer eher als Gegenposition verstanden.

Zuletzt gab es in der deutschen HipHop-Szene eine Debatte um #deutschrapmetoo, angestoßen von LGoony, der sich zu MC Bogys Instagram-Aussage kritisch geäußert hat und danach Morddrohungen erhalten hat. Du hast dich auch kritisch dazu positioniert – wie hast Du das wahrgenommen?

Ich hab da eine sehr gespaltene Meinung zu. Ich finde es gut, wie LGoony sich dazu äußert, aber ich finde die Entwicklung sich im Internet immer positionieren zu müssen auch total besorgniserregend. Das hat alles nichts mit dem Leben, mit der Realität zu tun. Dennoch, LGoonys Motivation war aufrichtiger Natur und ich respektiere sie.

Was steht bei dir musikalisch nach dem Album „1992day“ jetzt an?

Das ist etwas, was mich gerade umtreibt. Ich habe ein fünf Song starkes Projekt mit jemanden gemacht, wo ich aber noch nicht zu viel verraten möchte. Die ersten Singles kommen im November. So viel. Nebenbei denke ich an ein Album, weil ich sechs Songs aufgenommen habe und gestern ist mir aufgefallen, dass ich die auch so raushauen kann ohne es Album zu nennen. Ich möchte auf jeden Fall den Industriecharakter entfernen und alles diy machen, deswegen haben wir unser eigenes Label Babygroove gegründet. Und wenn ich sechs Lieder raushaue, können sich die Leute beschweren, dass es zu kurz ist, aber es ist eine Entität.

Hört hier den Song „Heisser Schnee“ vom Album „1992day“: