In den Pantheon des elektronischen Pop
Das diesjährige Prêt à écouter ist noch stärker auf Geheimtipps ausgerichtet als die Ausgabe von 2014. Für Kodiak Deathbeds, Alex Vargas und the Slow Show kann die Verleihung des Mercury Prize an Benjamin Clementine deshalb nur ein gutes Zeichen bedeuten. Auf der anderen Seite gibt es in diesem Jahr keinen Act, der es an Berühmtheit mit Metronomy aufnehmen könnte – am nächsten dran sind Deerhunter, die die Konzertreihe letzte Woche eröffnet haben. Der Verzicht auf einen großen Headliner hat den Effekt, dass die Wahl des Festivalhighlights umso mehr die persönliche Angelegenheit jedes Besuchers ist. Unsere Wahl fällt wohl vorschnell auf Rangleklods, die mit ihrem Konzert am vergangenen Mittwoch gezeigt haben, dass sie in den Pantheon des experimentellen Pop-Electro gehören, neben Nicolas Jaar und Mount Kimbie.
Als Vorband spielt das Kölner Duo Waking Up In Stereo. Deren Electro kann leider live nicht so begeistern, was zum Teil auch daran liegt, dass von der Lesung von Theresia Enzensberger kurz zuvor noch die Sitzblöcke im Raum stehen und sich instinktiv alle hinsetzen. Immerhin haben die beiden Spaß, ihre Musik wirkt auch für die Boxen zuhause interessant. Es ist nur leider extrem laut, was sich auch beim Auftritt des Hauptacts nicht bessern wird. Bei der Lautstärke, mit der Rangleklods ihre Songs in den halbvollen Saal dröhnen, ist die Schmerzgrenze leider einmal zu oft erreicht.
Was einem zuerst auffällt, als Rangleklods in den ersten Song starten, ist die Aura von Esben Andersen. Der Däne bewegt sich wie ein Schamane über die Bühne, während er singt. Steht er an seinem Mischpult, wird er zu einem begeisterten Jungen, der gerade zum ersten Mal das Sampling Pad entdeckt. Pernille Smith-Sivertsen, die andere Hälfte von Rangleklods, wirkt dagegen konzentriert, aber nicht weniger von der Musik begeistert, egal ob sie singt, auf dem Pad trommelt oder eine Art E-Klarinette spielt. Bei zwei Songs kommt auch ein Gerät zum Einsatz, mit dem Andersen per Handbewegung die Effekte kontrollieren kann, wie eine Mischung aus Theremin und Sampling Pad. Schwer zu beschreiben, umso beeindrucker, mitanzusehen, wie er den Song zusammenpresst, herunterdrückt und wieder freigibt. Überhaupt erinnert die Art, wie Rangleklods ihre Musik (live und im Studio) präsentieren, an Turntablism: Die Songs werden immer interessant gehalten, indem sie mit Sounds überladen und von Effekten beeinträchtigt werden, ohne dass dabei der Rhythmus verloren geht.
Mit gerade einmal zwei Alben und einer EP im Gepäck spielt das Duo eine bunte Mischung aus alten und neuen Songs. Am Anfang stehen „Behaviour“ von der Home EP und „Schoolgirls“ von Straitjacket, am Ende mit „Lost U“ und „Young & Dumb“ nochmal zwei große Hits. Was dazwischen passiert, bewegt sich von theatralischen Popsongs über entschleunigte Experimente wie „Dry Me Out“ bis hin zum großen EDM-Ausbruch in der Mitte des Konzerts. Dass man sich plötzlich fast wie bei einem Rusko Set fühlt, bringt die Zuschauer entweder zum Tanzen – oder zum Lachen. Den Move haben sie ihrer Landsfrau Mö abgeschaut, die live ebenfalls unerwartet in Dubstep-Territorium abdriften kann. Mag man gut finden oder nicht, die Freude am Experimentieren mit elektronischer Musik passt jedenfalls gut zum ähnlich gewagten Programm des diesjährigen Enjoy Jazz. Der Karlstorbahnhof zeigt sich zum zwanzigsten Jubiläum mehr denn je als der vorwärtsgewandteste Konzertsaal Heidelbergs.
Dass der Auftritt von Rangleklods den Spagat zwischen avantgardistischer Clubmusik und konzertfähigem Electropop schlägt, liegt zum Teil auch an den Einflüssen, die live noch deutlicher zutage treten: Chicago House, Synthpop und Disco aus den 80ern, aber auch Dream Pop à la „Nightcall“, the xx und langsamer, bedrückender Techno. Mitunter kann das klanglich recht aggressiv werden, dann erinnern die Soundwände an den Noise Ambient von Oneohtrix Point Never. Sowohl Andersen als auch Smith-Sivertsen haben außergewöhnliche Stimmen, die den Songs Gestalt geben und dadurch sehr zum Sound beitragen. Live sind diese aber leider mit zu viel Hall belegt, ein bisschen klangliche Nacktheit hätte an einigen Stellen gut getan. Abgesehen davon schaffen es Rangleklods an diesem Abend aber sehr gut, die Grenzen zwischen Clubmusik, Sound Art und Pop verschwimmen zu lassen. Vielleicht wirkt der Geheimtipp-Effekt ja auch bei den Dänen.