Mit Neuem von Alten und ein bisschen Altem von Neuen
„No matter what you see / you’ve got to get back to being found.“ – „Maybe we could roll a tree. / Or maybe…“ – „Let me go / let me go.“ – „Talk to me ! I want to kill…“ – „Do it. D-d-d-do it.“
So aus dem Kontext gerissen können letzte Worte ziemlich dadaistisch anmuten. Die Alben des letzten Monats, anders als die Textfetzen von deren letzten Songs, brillieren hingegen fast ausschließlich in ihrem Kontext. Sei es der Zustand von Art Rock in elektronisch dominierten Zeiten, das immer schwierige Thema posthumer Veröffentlichungen oder das Wieder-aufleben-lassen von Stilen, die sich inzwischen in der Mid-Life Crisis befinden müssten. Falls euch das zuviel textlicher Lärm um Nichts ist, hört euch einfach die Hörbeispiele an, vielleicht findet ihr ja dort euer Glück.
Autolux: Pussy’s Dead
Das dritte Autolux Album heißt Pussy’s Dead. Davon mal abgesehen, ist es wirklich sehr, sehr gut. Vom schleppenden Opener „Selectallcopy“ bis zum leicht melancholischen Ende von „Becker“ zeigt das Trio aus LA, wie Art Rock heute geht. Manche Gesangslinien erinnern zwar an den Alternative Rock der Neunziger, dafür tut die Produktion alles, um zeitgemäß und vor allem detailreich zu klingen.
Während zuerst die Bedrücktheit auffällt, tritt mit wiederholtem Hören vor allem das Melodische in den Songs zutage. Als emotionales Gegengewicht gibt es mit „Brainwasher“ und „Listen to the Order“ in der Mitte des Albums fast schon sludgy ein paar E-Gitarren, die einen auf den Boden der Tatsachen zurückholen. Und wer bei „Junk for Code“ nicht minnigstens mit dem Fuß wippt, sollte mal zum Orthopäden. Es gibt nicht mehr viele überzeugende Fürsprecher für die causa rockbandii. Autolux gehören zu den letzten Größen ihrer Art.
https://vimeo.com/151944473
DJ Rashad: Afterlife
Rashad Harden war zum Zeitpunkt seines Todes zwar schon einige Jahre über dem passenden Alter, aber er wird von seinen Fans (von denen es so viele gibt, dass Footworkplatten inzwischen selbst im konservativsten Plattenschrank auftauchen) auch anno 2016 so inbrünstig verehrt, als wollten sie ihn in den 27 Club neben Amy Winehouse und Jimi Hendrix stecken. Dass aus den Archiven von DJ Rashad ein ebenso umfangreiches posthumes Œuvre wie das von Tupac Shakur entstehen kann (und wohl auch wird), ließ sein engster Vertrauter und partner in crime DJ Spinn kürzlich verlauten.
Nach den EPs We on 1 und 6613 ist Afterlife nun zugleich die erste Kompilation von DJ Rashad Tracks auf Albumlänge und das erste physische Release auf dem Label der Teklife Crew. Auf Next Life, das Best Of der Rashad-Affiliierten und -Inspirierten, folgt mit Afterlife ein weiteres Beispiel für die kollaborative Natur des ganzen Teklife Universums. Dass dem Release ein narrativer Bogen wie dem von Double Cup fehlt, ist nicht verwunderlich. Dass ab „Oh God“ die Songs immer verrückter werden und einen Schritt weg vom signature sound von Teklife und hin zu den neuen Vordenkern DJ Roc und Jlin machen – das zeigt dann doch, wieviel Weitsicht selbst in den Veröffentlichungen nach Hardens Tod weiterlebt.
Drangsal: Harieschaim
„Ich hab den Kopf voll Pflastersteine / weil du nie kapierst, was ich meine.“ Man kommt sich vor wie in Gesellschaft jener Jugendlicher, die high auf the Cure den 30. Geburtstag von deren Frontmann Robert Smith zelebrierten. Tatsächlich befinden wir uns nicht unter einer Brücke in der ehemaligen DDR, sondern im pfälzischen Herxheim, der Heimat von Max Gruber alias Drangsal. Harieschaim heißt das Debüt der jungen Popsensation, mit Fabian von Sizarr und dem Tocotronic-Produzenten Markus Ganter haben ihm dabei zwei Instanzen des deutschen Indie unter die Arme gegriffen.
Dementsprechend stilecht sind die zehn Songs auf Harieschaim. Die Gitarren und Synths klingen nach Augenschminke, Ohrring und über die Stirn gegelten, schwarzen Haaren; die programmierten Drums hätten weder A-ha noch Duran Duran besser hingekriegt. Der „Brachialpop“ (Gruber) ist hauntologisch wie sonst was, bei jeder musikalischen Wendung erwartet man, dass ein spektraler Ian Curtis durch die Wand schwebt. Dass Gruber nach eigenen Angaben weder Joy Division noch the Cure übermäßig gehört hat, tut nichts zur Sache. Wenn Wave-Post-Punk so catchy gemacht ist, darf der Rezensent auch mal schweigen und genießen.
Guido Möbius: Batagur Baska
Guido Möbius bedient Liebhaber elektroakustischer Musik und bassgesteuerter Polyrhythmik wie das Adoptivkind von John Cage und Geoff Barrow. Mit einer Bassline wie aus „Ham Green“ beginnt der Titeltrack seines neuen Albums Batagur Baska, nur um plötzlich Fahrt aufzunehmen und dem Gesangsample von Prak Chum einen Drum Circle unterzulegen. Der Song ist der längste auf dem sechsten Album des Berliner Klangkünstlers, aber trotz Rhythmusmindfuck keineswegs der unkonventionellste.
„Nach Draussen“ lässt sich noch am ehesten mit zum Beispiel den Vocaltracks von Modeselektor vergleichen; „Moloch“ ist Sci-Fi-Techno erster Klasse. Die übrigen Stücke erstrecken sich von Scat Gesang zu unförmigem Fusion-Flöten-Bass-Gedudel („Windsurfing Chile“) über eine Kinderreimmelodie, die mit Soundeffekten wie aus Raumpatrouille Orion konkurrieren („How to Never Wake Up“) bis zu Dielengequietsche mit Eno-Ambient und einer Auflistung von Wörtern, die auf „-ing“ enden („-ing“). Möbius öffnet mit Batagur Baska rostige wie frisch gestrichene Türen für in Berlin fabrizierten Techno und darf für seinen querköpfigen, elektromotorischen Drang als, ja, krautig bezeichnet werden.
Imarhan: Imarhan
Am Rande des Ahaggar-Gebirges liegt Tamanrasset, die südalgerische Hauptstadt der Tuareg. Zwischen den Bergen, der Wüste und dem Ahaggar Nationalpark leben dort circa 10.000 Menschen. Unter ihnen die fünf Mitglieder von Imarhan, einer Band, die den traditionellen Wüstenblues, den sogenannten Assuf, spielt. Deren erstes Album, Imarhan benannt, ist im April auf dem Berliner Label City Slang erschienen.
Auf Imarhan hört man neben warmen Akustikgitarren und entspannter Perkussion die Sprache der Kel Tamasheq, wie sich die Tuareg selbst bezeichnen. Damit wollen Imarhan den Vorurteilen über das Leben als Tuareg und Algerien im Allgemeinen entgegenwirken – Tamanrasset ist kein von der Welt abgeschnittenes Dorf, es gibt dort sehr wohl Internet und Globalisierung funktioniert schließlich nicht nur in eine Richtung. In Imarhans Musik durchdringen sich Tuareg- und „westliche“ Bluestraditionen. Kein Wunder, dass sie sowohl mit Kurt Vile als auch Tinariwen getourt haben. „Imarhan“ bedeutet übrigens „die dir Gutes wünschen“. So klingt Imarhan auch.
Suuns: Hold/Still
Halt still, während sich die Welt um dich herum verändert, dann verstehst du sie besser. Anstatt über das Verschwinden des Rock’n’Roll zu jammern, beobachtet die Montrealer Band Suuns die Veränderungen und setzt den Zeitgeist dann in die Tat um. Hold/Still ist bereits ihr viertes Album, nach der Zusammenarbeit mit Jerusalem In My Heart zugleich das subtilste. Man muss in der Tat genau aufpassen, um die Details zu bemerken, mit denen Suuns sich auf ihrem neuen, sehr guten Werk von Rock und Electronic zugleich abgrenzen.
Die Spex spricht ebenfalls von „zeitgeistiger“ Musik und bezeichnet Suuns zurecht als die Clinic unserer Ära (ungeachtet der Tatsache, dass Clinic noch existieren und mit Free Reign ganz und gar aktuell klingen, wenn auch nicht so düster wie Suuns). Was man an Hold/Still kritisieren kann: die Klarheit von Images du Futur fehlt, das neue Album ist dickflüssiger als ein Earl Sweatshirt Album oder die beiden Beak> Platten, es lässt sich nicht mehr so gut zu Suuns tanzen. Das käme aber einem Jammern gleich, und das ist bei einem Album wie Hold/Still so unangemessen wie Sorglosigkeit im 21. Jahrhundert.